Theil der Menschen müsse sterben, ein anderer nicht, und Niemand wisse, ob er zur einen oder andern Klasse gehört: wie entsetzlich! Stelle dir immer vor, du fallest in der Schlacht, wo das Zusammensterben den Tod so sehr erleichtert. Das Allgemeine ist noth¬ wendig, ist ein Gesetz. Ein Gesetz fürchten ist kindisch. Du kannst doch nicht ansprechen, die Gattung zu sein! Was dir aber sicher hilft, das ist: lebe in der Gat¬ tung, im Allgemeinen, dann stirbst du nicht, obwohl du stirbst, und kannst sagen mit dem Römer: non omnis moriar.
Träger, schwerfällig trauriger Nachmittag. Unten im Hofe wird Holz gemacht. Ich muß immer dem Sägen zuhören. Zuerst ein scharfkratziger Ton, dann tiefer, breiter, dann kommen hohe Klagetöne des Scheits, als riefe es: jetzt kann ich nicht mehr lang widerstehen! es folgen noch einige kurze, gerupfte, schnell in der Skala sinkende, mürbe Laute und man hört die Klötze fallen. -- So sind mir die Freuden des Lebens durch¬ gesägt worden, eine um die andere, ich höre jetzt noch die Stümpfe zu Boden rumpeln.
Aber mit dem Holz hab' ich mir doch einen Ofen geheizt, den ich mir selbst gebaut habe.
Theil der Menſchen müſſe ſterben, ein anderer nicht, und Niemand wiſſe, ob er zur einen oder andern Klaſſe gehört: wie entſetzlich! Stelle dir immer vor, du falleſt in der Schlacht, wo das Zuſammenſterben den Tod ſo ſehr erleichtert. Das Allgemeine iſt noth¬ wendig, iſt ein Geſetz. Ein Geſetz fürchten iſt kindiſch. Du kannſt doch nicht anſprechen, die Gattung zu ſein! Was dir aber ſicher hilft, das iſt: lebe in der Gat¬ tung, im Allgemeinen, dann ſtirbſt du nicht, obwohl du ſtirbſt, und kannſt ſagen mit dem Römer: non omnis moriar.
Träger, ſchwerfällig trauriger Nachmittag. Unten im Hofe wird Holz gemacht. Ich muß immer dem Sägen zuhören. Zuerſt ein ſcharfkratziger Ton, dann tiefer, breiter, dann kommen hohe Klagetöne des Scheits, als riefe es: jetzt kann ich nicht mehr lang widerſtehen! es folgen noch einige kurze, gerupfte, ſchnell in der Skala ſinkende, mürbe Laute und man hört die Klötze fallen. — So ſind mir die Freuden des Lebens durch¬ geſägt worden, eine um die andere, ich höre jetzt noch die Stümpfe zu Boden rumpeln.
Aber mit dem Holz hab' ich mir doch einen Ofen geheizt, den ich mir ſelbſt gebaut habe.
<TEI><text><body><div><p><pbfacs="#f0391"n="378"/>
Theil der Menſchen müſſe ſterben, ein anderer nicht,<lb/>
und Niemand wiſſe, ob er zur einen oder andern<lb/>
Klaſſe gehört: wie entſetzlich! Stelle dir immer vor,<lb/>
du falleſt in der Schlacht, wo das Zuſammenſterben<lb/>
den Tod ſo ſehr erleichtert. Das Allgemeine iſt noth¬<lb/>
wendig, iſt ein Geſetz. Ein Geſetz fürchten iſt kindiſch.<lb/>
Du kannſt doch nicht anſprechen, die Gattung zu ſein!<lb/>
Was dir aber ſicher hilft, das iſt: lebe in der Gat¬<lb/>
tung, im Allgemeinen, dann ſtirbſt du nicht, obwohl<lb/>
du ſtirbſt, und kannſt ſagen mit dem Römer: <hirendition="#aq">non<lb/>
omnis moriar</hi>.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Träger, ſchwerfällig trauriger Nachmittag. Unten<lb/>
im Hofe wird Holz gemacht. Ich muß immer dem<lb/>
Sägen zuhören. Zuerſt ein ſcharfkratziger Ton, dann<lb/>
tiefer, breiter, dann kommen hohe Klagetöne des Scheits,<lb/>
als riefe es: jetzt kann ich nicht mehr lang widerſtehen!<lb/>
es folgen noch einige kurze, gerupfte, ſchnell in der<lb/>
Skala ſinkende, mürbe Laute und man hört die Klötze<lb/>
fallen. — So ſind mir die Freuden des Lebens durch¬<lb/>
geſägt worden, eine um die andere, ich höre jetzt noch<lb/>
die Stümpfe zu Boden rumpeln.</p><lb/><p>Aber mit dem Holz hab' ich mir doch einen Ofen<lb/>
geheizt, den ich mir ſelbſt gebaut habe.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></body></text></TEI>
[378/0391]
Theil der Menſchen müſſe ſterben, ein anderer nicht,
und Niemand wiſſe, ob er zur einen oder andern
Klaſſe gehört: wie entſetzlich! Stelle dir immer vor,
du falleſt in der Schlacht, wo das Zuſammenſterben
den Tod ſo ſehr erleichtert. Das Allgemeine iſt noth¬
wendig, iſt ein Geſetz. Ein Geſetz fürchten iſt kindiſch.
Du kannſt doch nicht anſprechen, die Gattung zu ſein!
Was dir aber ſicher hilft, das iſt: lebe in der Gat¬
tung, im Allgemeinen, dann ſtirbſt du nicht, obwohl
du ſtirbſt, und kannſt ſagen mit dem Römer: non
omnis moriar.
Träger, ſchwerfällig trauriger Nachmittag. Unten
im Hofe wird Holz gemacht. Ich muß immer dem
Sägen zuhören. Zuerſt ein ſcharfkratziger Ton, dann
tiefer, breiter, dann kommen hohe Klagetöne des Scheits,
als riefe es: jetzt kann ich nicht mehr lang widerſtehen!
es folgen noch einige kurze, gerupfte, ſchnell in der
Skala ſinkende, mürbe Laute und man hört die Klötze
fallen. — So ſind mir die Freuden des Lebens durch¬
geſägt worden, eine um die andere, ich höre jetzt noch
die Stümpfe zu Boden rumpeln.
Aber mit dem Holz hab' ich mir doch einen Ofen
geheizt, den ich mir ſelbſt gebaut habe.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/391>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.