Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857.
pvi_1393.001 3. Daß jene Mittel, wodurch die Sprache aus einem todten Organe pvi_1393.030
pvi_1393.001 3. Daß jene Mittel, wodurch die Sprache aus einem todten Organe pvi_1393.030 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0255" n="1393"/><lb n="pvi_1393.001"/> hier zeigt sich der Unterschied vom logischen Gespräche an der Eile und <lb n="pvi_1393.002"/> Leidenschaftlichkeit dieses Zuwerfens. Der Dialog soll ja in die Handlung <lb n="pvi_1393.003"/> münden, er ist ja im Drama der Ausdruck davon, daß der bewegte Geist <lb n="pvi_1393.004"/> sich zur That erschließt, Arm und Hand, Schwert und jeden körperlichen <lb n="pvi_1393.005"/> Stoff von innen heraus in Bewegung setzt, der Dialog muß eben der Hebel <lb n="pvi_1393.006"/> dieses Uebergangs sein. Das Feuer, das ihn darum beherrschen soll, darf <lb n="pvi_1393.007"/> auch nicht bloß lyrische Jnnigkeit sein, die sich in Wechselgesängen des Gefühls <lb n="pvi_1393.008"/> ergeht. Es besteht allerdings auch im Dialog ein Unterschied zwischen <lb n="pvi_1393.009"/> dem mehr Lyrischen, wie namentlich in Liebes-Dramen (Romeo's und Juliens <lb n="pvi_1393.010"/> Gespräch nach der Brautnacht z. B. erinnert unmittelbar an die Tage= und <lb n="pvi_1393.011"/> Wächter-Lieder des Minnegesangs), in Parthieen des Jubels über Glück, der <lb n="pvi_1393.012"/> Wehklage über Unglück (so die gesang=artigen Wechselklagen der Frauen in <lb n="pvi_1393.013"/> Richard <hi rendition="#aq">III</hi>), zwischen dem mehr Logischen oder Gnomischen, wo es auf Rechtfertigung <lb n="pvi_1393.014"/> und Widerlegung ankommt, und dem eigentlich Dramatischen, wo der <lb n="pvi_1393.015"/> Affect entweder dunkler zu Grunde liegt, wie in den Gesprächen, durch welche <lb n="pvi_1393.016"/> Oedipus sein eigenes Unheil erforscht, der Ton der tiefen, furchtbaren Bangigkeit, <lb n="pvi_1393.017"/> in die der Unwille und die Ungeduld übergeht, oder wo er ganz <lb n="pvi_1393.018"/> ausbricht, der Entschluß da ist und die Vollziehung folgt; da aber schließlich <lb n="pvi_1393.019"/> Alles auf das letzte Moment führen soll, so muß dieß auch den ersteren <lb n="pvi_1393.020"/> Formen Ton und Farbe geben. Recht ganz dramatisch sind die vollen, <lb n="pvi_1393.021"/> gewaltigen Ergießungen affectvoller Beredtsamkeit, wo die kürzere Wechselrede <lb n="pvi_1393.022"/> wie in prachtvollen Strom sich sammelt und hervorstürzt; ein solcher <lb n="pvi_1393.023"/> Feuerstrom ist z. B. Apollon's Zornrede, womit er die Eumeniden aus <lb n="pvi_1393.024"/> seinem Tempel jagt (Eumeniden des Aeschylus). Der dramatische Dialog <lb n="pvi_1393.025"/> hat so seinen Rhythmus im Wechsel des Gedrängten und Entwickelten, des <lb n="pvi_1393.026"/> kühler Betrachtenden, wärmer Gefühlten, heiß Gewollten, des Stockens, <lb n="pvi_1393.027"/> Laufens, Stürzens und es ist eine feine Sache darum, ihn in diesem Sinne <lb n="pvi_1393.028"/> mit poetisch musikalischem Ohre zu belauschen.</hi> </p> <lb n="pvi_1393.029"/> <p> <hi rendition="#et"> 3. Daß jene Mittel, wodurch die Sprache aus einem todten Organe <lb n="pvi_1393.030"/> der Prosa zum idealen Leben, aus der Farblosigkeit zur Farbe gerufen wird <lb n="pvi_1393.031"/> und die wir in §. 850–854 besprochen haben, im Drama zur vollsten <lb n="pvi_1393.032"/> Kraft gelangen, bedarf keines Beweises. Namentlich wird die Rede besonders <lb n="pvi_1393.033"/> lebhaft in den sogen. Figuren sich bewegen. <anchor xml:id="vi057"/> Der Tropus wird <lb n="pvi_1393.034"/> wie in der Lyrik die kühnere Metapher dem auseinanderhaltenden und begründenden <lb n="pvi_1393.035"/> Gleichnisse vorziehen. <anchor xml:id="vi058"/> <note targetEnd="vi058" type="metapher" ana="#m1-0-1-1 #m1-8-1-2 #m1-11-1" target="vi057"> Hier wird die Bedeutung der Metapher für das Drama expliziert. </note> Wir verweisen speziell auf das, was in <lb n="pvi_1393.036"/> §. 854 über den Unterschied der Style in dieser Sphäre gesagt ist; jetzt <lb n="pvi_1393.037"/> handelt es sich zwar von einem Unterschiede der Zweige und der große <lb n="pvi_1393.038"/> Gegensatz der Style besteht neben diesem so, daß jede Stylrichtung in Epos, <lb n="pvi_1393.039"/> Lyrik, Drama ihren allgemeinen Charakter bewahrt; doch nicht, ohne ihn <lb n="pvi_1393.040"/> zu modificiren, und zwar so, daß auch der plastisch ideale Styl im Drama <lb n="pvi_1393.041"/> die überraschenderen, phantastischeren Bilder liebt, die übrigens dem charakteristischen </hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1393/0255]
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hier zeigt sich der Unterschied vom logischen Gespräche an der Eile und pvi_1393.002
Leidenschaftlichkeit dieses Zuwerfens. Der Dialog soll ja in die Handlung pvi_1393.003
münden, er ist ja im Drama der Ausdruck davon, daß der bewegte Geist pvi_1393.004
sich zur That erschließt, Arm und Hand, Schwert und jeden körperlichen pvi_1393.005
Stoff von innen heraus in Bewegung setzt, der Dialog muß eben der Hebel pvi_1393.006
dieses Uebergangs sein. Das Feuer, das ihn darum beherrschen soll, darf pvi_1393.007
auch nicht bloß lyrische Jnnigkeit sein, die sich in Wechselgesängen des Gefühls pvi_1393.008
ergeht. Es besteht allerdings auch im Dialog ein Unterschied zwischen pvi_1393.009
dem mehr Lyrischen, wie namentlich in Liebes-Dramen (Romeo's und Juliens pvi_1393.010
Gespräch nach der Brautnacht z. B. erinnert unmittelbar an die Tage= und pvi_1393.011
Wächter-Lieder des Minnegesangs), in Parthieen des Jubels über Glück, der pvi_1393.012
Wehklage über Unglück (so die gesang=artigen Wechselklagen der Frauen in pvi_1393.013
Richard III), zwischen dem mehr Logischen oder Gnomischen, wo es auf Rechtfertigung pvi_1393.014
und Widerlegung ankommt, und dem eigentlich Dramatischen, wo der pvi_1393.015
Affect entweder dunkler zu Grunde liegt, wie in den Gesprächen, durch welche pvi_1393.016
Oedipus sein eigenes Unheil erforscht, der Ton der tiefen, furchtbaren Bangigkeit, pvi_1393.017
in die der Unwille und die Ungeduld übergeht, oder wo er ganz pvi_1393.018
ausbricht, der Entschluß da ist und die Vollziehung folgt; da aber schließlich pvi_1393.019
Alles auf das letzte Moment führen soll, so muß dieß auch den ersteren pvi_1393.020
Formen Ton und Farbe geben. Recht ganz dramatisch sind die vollen, pvi_1393.021
gewaltigen Ergießungen affectvoller Beredtsamkeit, wo die kürzere Wechselrede pvi_1393.022
wie in prachtvollen Strom sich sammelt und hervorstürzt; ein solcher pvi_1393.023
Feuerstrom ist z. B. Apollon's Zornrede, womit er die Eumeniden aus pvi_1393.024
seinem Tempel jagt (Eumeniden des Aeschylus). Der dramatische Dialog pvi_1393.025
hat so seinen Rhythmus im Wechsel des Gedrängten und Entwickelten, des pvi_1393.026
kühler Betrachtenden, wärmer Gefühlten, heiß Gewollten, des Stockens, pvi_1393.027
Laufens, Stürzens und es ist eine feine Sache darum, ihn in diesem Sinne pvi_1393.028
mit poetisch musikalischem Ohre zu belauschen.
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3. Daß jene Mittel, wodurch die Sprache aus einem todten Organe pvi_1393.030
der Prosa zum idealen Leben, aus der Farblosigkeit zur Farbe gerufen wird pvi_1393.031
und die wir in §. 850–854 besprochen haben, im Drama zur vollsten pvi_1393.032
Kraft gelangen, bedarf keines Beweises. Namentlich wird die Rede besonders pvi_1393.033
lebhaft in den sogen. Figuren sich bewegen. Der Tropus wird pvi_1393.034
wie in der Lyrik die kühnere Metapher dem auseinanderhaltenden und begründenden pvi_1393.035
Gleichnisse vorziehen. Hier wird die Bedeutung der Metapher für das Drama expliziert. Wir verweisen speziell auf das, was in pvi_1393.036
§. 854 über den Unterschied der Style in dieser Sphäre gesagt ist; jetzt pvi_1393.037
handelt es sich zwar von einem Unterschiede der Zweige und der große pvi_1393.038
Gegensatz der Style besteht neben diesem so, daß jede Stylrichtung in Epos, pvi_1393.039
Lyrik, Drama ihren allgemeinen Charakter bewahrt; doch nicht, ohne ihn pvi_1393.040
zu modificiren, und zwar so, daß auch der plastisch ideale Styl im Drama pvi_1393.041
die überraschenderen, phantastischeren Bilder liebt, die übrigens dem charakteristischen
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