Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857.
pvi_1258.001 §. 861. pvi_1258.011Die Gesetze der Composition können in der Lehre von der Poesie nur pvi_1258.012 Es ist klar, daß die Compositionsweise zu verschieden ist in Epos, pvi_1258.015
pvi_1258.001 §. 861. pvi_1258.011Die Gesetze der Composition können in der Lehre von der Poesie nur pvi_1258.012 Es ist klar, daß die Compositionsweise zu verschieden ist in Epos, pvi_1258.015 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0120" n="1258"/><lb n="pvi_1258.001"/> Fragt man endlich, ob der Reim auch der Melodie an sich verwandt sei, <lb n="pvi_1258.002"/> so ist dieß natürlich insofern zu verneinen, als auch er mit den Unterschieden <lb n="pvi_1258.003"/> der Tiefe und Höhe, deren charakteristische Folge ja das Wesen der Melodie <lb n="pvi_1258.004"/> bildet, nichts zu schaffen hat. Allein im Gange der Melodie entwickeln sich <lb n="pvi_1258.005"/> immer entsprechende Folgen, Verhältnisse wie Frage und Antwort tauchen <lb n="pvi_1258.006"/> auf, ein Steigen und Sinken zieht sich hindurch; indem nun der Reim ein <lb n="pvi_1258.007"/> System von lauter solchen Correspondenzen ist, so gemahnt er entfernt auch <lb n="pvi_1258.008"/> an den Wechsel von Höhe und Tiefe, in welchem die Musik als Melodie <lb n="pvi_1258.009"/> dieselben entwickelt.</hi> </p> </div> </div> <lb n="pvi_1258.010"/> <div n="3"> <p> <hi rendition="#c">§. 861.</hi> </p> <lb n="pvi_1258.011"/> <p> Die Gesetze der <hi rendition="#g">Composition</hi> können in der Lehre von der Poesie nur <lb n="pvi_1258.012"/> zugleich mit den <hi rendition="#g">Zweigen</hi> untersucht werden; die Darstellung der letzteren muß <lb n="pvi_1258.013"/> ferner auch die Hauptmomente der <hi rendition="#g">Geschichte</hi> dieser Kunst in sich schließen.</p> <lb n="pvi_1258.014"/> <p> <hi rendition="#et"> Es ist klar, daß die Compositionsweise zu verschieden ist in Epos, <lb n="pvi_1258.015"/> Lyrik und Drama, um von der Erörterung dieser Hauptformen, in die <lb n="pvi_1258.016"/> unsere Kunst sich verzweigt, getrennt und für sich behandelt zu werden. <lb n="pvi_1258.017"/> Sogleich die Frage, wie sich die Composition im Rhythmischen äußere, die <lb n="pvi_1258.018"/> hier unmittelbar im Zusammenhange zu liegen scheint, führt darauf: denn <lb n="pvi_1258.019"/> ganz ungleich ist in den Zweigen der Poesie der Umfang, in welchem der <lb n="pvi_1258.020"/> innere Rhythmus des poetischen Kunstwerks sich bestimmend nach dieser Seite <lb n="pvi_1258.021"/> hin ausspricht; insbesondere leuchtet von selbst ein, daß es die Lyrik sein <lb n="pvi_1258.022"/> wird, in welcher die Composition mit besonderer Entschiedenheit als rhythmischer <lb n="pvi_1258.023"/> Bau an den Tag treten muß; da wären wir also unmittelbar zu <lb n="pvi_1258.024"/> der letzteren geführt und dieß verbietet doch ein höheres Gesetz der Eintheilung. <lb n="pvi_1258.025"/> – Die Lehre von den Zweigen verschluckt aber nach der andern <lb n="pvi_1258.026"/> Seite auch einen ganzen Abschnitt, der bisher überall als dritter in unserer <lb n="pvi_1258.027"/> Anordnung aufgetreten ist. Die Kreuzung der logischen Eintheilung mit <lb n="pvi_1258.028"/> dem Geschichtlichen, wovon in §. 541 die Rede gewesen, ist nämlich in <lb n="pvi_1258.029"/> keiner Kunst so stark und bedeutungsvoll, wie in der Poesie, und fordert <lb n="pvi_1258.030"/> hier wirklich, daß die historische Entwicklung in die Lehre von den Zweigen <lb n="pvi_1258.031"/> sich auflöse. Schon in §. 846, Anm. 1. mußte ausgesprochen werden, daß <lb n="pvi_1258.032"/> jene sich nicht, wie bisher, vom Systematischen trennen lasse. Den eigentlichen <lb n="pvi_1258.033"/> Beweis hiefür wird die Ausführung selbst liefern.</hi> </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1258/0120]
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Fragt man endlich, ob der Reim auch der Melodie an sich verwandt sei, pvi_1258.002
so ist dieß natürlich insofern zu verneinen, als auch er mit den Unterschieden pvi_1258.003
der Tiefe und Höhe, deren charakteristische Folge ja das Wesen der Melodie pvi_1258.004
bildet, nichts zu schaffen hat. Allein im Gange der Melodie entwickeln sich pvi_1258.005
immer entsprechende Folgen, Verhältnisse wie Frage und Antwort tauchen pvi_1258.006
auf, ein Steigen und Sinken zieht sich hindurch; indem nun der Reim ein pvi_1258.007
System von lauter solchen Correspondenzen ist, so gemahnt er entfernt auch pvi_1258.008
an den Wechsel von Höhe und Tiefe, in welchem die Musik als Melodie pvi_1258.009
dieselben entwickelt.
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§. 861.
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Die Gesetze der Composition können in der Lehre von der Poesie nur pvi_1258.012
zugleich mit den Zweigen untersucht werden; die Darstellung der letzteren muß pvi_1258.013
ferner auch die Hauptmomente der Geschichte dieser Kunst in sich schließen.
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Es ist klar, daß die Compositionsweise zu verschieden ist in Epos, pvi_1258.015
Lyrik und Drama, um von der Erörterung dieser Hauptformen, in die pvi_1258.016
unsere Kunst sich verzweigt, getrennt und für sich behandelt zu werden. pvi_1258.017
Sogleich die Frage, wie sich die Composition im Rhythmischen äußere, die pvi_1258.018
hier unmittelbar im Zusammenhange zu liegen scheint, führt darauf: denn pvi_1258.019
ganz ungleich ist in den Zweigen der Poesie der Umfang, in welchem der pvi_1258.020
innere Rhythmus des poetischen Kunstwerks sich bestimmend nach dieser Seite pvi_1258.021
hin ausspricht; insbesondere leuchtet von selbst ein, daß es die Lyrik sein pvi_1258.022
wird, in welcher die Composition mit besonderer Entschiedenheit als rhythmischer pvi_1258.023
Bau an den Tag treten muß; da wären wir also unmittelbar zu pvi_1258.024
der letzteren geführt und dieß verbietet doch ein höheres Gesetz der Eintheilung. pvi_1258.025
– Die Lehre von den Zweigen verschluckt aber nach der andern pvi_1258.026
Seite auch einen ganzen Abschnitt, der bisher überall als dritter in unserer pvi_1258.027
Anordnung aufgetreten ist. Die Kreuzung der logischen Eintheilung mit pvi_1258.028
dem Geschichtlichen, wovon in §. 541 die Rede gewesen, ist nämlich in pvi_1258.029
keiner Kunst so stark und bedeutungsvoll, wie in der Poesie, und fordert pvi_1258.030
hier wirklich, daß die historische Entwicklung in die Lehre von den Zweigen pvi_1258.031
sich auflöse. Schon in §. 846, Anm. 1. mußte ausgesprochen werden, daß pvi_1258.032
jene sich nicht, wie bisher, vom Systematischen trennen lasse. Den eigentlichen pvi_1258.033
Beweis hiefür wird die Ausführung selbst liefern.
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