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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

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der Abendstunde aus dem Gestrüpp und Sumpfschlamm
Zeit herausgehoben. Ist er im Uebrigen ein Lump,
er mag es mit sich abmachen; hier wenigstens hat er
mit seiner Arbeit sich ein Verdienst erworben, worüber
sein Bewußtsein ihm ein gutes Zeugniß ausstellen darf.


Ich weiß ein armes Weib von fünfundachtzig
Jahren. Sie hat ihr Leben lang das Geschäft des
Gassenkehrens getrieben, und zwar mit Eifer, mit
Seele. Sie thut über Pflicht; sieht sie auch außer
der Arbeitstunde thierische Abfälle liegen, so springt sie
nach dem Besen. Das Weib ist heiter, gesund in
ihrem Alter, ganz Eins mit sich, ganz zufrieden,
klassisch gediegen. Ihr wird kein Monument errichtet
werden, sie weiß sich aber als nützliches Glied in der
unendlichen Kette wesentlicher menschlicher Thätigkeiten
und ist darin unsterblich.


Von der Dichtkunst erwartet die Mehrheit der
Menschen, sie solle ihnen ihre gewöhnlichen Vorstel¬
lungen, nur mit Flittern von Silber- und Goldpapier
aufgeputzt, angenehm entgegenbringen. Da sie in
Wahrheit das gemeine Weltbild vielmehr auf den
Kopf stellt, so wäre kein großer Dichter je berühmt
geworden, wenn nicht die Wenigen, welche wissen,

der Abendſtunde aus dem Geſtrüpp und Sumpfſchlamm
Zeit herausgehoben. Iſt er im Uebrigen ein Lump,
er mag es mit ſich abmachen; hier wenigſtens hat er
mit ſeiner Arbeit ſich ein Verdienſt erworben, worüber
ſein Bewußtſein ihm ein gutes Zeugniß ausſtellen darf.


Ich weiß ein armes Weib von fünfundachtzig
Jahren. Sie hat ihr Leben lang das Geſchäft des
Gaſſenkehrens getrieben, und zwar mit Eifer, mit
Seele. Sie thut über Pflicht; ſieht ſie auch außer
der Arbeitſtunde thieriſche Abfälle liegen, ſo ſpringt ſie
nach dem Beſen. Das Weib iſt heiter, geſund in
ihrem Alter, ganz Eins mit ſich, ganz zufrieden,
klaſſiſch gediegen. Ihr wird kein Monument errichtet
werden, ſie weiß ſich aber als nützliches Glied in der
unendlichen Kette weſentlicher menſchlicher Thätigkeiten
und iſt darin unſterblich.


Von der Dichtkunſt erwartet die Mehrheit der
Menſchen, ſie ſolle ihnen ihre gewöhnlichen Vorſtel¬
lungen, nur mit Flittern von Silber- und Goldpapier
aufgeputzt, angenehm entgegenbringen. Da ſie in
Wahrheit das gemeine Weltbild vielmehr auf den
Kopf ſtellt, ſo wäre kein großer Dichter je berühmt
geworden, wenn nicht die Wenigen, welche wiſſen,

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[360/0373] der Abendſtunde aus dem Geſtrüpp und Sumpfſchlamm Zeit herausgehoben. Iſt er im Uebrigen ein Lump, er mag es mit ſich abmachen; hier wenigſtens hat er mit ſeiner Arbeit ſich ein Verdienſt erworben, worüber ſein Bewußtſein ihm ein gutes Zeugniß ausſtellen darf. Ich weiß ein armes Weib von fünfundachtzig Jahren. Sie hat ihr Leben lang das Geſchäft des Gaſſenkehrens getrieben, und zwar mit Eifer, mit Seele. Sie thut über Pflicht; ſieht ſie auch außer der Arbeitſtunde thieriſche Abfälle liegen, ſo ſpringt ſie nach dem Beſen. Das Weib iſt heiter, geſund in ihrem Alter, ganz Eins mit ſich, ganz zufrieden, klaſſiſch gediegen. Ihr wird kein Monument errichtet werden, ſie weiß ſich aber als nützliches Glied in der unendlichen Kette weſentlicher menſchlicher Thätigkeiten und iſt darin unſterblich. Von der Dichtkunſt erwartet die Mehrheit der Menſchen, ſie ſolle ihnen ihre gewöhnlichen Vorſtel¬ lungen, nur mit Flittern von Silber- und Goldpapier aufgeputzt, angenehm entgegenbringen. Da ſie in Wahrheit das gemeine Weltbild vielmehr auf den Kopf ſtellt, ſo wäre kein großer Dichter je berühmt geworden, wenn nicht die Wenigen, welche wiſſen,

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/373>, abgerufen am 22.11.2024.