allein sprechen wolle. ,Frau Base,' sagte er, als die Andern das Zimmer verlassen hatten, ,in Plato's Phädon hat mir immer etwas so gut gefallen: wie Sokrates den Tod herankommen fühlt, sagt er den Freunden, sie sollen dem Asklepios einen Hahn opfern; das möchte ich wohl auch thun.' Ich übernahm den Auftrag, er sank mit geschlossenen Augen in's Kissen zurück, schlug sie aber nach einigen Minuten wieder auf und sagte: ,Wissen Sie was? wir lassen es, mein' ich, lieber bleiben, es wäre doch nur eine Nachahmung, und dann, warum soll der Gockel, der zum Opfer ausersehen würde, nicht noch eine Weile fröhlich und stolz scharren und krähen und sein Hühnervolk be¬ herrschen?' Die Augen fielen ihm wieder zu, er ent¬ schlummerte, schien zu träumen, seine Lippen zuckten, er sprach: ,Tief da unten wirbelt die Reuß! Wie tobt sie! Hinab? Nein!' -- Er wachte wieder auf und fragte: ,Wo ist er?' -- ,Wer?' -- ,Der Reisekamerad!' -- Er nannte Ihren Namen, kam klar wieder zu sich und nun hat er mir den herzlichen Gruß an Sie und den Auftrag gegeben, den ich Ihnen mittheile, wenn ich Ihnen seinen Nachlaß zeige.
"Die Männer traten wieder ein. Er wurde schwächer und schwächer, die Zwischenräume tiefen, matten Schlum¬ mers länger. Gegen Abend aber richtete er sich mit unerwarteter Kraft im Bett auf und sprach mit fester Stimme: ,Ich hab's erleben dürfen, daß meine Nation
allein ſprechen wolle. ‚Frau Baſe,' ſagte er, als die Andern das Zimmer verlaſſen hatten, ‚in Plato's Phädon hat mir immer etwas ſo gut gefallen: wie Sokrates den Tod herankommen fühlt, ſagt er den Freunden, ſie ſollen dem Asklepios einen Hahn opfern; das möchte ich wohl auch thun.' Ich übernahm den Auftrag, er ſank mit geſchloſſenen Augen in's Kiſſen zurück, ſchlug ſie aber nach einigen Minuten wieder auf und ſagte: ‚Wiſſen Sie was? wir laſſen es, mein' ich, lieber bleiben, es wäre doch nur eine Nachahmung, und dann, warum ſoll der Gockel, der zum Opfer auserſehen würde, nicht noch eine Weile fröhlich und ſtolz ſcharren und krähen und ſein Hühnervolk be¬ herrſchen?‘ Die Augen fielen ihm wieder zu, er ent¬ ſchlummerte, ſchien zu träumen, ſeine Lippen zuckten, er ſprach: ‚Tief da unten wirbelt die Reuß! Wie tobt ſie! Hinab? Nein!' — Er wachte wieder auf und fragte: ‚Wo iſt er?' — ‚Wer?' — ‚Der Reiſekamerad!' — Er nannte Ihren Namen, kam klar wieder zu ſich und nun hat er mir den herzlichen Gruß an Sie und den Auftrag gegeben, den ich Ihnen mittheile, wenn ich Ihnen ſeinen Nachlaß zeige.
„Die Männer traten wieder ein. Er wurde ſchwächer und ſchwächer, die Zwiſchenräume tiefen, matten Schlum¬ mers länger. Gegen Abend aber richtete er ſich mit unerwarteter Kraft im Bett auf und ſprach mit feſter Stimme: ‚Ich hab's erleben dürfen, daß meine Nation
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allein ſprechen wolle. ‚Frau Baſe,' ſagte er, als die
Andern das Zimmer verlaſſen hatten, ‚in Plato's
Phädon hat mir immer etwas ſo gut gefallen: wie
Sokrates den Tod herankommen fühlt, ſagt er den
Freunden, ſie ſollen dem Asklepios einen Hahn opfern;
das möchte ich wohl auch thun.' Ich übernahm den
Auftrag, er ſank mit geſchloſſenen Augen in's Kiſſen
zurück, ſchlug ſie aber nach einigen Minuten wieder
auf und ſagte: ‚Wiſſen Sie was? wir laſſen es, mein'
ich, lieber bleiben, es wäre doch nur eine Nachahmung,
und dann, warum ſoll der Gockel, der zum Opfer
auserſehen würde, nicht noch eine Weile fröhlich und
ſtolz ſcharren und krähen und ſein Hühnervolk be¬
herrſchen?‘ Die Augen fielen ihm wieder zu, er ent¬
ſchlummerte, ſchien zu träumen, ſeine Lippen zuckten,
er ſprach: ‚Tief da unten wirbelt die Reuß! Wie tobt
ſie! Hinab? Nein!' — Er wachte wieder auf und
fragte: ‚Wo iſt er?' — ‚Wer?' — ‚Der Reiſekamerad!'
— Er nannte Ihren Namen, kam klar wieder zu ſich
und nun hat er mir den herzlichen Gruß an Sie und
den Auftrag gegeben, den ich Ihnen mittheile, wenn
ich Ihnen ſeinen Nachlaß zeige.
„Die Männer traten wieder ein. Er wurde ſchwächer
und ſchwächer, die Zwiſchenräume tiefen, matten Schlum¬
mers länger. Gegen Abend aber richtete er ſich mit
unerwarteter Kraft im Bett auf und ſprach mit feſter
Stimme: ‚Ich hab's erleben dürfen, daß meine Nation
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/37>, abgerufen am 03.12.2024.
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