jenes Thier, dessen isolirte Kenntniß man längst hatte, nur die Ent- wickelungsstufe eines andern sei, welches man gänzlich davon verschie- den glaubte. Besonders bei den niedern Thieren, denen man erst in der neuesten Zeit die vollste Aufmerksamkeit zuwandte, deren Organi- sation ihres abweichenden Typus wegen so räthselhaft war und deren Lebensweise oft nur durch glückliche Zufälle stückweise aufgehellt wurde, besonders bei diesen waren und sind Versehen dieser Art noch jetzt außerordentlich häufig. Hat man aber ein Recht, aus solchen Irr- thümern die Nichtigkeit des Artbegriffes herzuleiten, oder müssen sie nicht vielmehr dazu dienen, die Lücken unserer Beobachtungen anerken- nen zu lassen und zu ihrer Ausfüllung aufzufordern?
Man hat auf der anderen Seite eingeworfen, daß die tägliche Beobachtung uns zeige, wie allerdings durch dauernde Einwirkung be- stimmter Einflüsse, besonders des Klima's und der Nahrung, in auf- einander folgenden Generationen Veränderungen erzeugt werden kön- nen, die bedeutender seien, als diejenigen Merkmale zulassen, welche man für die Art angiebt; -- allein auch hier hat die Beobachtung, so weit sie möglich war, nachgewiesen, daß die Art in ihren Haupt- zügen unveränderlich sei und daß es nur ein Mißgriff der Zoologen war, wenn man die Charaktere der Art wirklich von solchen Merk- malen hergenommen hatte, welche durch die äußeren Umstände geändert werden konnten. Die Beobachtungszeit eines einzelnen Forschers über die andauernden Wirkungen veränderter äußerer Einflüsse ist freilich nur kurz und im Verhältniß zur Dauer der Geschichtsperioden des Erdkörpers verschwindend klein; wir haben aber nichts desto weniger Mittel zur Hand, wodurch wir nachweisen können, daß wenigstens seit der Zeit, aus welcher wir geschichtliche Denkmale besitzen, die Charaktere der Arten unverändert geblieben sind. Die alten indischen Denkmäler lassen den asiatischen Elephanten und den heiligen Buckel- ochsen mit vollkommener Sicherheit unterscheiden, und die Mumien der Krokodille, des Ibis, des Ichneumon und des heiligen Käfers der Aegypter, von denen einige nach den neueren Forschungen zum we- nigsten Zeitgenossen von Adam nach der jüdisch-christlichen Chronologie waren, sind bis auf die kleinsten Einzelnheiten in ihrer Struktur iden- tisch mit den Thieren, welche heute noch an den Ufern des Nils leben; wir können also mit vollkommener Sicherheit behaupten, daß bei den in wildem Zustand lebenden Thieren die Charaktere der Art unver- änderlich sind und daß die Vergleichung dieser Charaktere die mangelnde Beobachtung der direkten Abstammung ersetzen kann.
Man hat die Erkenntniß dieser Wahrheit zum Theil auch in der
jenes Thier, deſſen iſolirte Kenntniß man längſt hatte, nur die Ent- wickelungsſtufe eines andern ſei, welches man gänzlich davon verſchie- den glaubte. Beſonders bei den niedern Thieren, denen man erſt in der neueſten Zeit die vollſte Aufmerkſamkeit zuwandte, deren Organi- ſation ihres abweichenden Typus wegen ſo räthſelhaft war und deren Lebensweiſe oft nur durch glückliche Zufälle ſtückweiſe aufgehellt wurde, beſonders bei dieſen waren und ſind Verſehen dieſer Art noch jetzt außerordentlich häufig. Hat man aber ein Recht, aus ſolchen Irr- thümern die Nichtigkeit des Artbegriffes herzuleiten, oder müſſen ſie nicht vielmehr dazu dienen, die Lücken unſerer Beobachtungen anerken- nen zu laſſen und zu ihrer Ausfüllung aufzufordern?
Man hat auf der anderen Seite eingeworfen, daß die tägliche Beobachtung uns zeige, wie allerdings durch dauernde Einwirkung be- ſtimmter Einflüſſe, beſonders des Klima’s und der Nahrung, in auf- einander folgenden Generationen Veränderungen erzeugt werden kön- nen, die bedeutender ſeien, als diejenigen Merkmale zulaſſen, welche man für die Art angiebt; — allein auch hier hat die Beobachtung, ſo weit ſie möglich war, nachgewieſen, daß die Art in ihren Haupt- zügen unveränderlich ſei und daß es nur ein Mißgriff der Zoologen war, wenn man die Charaktere der Art wirklich von ſolchen Merk- malen hergenommen hatte, welche durch die äußeren Umſtände geändert werden konnten. Die Beobachtungszeit eines einzelnen Forſchers über die andauernden Wirkungen veränderter äußerer Einflüſſe iſt freilich nur kurz und im Verhältniß zur Dauer der Geſchichtsperioden des Erdkörpers verſchwindend klein; wir haben aber nichts deſto weniger Mittel zur Hand, wodurch wir nachweiſen können, daß wenigſtens ſeit der Zeit, aus welcher wir geſchichtliche Denkmale beſitzen, die Charaktere der Arten unverändert geblieben ſind. Die alten indiſchen Denkmäler laſſen den aſiatiſchen Elephanten und den heiligen Buckel- ochſen mit vollkommener Sicherheit unterſcheiden, und die Mumien der Krokodille, des Ibis, des Ichneumon und des heiligen Käfers der Aegypter, von denen einige nach den neueren Forſchungen zum we- nigſten Zeitgenoſſen von Adam nach der jüdiſch-chriſtlichen Chronologie waren, ſind bis auf die kleinſten Einzelnheiten in ihrer Struktur iden- tiſch mit den Thieren, welche heute noch an den Ufern des Nils leben; wir können alſo mit vollkommener Sicherheit behaupten, daß bei den in wildem Zuſtand lebenden Thieren die Charaktere der Art unver- änderlich ſind und daß die Vergleichung dieſer Charaktere die mangelnde Beobachtung der direkten Abſtammung erſetzen kann.
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jenes Thier, deſſen iſolirte Kenntniß man längſt hatte, nur die Ent-
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den glaubte. Beſonders bei den niedern Thieren, denen man erſt in
der neueſten Zeit die vollſte Aufmerkſamkeit zuwandte, deren Organi-
ſation ihres abweichenden Typus wegen ſo räthſelhaft war und deren
Lebensweiſe oft nur durch glückliche Zufälle ſtückweiſe aufgehellt wurde,
beſonders bei dieſen waren und ſind Verſehen dieſer Art noch jetzt
außerordentlich häufig. Hat man aber ein Recht, aus ſolchen Irr-
thümern die Nichtigkeit des Artbegriffes herzuleiten, oder müſſen ſie
nicht vielmehr dazu dienen, die Lücken unſerer Beobachtungen anerken-
nen zu laſſen und zu ihrer Ausfüllung aufzufordern?
Man hat auf der anderen Seite eingeworfen, daß die tägliche
Beobachtung uns zeige, wie allerdings durch dauernde Einwirkung be-
ſtimmter Einflüſſe, beſonders des Klima’s und der Nahrung, in auf-
einander folgenden Generationen Veränderungen erzeugt werden kön-
nen, die bedeutender ſeien, als diejenigen Merkmale zulaſſen, welche
man für die Art angiebt; — allein auch hier hat die Beobachtung,
ſo weit ſie möglich war, nachgewieſen, daß die Art in ihren Haupt-
zügen unveränderlich ſei und daß es nur ein Mißgriff der Zoologen
war, wenn man die Charaktere der Art wirklich von ſolchen Merk-
malen hergenommen hatte, welche durch die äußeren Umſtände geändert
werden konnten. Die Beobachtungszeit eines einzelnen Forſchers über
die andauernden Wirkungen veränderter äußerer Einflüſſe iſt freilich
nur kurz und im Verhältniß zur Dauer der Geſchichtsperioden des
Erdkörpers verſchwindend klein; wir haben aber nichts deſto weniger
Mittel zur Hand, wodurch wir nachweiſen können, daß wenigſtens
ſeit der Zeit, aus welcher wir geſchichtliche Denkmale beſitzen, die
Charaktere der Arten unverändert geblieben ſind. Die alten indiſchen
Denkmäler laſſen den aſiatiſchen Elephanten und den heiligen Buckel-
ochſen mit vollkommener Sicherheit unterſcheiden, und die Mumien der
Krokodille, des Ibis, des Ichneumon und des heiligen Käfers der
Aegypter, von denen einige nach den neueren Forſchungen zum we-
nigſten Zeitgenoſſen von Adam nach der jüdiſch-chriſtlichen Chronologie
waren, ſind bis auf die kleinſten Einzelnheiten in ihrer Struktur iden-
tiſch mit den Thieren, welche heute noch an den Ufern des Nils leben;
wir können alſo mit vollkommener Sicherheit behaupten, daß bei den
in wildem Zuſtand lebenden Thieren die Charaktere der Art unver-
änderlich ſind und daß die Vergleichung dieſer Charaktere die mangelnde
Beobachtung der direkten Abſtammung erſetzen kann.
Man hat die Erkenntniß dieſer Wahrheit zum Theil auch in der
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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/27>, abgerufen am 22.12.2024.
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