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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

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Mordgedanken faßte, da war er unzweifelhaft zurech¬
nungsfähig; es weiß Jeder, daß Mord Verbrechen ist.
Er gab ihm Gehör, er hegte ihn, bis er ihm über den
Kopf wuchs, bis er halb unfrei von der großgenährten
Geburt seines eigenen Gehirnes fortgezogen wurde.
Ebendieß bedeutet der Geisterdolch, der den Macbeth
magisch nach Dunkan's Schlafgemach zieht. Die Um¬
kehrung der Freiheit in Unfreiheit ist also selbst
Schuld.


Ueber Todesstrafe wie oft meine Ansicht gewechselt
für und gegen, gegen und für, bis ich mir's ganz
gemein einfach so formulirt habe --: An der Gewalt
der Abschreckung ist nicht zu zweifeln. Das weiß ich
von mir selbst. Es schlummert in Jedem ein mög¬
licher Mörder. Wenn ab und zu der Satangedanke
in mir aufschoß, einen rechten Hauptschurken abzu¬
mucksen, hab' ich mich alsbald darüber ertappt, daß
im selben Moment ein Besinnen eintrat: wie es ver¬
bergen, um dem Schaffot zu entgehen? Natürlich nicht
immer vermag es die Abschreckung gegen die Stärke
der Leidenschaft, aber doch in manchen Fällen, nehmen
wir immerhin die wenigeren an. Gut, und nun sage
ich so: wenn ich sechs Mörder dem Schwert über¬
liefert habe und es dadurch erreiche, daß in einem
siebenten Falle die Angst vor der Todesstrafe einen

Mordgedanken faßte, da war er unzweifelhaft zurech¬
nungsfähig; es weiß Jeder, daß Mord Verbrechen iſt.
Er gab ihm Gehör, er hegte ihn, bis er ihm über den
Kopf wuchs, bis er halb unfrei von der großgenährten
Geburt ſeines eigenen Gehirnes fortgezogen wurde.
Ebendieß bedeutet der Geiſterdolch, der den Macbeth
magiſch nach Dunkan's Schlafgemach zieht. Die Um¬
kehrung der Freiheit in Unfreiheit iſt alſo ſelbſt
Schuld.


Ueber Todesſtrafe wie oft meine Anſicht gewechſelt
für und gegen, gegen und für, bis ich mir's ganz
gemein einfach ſo formulirt habe —: An der Gewalt
der Abſchreckung iſt nicht zu zweifeln. Das weiß ich
von mir ſelbſt. Es ſchlummert in Jedem ein mög¬
licher Mörder. Wenn ab und zu der Satangedanke
in mir aufſchoß, einen rechten Hauptſchurken abzu¬
muckſen, hab' ich mich alsbald darüber ertappt, daß
im ſelben Moment ein Beſinnen eintrat: wie es ver¬
bergen, um dem Schaffot zu entgehen? Natürlich nicht
immer vermag es die Abſchreckung gegen die Stärke
der Leidenſchaft, aber doch in manchen Fällen, nehmen
wir immerhin die wenigeren an. Gut, und nun ſage
ich ſo: wenn ich ſechs Mörder dem Schwert über¬
liefert habe und es dadurch erreiche, daß in einem
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[280/0293] Mordgedanken faßte, da war er unzweifelhaft zurech¬ nungsfähig; es weiß Jeder, daß Mord Verbrechen iſt. Er gab ihm Gehör, er hegte ihn, bis er ihm über den Kopf wuchs, bis er halb unfrei von der großgenährten Geburt ſeines eigenen Gehirnes fortgezogen wurde. Ebendieß bedeutet der Geiſterdolch, der den Macbeth magiſch nach Dunkan's Schlafgemach zieht. Die Um¬ kehrung der Freiheit in Unfreiheit iſt alſo ſelbſt Schuld. Ueber Todesſtrafe wie oft meine Anſicht gewechſelt für und gegen, gegen und für, bis ich mir's ganz gemein einfach ſo formulirt habe —: An der Gewalt der Abſchreckung iſt nicht zu zweifeln. Das weiß ich von mir ſelbſt. Es ſchlummert in Jedem ein mög¬ licher Mörder. Wenn ab und zu der Satangedanke in mir aufſchoß, einen rechten Hauptſchurken abzu¬ muckſen, hab' ich mich alsbald darüber ertappt, daß im ſelben Moment ein Beſinnen eintrat: wie es ver¬ bergen, um dem Schaffot zu entgehen? Natürlich nicht immer vermag es die Abſchreckung gegen die Stärke der Leidenſchaft, aber doch in manchen Fällen, nehmen wir immerhin die wenigeren an. Gut, und nun ſage ich ſo: wenn ich ſechs Mörder dem Schwert über¬ liefert habe und es dadurch erreiche, daß in einem ſiebenten Falle die Angſt vor der Todesſtrafe einen

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/293>, abgerufen am 25.11.2024.