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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

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und oft länger als der Körper selbst ist. Bei den meisten Gattungen
hat diese rüsselartige Schlundröhre eine runde Oeffnung, bei andern
befinden sich oft selbst verzweigte Lappen daran, welche die Beute um-
fassen. Diese Schlundröhre führt in eine mehr oder minder runde
Centralhöhle, die zuweilen gefäßartig verlängert ist und von wel-
cher eine Menge baumartig verästelter blindendigender Zweige aus-
gehen, welche den ganzen Leib durchziehen. Bei der andern Familie
findet sich nur ein einfacher gerader Darm ohne Schlundröhre und
After. Das Gefäßsystem besteht aus einer das Gehirn umgebenden
contractilen Blase, von welcher aus feine Gefäße sich in dem Körper
netzartig verbreiten. Alle Sohlenwürmer sind Hermaphroditen
und zwar haben die im süßen Wasser lebenden meist eine einzige ge-
meinschaftliche, die im Meere lebenden dagegen gesonderte Oeffnungen
für die beiden Geschlechtsorgane. Die Eier sollen sich im Gewebe des
Körpers selbst entwickeln, wenigstens hat man bis jetzt noch keinen be-
sonders abgegrenzten Eierstock wahrnehmen können. Sie gelangen in
zwei trompetenförmige Kanäle, die sich in eine mittlere Begattungstasche
vereinigen, welche hinter dem Munde nach Außen mündet. Die Hoden
bestehen aus zwei langen gewundenen Schläuchen, deren Ausführungs-
gänge in eine Samentasche münden, in welcher sich ein einfaches Be-
gattungsorgan befindet.

Die Entwicklung der Eier weicht auf noch unerklärte Weise von
derjenigen der übrigen Thiere ab. Es bilden sich nämlich im Dotter eigen-
thümliche Zellen, die sehr sonderbare selbstständige Zusammenziehun-
gen zeigen. Nach einiger Zeit hören diese Bewegungen auf, die Zellen
fließen hie und da zusammen, bilden Inseln von Dottermassen in unbe-
stimmter Zahl, die sich allmählig abgrenzen, mit Wimperhaaren über-
ziehen und nun als selbstständige Embryonen erscheinen. Die Schlund-
röhre entwickelt sich bei diesen Embryonen zuerst, verschluckt die noch
übrigen Dotterzellen und nun plattet sich der früher kugelförmige Em-
bryo allmählig ab und durchbricht endlich in einer dem Mutterthiere
sehr ähnlichen Gestalt die Eischale. Je mehr Embryonen sich in einem
Ei bilden (wovon ihre Zahl abhängt ist noch ein Räthsel), desto
kleiner sind die kleinen Sohlenwürmer, wenn sie das Ei verlassen.

Wir unterscheiden bei dieser Ordnung zwei Familien. Die eine
Familie, die Schwarzwürmer (Rhabdocoela), besteht aus mehren, meist
sehr unvollständig gekannten Gattungen, die alle einen geraden, after-
losen Darm, keine Nesselorgane in der Haut und einen gleichförmigen
Wimperüberzug des kleinen Körpers besitzen. Die Stellung des gro-

und oft länger als der Körper ſelbſt iſt. Bei den meiſten Gattungen
hat dieſe rüſſelartige Schlundröhre eine runde Oeffnung, bei andern
befinden ſich oft ſelbſt verzweigte Lappen daran, welche die Beute um-
faſſen. Dieſe Schlundröhre führt in eine mehr oder minder runde
Centralhöhle, die zuweilen gefäßartig verlängert iſt und von wel-
cher eine Menge baumartig veräſtelter blindendigender Zweige aus-
gehen, welche den ganzen Leib durchziehen. Bei der andern Familie
findet ſich nur ein einfacher gerader Darm ohne Schlundröhre und
After. Das Gefäßſyſtem beſteht aus einer das Gehirn umgebenden
contractilen Blaſe, von welcher aus feine Gefäße ſich in dem Körper
netzartig verbreiten. Alle Sohlenwürmer ſind Hermaphroditen
und zwar haben die im ſüßen Waſſer lebenden meiſt eine einzige ge-
meinſchaftliche, die im Meere lebenden dagegen geſonderte Oeffnungen
für die beiden Geſchlechtsorgane. Die Eier ſollen ſich im Gewebe des
Körpers ſelbſt entwickeln, wenigſtens hat man bis jetzt noch keinen be-
ſonders abgegrenzten Eierſtock wahrnehmen können. Sie gelangen in
zwei trompetenförmige Kanäle, die ſich in eine mittlere Begattungstaſche
vereinigen, welche hinter dem Munde nach Außen mündet. Die Hoden
beſtehen aus zwei langen gewundenen Schläuchen, deren Ausführungs-
gänge in eine Samentaſche münden, in welcher ſich ein einfaches Be-
gattungsorgan befindet.

Die Entwicklung der Eier weicht auf noch unerklärte Weiſe von
derjenigen der übrigen Thiere ab. Es bilden ſich nämlich im Dotter eigen-
thümliche Zellen, die ſehr ſonderbare ſelbſtſtändige Zuſammenziehun-
gen zeigen. Nach einiger Zeit hören dieſe Bewegungen auf, die Zellen
fließen hie und da zuſammen, bilden Inſeln von Dottermaſſen in unbe-
ſtimmter Zahl, die ſich allmählig abgrenzen, mit Wimperhaaren über-
ziehen und nun als ſelbſtſtändige Embryonen erſcheinen. Die Schlund-
röhre entwickelt ſich bei dieſen Embryonen zuerſt, verſchluckt die noch
übrigen Dotterzellen und nun plattet ſich der früher kugelförmige Em-
bryo allmählig ab und durchbricht endlich in einer dem Mutterthiere
ſehr ähnlichen Geſtalt die Eiſchale. Je mehr Embryonen ſich in einem
Ei bilden (wovon ihre Zahl abhängt iſt noch ein Räthſel), deſto
kleiner ſind die kleinen Sohlenwürmer, wenn ſie das Ei verlaſſen.

Wir unterſcheiden bei dieſer Ordnung zwei Familien. Die eine
Familie, die Schwarzwürmer (Rhabdocoela), beſteht aus mehren, meiſt
ſehr unvollſtändig gekannten Gattungen, die alle einen geraden, after-
loſen Darm, keine Neſſelorgane in der Haut und einen gleichförmigen
Wimperüberzug des kleinen Körpers beſitzen. Die Stellung des gro-

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[206/0212] und oft länger als der Körper ſelbſt iſt. Bei den meiſten Gattungen hat dieſe rüſſelartige Schlundröhre eine runde Oeffnung, bei andern befinden ſich oft ſelbſt verzweigte Lappen daran, welche die Beute um- faſſen. Dieſe Schlundröhre führt in eine mehr oder minder runde Centralhöhle, die zuweilen gefäßartig verlängert iſt und von wel- cher eine Menge baumartig veräſtelter blindendigender Zweige aus- gehen, welche den ganzen Leib durchziehen. Bei der andern Familie findet ſich nur ein einfacher gerader Darm ohne Schlundröhre und After. Das Gefäßſyſtem beſteht aus einer das Gehirn umgebenden contractilen Blaſe, von welcher aus feine Gefäße ſich in dem Körper netzartig verbreiten. Alle Sohlenwürmer ſind Hermaphroditen und zwar haben die im ſüßen Waſſer lebenden meiſt eine einzige ge- meinſchaftliche, die im Meere lebenden dagegen geſonderte Oeffnungen für die beiden Geſchlechtsorgane. Die Eier ſollen ſich im Gewebe des Körpers ſelbſt entwickeln, wenigſtens hat man bis jetzt noch keinen be- ſonders abgegrenzten Eierſtock wahrnehmen können. Sie gelangen in zwei trompetenförmige Kanäle, die ſich in eine mittlere Begattungstaſche vereinigen, welche hinter dem Munde nach Außen mündet. Die Hoden beſtehen aus zwei langen gewundenen Schläuchen, deren Ausführungs- gänge in eine Samentaſche münden, in welcher ſich ein einfaches Be- gattungsorgan befindet. Die Entwicklung der Eier weicht auf noch unerklärte Weiſe von derjenigen der übrigen Thiere ab. Es bilden ſich nämlich im Dotter eigen- thümliche Zellen, die ſehr ſonderbare ſelbſtſtändige Zuſammenziehun- gen zeigen. Nach einiger Zeit hören dieſe Bewegungen auf, die Zellen fließen hie und da zuſammen, bilden Inſeln von Dottermaſſen in unbe- ſtimmter Zahl, die ſich allmählig abgrenzen, mit Wimperhaaren über- ziehen und nun als ſelbſtſtändige Embryonen erſcheinen. Die Schlund- röhre entwickelt ſich bei dieſen Embryonen zuerſt, verſchluckt die noch übrigen Dotterzellen und nun plattet ſich der früher kugelförmige Em- bryo allmählig ab und durchbricht endlich in einer dem Mutterthiere ſehr ähnlichen Geſtalt die Eiſchale. Je mehr Embryonen ſich in einem Ei bilden (wovon ihre Zahl abhängt iſt noch ein Räthſel), deſto kleiner ſind die kleinen Sohlenwürmer, wenn ſie das Ei verlaſſen. Wir unterſcheiden bei dieſer Ordnung zwei Familien. Die eine Familie, die Schwarzwürmer (Rhabdocoela), beſteht aus mehren, meiſt ſehr unvollſtändig gekannten Gattungen, die alle einen geraden, after- loſen Darm, keine Neſſelorgane in der Haut und einen gleichförmigen Wimperüberzug des kleinen Körpers beſitzen. Die Stellung des gro-

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/212>, abgerufen am 10.05.2024.