Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857.
pvi_1419.001 §. 909. pvi_1419.024Der Styl-Unterschied bildet eines der Momente für die allgemeine pvi_1419.025 Wir haben der festen, stehenden Eintheilung der Formen des Drama pvi_1419.032
pvi_1419.001 §. 909. pvi_1419.024Der Styl-Unterschied bildet eines der Momente für die allgemeine pvi_1419.025 Wir haben der festen, stehenden Eintheilung der Formen des Drama pvi_1419.032 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0281" n="1419"/><lb n="pvi_1419.001"/> (vergl. §. 476), ein Muster, worin das wahre Muster zwar frostig entstellt <lb n="pvi_1419.002"/> war, aber ein nothwendiges Mittleres, dessen unfreie Nachahmung der <lb n="pvi_1419.003"/> freien Aneignung des ächten Classischen, das man noch nicht verstand, vorangehen <lb n="pvi_1419.004"/> sollte. Es ist ein ähnlicher Gang wie die verschiedenen Stufen <lb n="pvi_1419.005"/> des Classicismus in der neueren Geschichte der Malerei §. 737 ff. – <lb n="pvi_1419.006"/> Jm Lustspiel hat das spanische Drama, abgesehen von den eigentlichen, <lb n="pvi_1419.007"/> stehenden Masken, die Charaktere immer maskenhaft behandelt, immer mehr <lb n="pvi_1419.008"/> komische Typen, als Jndividuen gehabt und das Gewicht auf die Komik <lb n="pvi_1419.009"/> der Fabel, auf die Jntrigue gelegt. Es verhält sich mit dem französischen, <lb n="pvi_1419.010"/> so bedeutend und fruchtbar seit Moliere der Geist der Nation in diesem <lb n="pvi_1419.011"/> Gebiete sich erwiesen hat, nicht anders: der feinste Witz in der Handlung <lb n="pvi_1419.012"/> und keine humoristische Tiefe und Jndividualität in den Charakteren, so <lb n="pvi_1419.013"/> ergötzlich sie auch als generelle Figuren sein mögen. Es ist im Wesentlichen <lb n="pvi_1419.014"/> immer die in's Moderne übersetzte römische Komödie. – Das italienische <lb n="pvi_1419.015"/> Drama ist dem französischen gefolgt. Was in diesen Literaturen durch Einflüsse <lb n="pvi_1419.016"/> des bürgerlichen, sozialen Drama's, das von England ausgieng, durch <lb n="pvi_1419.017"/> Diderot die erste Nachahmung fand, in Deutschland aufkam und dann nach <lb n="pvi_1419.018"/> Frankreich zurückwirkte, was ferner durch Einflüsse der deutschen romantischen <lb n="pvi_1419.019"/> Schule entstanden ist, verfolgen wir hier nicht weiter: es sind Schritte zum <lb n="pvi_1419.020"/> charakteristischen, naturwahren Style mit starker Neigung zum falschen Effect <lb n="pvi_1419.021"/> und zum Grassen; die höchste Aufgabe dieses Styls, die Tiefe der Jndividualisirung, <lb n="pvi_1419.022"/> blieb, wie gesagt, den Deutschen als Aufgabe vorbehalten.</hi> </p> </div> <lb n="pvi_1419.023"/> <div n="4"> <p> <hi rendition="#c">§. 909.</hi> </p> <lb n="pvi_1419.024"/> <p> Der Styl-Unterschied bildet eines der Momente für die <hi rendition="#g">allgemeine <lb n="pvi_1419.025"/> Eintheilung des Drama's.</hi> Der oberste, durchgreifende Gegensatz aber <lb n="pvi_1419.026"/> ist der des <hi rendition="#g">Tragischen</hi> und <hi rendition="#g">Komischen.</hi> Glückliche Lösung tragischer <lb n="pvi_1419.027"/> Conflicte begründet keine eigene Form, sondern das Drama solchen Jnhalts <lb n="pvi_1419.028"/> fällt je nach Stoff und Behandlung in das eine oder andere dieser zwei Gebiete. <lb n="pvi_1419.029"/> Die verschiedenen Formen des Tragischen und Komischen treten als eines der <lb n="pvi_1419.030"/> Motive für die Unter-Eintheilung auf.</p> <lb n="pvi_1419.031"/> <p> <hi rendition="#et"> Wir haben der festen, stehenden Eintheilung der Formen des Drama <lb n="pvi_1419.032"/> eine historische Beleuchtung der Stylprinzipien vorangeschickt, die jedoch mit <lb n="pvi_1419.033"/> der Aufzeigung eines bleibenden Gegensatzes schloß und dieser wird denn <lb n="pvi_1419.034"/> weiterhin als einer der Eintheilungsgründe auftreten. Es bedarf aber keiner <lb n="pvi_1419.035"/> Nachweisung mehr, daß im Gebiete des Drama das Tragische und Komische <lb n="pvi_1419.036"/> den entscheidenden, höchsten Eintheilungsgrund abgibt, wir verweisen auf <lb n="pvi_1419.037"/> §. 540, 1. §. 864. 899. 900; es kann sich nur fragen, ob nicht eine dritte <lb n="pvi_1419.038"/> Gattung aufgestellt werden müsse, worin dieser Gegensatz aufgelöst sei. </hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1419/0281]
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(vergl. §. 476), ein Muster, worin das wahre Muster zwar frostig entstellt pvi_1419.002
war, aber ein nothwendiges Mittleres, dessen unfreie Nachahmung der pvi_1419.003
freien Aneignung des ächten Classischen, das man noch nicht verstand, vorangehen pvi_1419.004
sollte. Es ist ein ähnlicher Gang wie die verschiedenen Stufen pvi_1419.005
des Classicismus in der neueren Geschichte der Malerei §. 737 ff. – pvi_1419.006
Jm Lustspiel hat das spanische Drama, abgesehen von den eigentlichen, pvi_1419.007
stehenden Masken, die Charaktere immer maskenhaft behandelt, immer mehr pvi_1419.008
komische Typen, als Jndividuen gehabt und das Gewicht auf die Komik pvi_1419.009
der Fabel, auf die Jntrigue gelegt. Es verhält sich mit dem französischen, pvi_1419.010
so bedeutend und fruchtbar seit Moliere der Geist der Nation in diesem pvi_1419.011
Gebiete sich erwiesen hat, nicht anders: der feinste Witz in der Handlung pvi_1419.012
und keine humoristische Tiefe und Jndividualität in den Charakteren, so pvi_1419.013
ergötzlich sie auch als generelle Figuren sein mögen. Es ist im Wesentlichen pvi_1419.014
immer die in's Moderne übersetzte römische Komödie. – Das italienische pvi_1419.015
Drama ist dem französischen gefolgt. Was in diesen Literaturen durch Einflüsse pvi_1419.016
des bürgerlichen, sozialen Drama's, das von England ausgieng, durch pvi_1419.017
Diderot die erste Nachahmung fand, in Deutschland aufkam und dann nach pvi_1419.018
Frankreich zurückwirkte, was ferner durch Einflüsse der deutschen romantischen pvi_1419.019
Schule entstanden ist, verfolgen wir hier nicht weiter: es sind Schritte zum pvi_1419.020
charakteristischen, naturwahren Style mit starker Neigung zum falschen Effect pvi_1419.021
und zum Grassen; die höchste Aufgabe dieses Styls, die Tiefe der Jndividualisirung, pvi_1419.022
blieb, wie gesagt, den Deutschen als Aufgabe vorbehalten.
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§. 909.
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Der Styl-Unterschied bildet eines der Momente für die allgemeine pvi_1419.025
Eintheilung des Drama's. Der oberste, durchgreifende Gegensatz aber pvi_1419.026
ist der des Tragischen und Komischen. Glückliche Lösung tragischer pvi_1419.027
Conflicte begründet keine eigene Form, sondern das Drama solchen Jnhalts pvi_1419.028
fällt je nach Stoff und Behandlung in das eine oder andere dieser zwei Gebiete. pvi_1419.029
Die verschiedenen Formen des Tragischen und Komischen treten als eines der pvi_1419.030
Motive für die Unter-Eintheilung auf.
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Wir haben der festen, stehenden Eintheilung der Formen des Drama pvi_1419.032
eine historische Beleuchtung der Stylprinzipien vorangeschickt, die jedoch mit pvi_1419.033
der Aufzeigung eines bleibenden Gegensatzes schloß und dieser wird denn pvi_1419.034
weiterhin als einer der Eintheilungsgründe auftreten. Es bedarf aber keiner pvi_1419.035
Nachweisung mehr, daß im Gebiete des Drama das Tragische und Komische pvi_1419.036
den entscheidenden, höchsten Eintheilungsgrund abgibt, wir verweisen auf pvi_1419.037
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Gattung aufgestellt werden müsse, worin dieser Gegensatz aufgelöst sei.
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