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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

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aus dem Eie an, gewisse Stufen der Organisation durchlaufe, welche
den Bildungsständen, in denen die niedern Thiere desselben Typus verhar-
ren, parallel gehen, ohne jemals eine völlige Gleichstellung zu erreichen.
Man kann in der That nachweisen, daß der Embryo eines Säugethieres
z. B. in frühester Zeit gewisse Organisationseigenthümlichkeiten besitzt,
welche nur den Fischen und auch diesen nur auf der niedrigsten Stufe
zukommen; man kann nachweisen, daß die allmählige Ausbildung des
jungen Säugethieres Stadien durchläuft, welche der Ausbildung der
erwachsenen Amphibien entsprechen. Die Vertheidiger der ununter-
brochenen Reihe in der Thierwelt haben sogar behauptet, diese Aehn-
lichkeit gehe bis zur vollständigen Identität und das werdende Säuge-
thier sei in seinem ersten Entwickelungszustande Infusionsthierchen,
Wurm, Weichthier, Fisch u. s. w. Diese Behauptungen überschreiten
die Grenzen der Wahrheit. In der Entwickelung eines jeden Thieres
läßt sich von Anfang an mit Sicherheit neben dem allgemeinen Grund-
plane, wonach das Thier diesem oder jenem größeren Organisationstypus
angehört, die specielle Richtung sehr wohl erkennen, nach welcher hin
seine Ausbildung fortschreiten wird und wenn auch der Säugethierembryo
in seinen Anfängen fischähnliche Ausbildung mancher Organe zeigt,
so ist doch niemals seine Gesammtorganisation derjenigen eines Fisches
gleich oder ein selbstständiges Leben für ihn in diesem Zustande der
Ausbildung möglich. Der Embryo des vollkommneren Thieres durch-
läuft daher in seiner Entwickelung zwar Bildungsmomente, welche
denjenigen der niedern Thiere desselben Typus analog sind, niemals
aber ist seine vorübergehende Organisation vollkommen gleich derjenigen
der niederen Thiere in ihrem erwachsenen Zustande.

Noch mehr der Wahrheit entgegen ist es, wenn man, auf un-
genaue Beobachtungen gestützt, behauptet, die vollkommenen Thiere
durchliefen in ihrer Entwickelung Zustände, welche den erwachsenen
Thieren anderer Grundtypen analog seien; -- wenn man, wie die An-
hänger der ununterbrochenen Stufenleiter in der Schöpfung es oft
thaten, z. B. behauptet, der Vogel sei während seiner Entwickelung
aus dem Eie zuerst Infusionsthierchen, dann Weichthier, dann Fisch
u. s. w. Zu keiner Zeit seiner Existenz gleicht der Vogelembryo einem Insekt
oder einem Weichthier, zu keiner Zeit gleicht das werdende Insekt
einem Weichthiere oder einem Strahlthiere; gemeinsam ist allen nur
der Typus, nach welchem das ursprüngliche Ei gebildet ist. Mit dem
ersten Augenblicke der Formbildung des neuen Individuums in dem Eie
tritt aber auch der Grundtypus hervor, welcher in den einzelnen Ab-
theilungen des Thierreiches ausgebildet ist.


Vogt, Zoologische Briefe. I. 2

aus dem Eie an, gewiſſe Stufen der Organiſation durchlaufe, welche
den Bildungsſtänden, in denen die niedern Thiere desſelben Typus verhar-
ren, parallel gehen, ohne jemals eine völlige Gleichſtellung zu erreichen.
Man kann in der That nachweiſen, daß der Embryo eines Säugethieres
z. B. in früheſter Zeit gewiſſe Organiſationseigenthümlichkeiten beſitzt,
welche nur den Fiſchen und auch dieſen nur auf der niedrigſten Stufe
zukommen; man kann nachweiſen, daß die allmählige Ausbildung des
jungen Säugethieres Stadien durchläuft, welche der Ausbildung der
erwachſenen Amphibien entſprechen. Die Vertheidiger der ununter-
brochenen Reihe in der Thierwelt haben ſogar behauptet, dieſe Aehn-
lichkeit gehe bis zur vollſtändigen Identität und das werdende Säuge-
thier ſei in ſeinem erſten Entwickelungszuſtande Infuſionsthierchen,
Wurm, Weichthier, Fiſch u. ſ. w. Dieſe Behauptungen überſchreiten
die Grenzen der Wahrheit. In der Entwickelung eines jeden Thieres
läßt ſich von Anfang an mit Sicherheit neben dem allgemeinen Grund-
plane, wonach das Thier dieſem oder jenem größeren Organiſationstypus
angehört, die ſpecielle Richtung ſehr wohl erkennen, nach welcher hin
ſeine Ausbildung fortſchreiten wird und wenn auch der Säugethierembryo
in ſeinen Anfängen fiſchähnliche Ausbildung mancher Organe zeigt,
ſo iſt doch niemals ſeine Geſammtorganiſation derjenigen eines Fiſches
gleich oder ein ſelbſtſtändiges Leben für ihn in dieſem Zuſtande der
Ausbildung möglich. Der Embryo des vollkommneren Thieres durch-
läuft daher in ſeiner Entwickelung zwar Bildungsmomente, welche
denjenigen der niedern Thiere desſelben Typus analog ſind, niemals
aber iſt ſeine vorübergehende Organiſation vollkommen gleich derjenigen
der niederen Thiere in ihrem erwachſenen Zuſtande.

Noch mehr der Wahrheit entgegen iſt es, wenn man, auf un-
genaue Beobachtungen geſtützt, behauptet, die vollkommenen Thiere
durchliefen in ihrer Entwickelung Zuſtände, welche den erwachſenen
Thieren anderer Grundtypen analog ſeien; — wenn man, wie die An-
hänger der ununterbrochenen Stufenleiter in der Schöpfung es oft
thaten, z. B. behauptet, der Vogel ſei während ſeiner Entwickelung
aus dem Eie zuerſt Infuſionsthierchen, dann Weichthier, dann Fiſch
u. ſ. w. Zu keiner Zeit ſeiner Exiſtenz gleicht der Vogelembryo einem Inſekt
oder einem Weichthier, zu keiner Zeit gleicht das werdende Inſekt
einem Weichthiere oder einem Strahlthiere; gemeinſam iſt allen nur
der Typus, nach welchem das urſprüngliche Ei gebildet iſt. Mit dem
erſten Augenblicke der Formbildung des neuen Individuums in dem Eie
tritt aber auch der Grundtypus hervor, welcher in den einzelnen Ab-
theilungen des Thierreiches ausgebildet iſt.


Vogt, Zoologiſche Briefe. I. 2
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[17/0023] aus dem Eie an, gewiſſe Stufen der Organiſation durchlaufe, welche den Bildungsſtänden, in denen die niedern Thiere desſelben Typus verhar- ren, parallel gehen, ohne jemals eine völlige Gleichſtellung zu erreichen. Man kann in der That nachweiſen, daß der Embryo eines Säugethieres z. B. in früheſter Zeit gewiſſe Organiſationseigenthümlichkeiten beſitzt, welche nur den Fiſchen und auch dieſen nur auf der niedrigſten Stufe zukommen; man kann nachweiſen, daß die allmählige Ausbildung des jungen Säugethieres Stadien durchläuft, welche der Ausbildung der erwachſenen Amphibien entſprechen. Die Vertheidiger der ununter- brochenen Reihe in der Thierwelt haben ſogar behauptet, dieſe Aehn- lichkeit gehe bis zur vollſtändigen Identität und das werdende Säuge- thier ſei in ſeinem erſten Entwickelungszuſtande Infuſionsthierchen, Wurm, Weichthier, Fiſch u. ſ. w. Dieſe Behauptungen überſchreiten die Grenzen der Wahrheit. In der Entwickelung eines jeden Thieres läßt ſich von Anfang an mit Sicherheit neben dem allgemeinen Grund- plane, wonach das Thier dieſem oder jenem größeren Organiſationstypus angehört, die ſpecielle Richtung ſehr wohl erkennen, nach welcher hin ſeine Ausbildung fortſchreiten wird und wenn auch der Säugethierembryo in ſeinen Anfängen fiſchähnliche Ausbildung mancher Organe zeigt, ſo iſt doch niemals ſeine Geſammtorganiſation derjenigen eines Fiſches gleich oder ein ſelbſtſtändiges Leben für ihn in dieſem Zuſtande der Ausbildung möglich. Der Embryo des vollkommneren Thieres durch- läuft daher in ſeiner Entwickelung zwar Bildungsmomente, welche denjenigen der niedern Thiere desſelben Typus analog ſind, niemals aber iſt ſeine vorübergehende Organiſation vollkommen gleich derjenigen der niederen Thiere in ihrem erwachſenen Zuſtande. Noch mehr der Wahrheit entgegen iſt es, wenn man, auf un- genaue Beobachtungen geſtützt, behauptet, die vollkommenen Thiere durchliefen in ihrer Entwickelung Zuſtände, welche den erwachſenen Thieren anderer Grundtypen analog ſeien; — wenn man, wie die An- hänger der ununterbrochenen Stufenleiter in der Schöpfung es oft thaten, z. B. behauptet, der Vogel ſei während ſeiner Entwickelung aus dem Eie zuerſt Infuſionsthierchen, dann Weichthier, dann Fiſch u. ſ. w. Zu keiner Zeit ſeiner Exiſtenz gleicht der Vogelembryo einem Inſekt oder einem Weichthier, zu keiner Zeit gleicht das werdende Inſekt einem Weichthiere oder einem Strahlthiere; gemeinſam iſt allen nur der Typus, nach welchem das urſprüngliche Ei gebildet iſt. Mit dem erſten Augenblicke der Formbildung des neuen Individuums in dem Eie tritt aber auch der Grundtypus hervor, welcher in den einzelnen Ab- theilungen des Thierreiches ausgebildet iſt. Vogt, Zoologiſche Briefe. I. 2

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/23>, abgerufen am 27.04.2024.