einzelnen Fällen unzureichendes Merkmal. Die pflanzlichen Gebilde, welche sich während einiger Zeit der Bewegung erfreuen, sind von einer starren Hülle umkleidet, welche ihrer Gestalt eine feste, fast un- veränderliche Abgrenzung verleiht. Zwar hat diese Hülle eine gewisse Elastizität, so daß sie z. B. beim Herausschlüpfen aus der Röhre des Wasserfadens sich einbiegen, winden, verlängern und zusammenpressen können, um durch den oft engen Riß hindurch zu kommen. Kaum aber hört die äußere Gewalt auf, so nimmt auch der Pflanzenkörper seine normale Gestalt an und stellt seine ursprüngliche Form durch die Elastizität seiner Hülle wieder her. Anders verhält sich der thie- rische Körper auf jenen niederen Stufen der Organisation. Sein Ge- webe ist jeder Zusammenziehung fähig, mit jedem Augenblicke wird die Gestalt durch Contractionen der weichen äußern Hülle verändert. Dasselbe Wesen, welches eben noch kugelig erschien, nimmt im näch- sten Augenblicke eine Flaschen- oder Eiform an und biegt sich ohne Einwirkung äußerer Gewalt nur unter dem Einflusse seines freien Willens nach allen Seiten hin zusammen. Die Contractilität der äußern Hülle läßt also nach den bis jetzt vorliegenden That- sachen die Entscheidung zu, daß der contractile Organismus ein thie- rischer Körper sei, während auf der andern Seite der Mangel dieser Contractilität, die Starrheit der äußeren Hülle durchaus nicht mit Sicherheit beweis't, daß wir es mit einem pflanzlichen Organismus zu thun haben. Es gibt viele niedrig stehende Organismen, die einen
[Abbildung]
Fig. 9.
Euglypha. a, die fingerförmigen, zur Bewegung dienenden Fort- sätze; -- b, der im Panzer eingeschlossene Körper.
harten, unbiegsamen, aus Kiesel, Eisen oder Kalk gebauten Panzer besitzen, in welchem der Körper so eingeschlossen ist, daß nur die feinen zur Be- wegung dienenden Peitschenanhänge hervorragen. Manche Infusionsthierchen kapseln sich während einer gewissen Zeit ihres Lebens in harte, kugel- förmige Schalen ein, in welchen sie vollkommen unbeweglich ruhen, wie Puppen in ihrer Schale. In solchen Fällen fehlt auch das letzte Criterium zur Unterscheidung zwischen Pflanze und Thier, und da, wo die fernere Beobachtung noch nicht dargethan hat, daß in der starren Hülse den- noch ein aus contractilem Gewebe gebildeter Or- ganismus vorhanden sei, ist die Entscheidung vor der Hand unmöglich:
Wenn wir so auf den niedrigsten Stufen der Organisation oft lange schwankend stehen
3*
einzelnen Fällen unzureichendes Merkmal. Die pflanzlichen Gebilde, welche ſich während einiger Zeit der Bewegung erfreuen, ſind von einer ſtarren Hülle umkleidet, welche ihrer Geſtalt eine feſte, faſt un- veränderliche Abgrenzung verleiht. Zwar hat dieſe Hülle eine gewiſſe Elaſtizität, ſo daß ſie z. B. beim Herausſchlüpfen aus der Röhre des Waſſerfadens ſich einbiegen, winden, verlängern und zuſammenpreſſen können, um durch den oft engen Riß hindurch zu kommen. Kaum aber hört die äußere Gewalt auf, ſo nimmt auch der Pflanzenkörper ſeine normale Geſtalt an und ſtellt ſeine urſprüngliche Form durch die Elaſtizität ſeiner Hülle wieder her. Anders verhält ſich der thie- riſche Körper auf jenen niederen Stufen der Organiſation. Sein Ge- webe iſt jeder Zuſammenziehung fähig, mit jedem Augenblicke wird die Geſtalt durch Contractionen der weichen äußern Hülle verändert. Dasſelbe Weſen, welches eben noch kugelig erſchien, nimmt im näch- ſten Augenblicke eine Flaſchen- oder Eiform an und biegt ſich ohne Einwirkung äußerer Gewalt nur unter dem Einfluſſe ſeines freien Willens nach allen Seiten hin zuſammen. Die Contractilität der äußern Hülle läßt alſo nach den bis jetzt vorliegenden That- ſachen die Entſcheidung zu, daß der contractile Organismus ein thie- riſcher Körper ſei, während auf der andern Seite der Mangel dieſer Contractilität, die Starrheit der äußeren Hülle durchaus nicht mit Sicherheit beweiſ’t, daß wir es mit einem pflanzlichen Organismus zu thun haben. Es gibt viele niedrig ſtehende Organismen, die einen
[Abbildung]
Fig. 9.
Euglypha. a, die fingerförmigen, zur Bewegung dienenden Fort- ſätze; — b, der im Panzer eingeſchloſſene Körper.
harten, unbiegſamen, aus Kieſel, Eiſen oder Kalk gebauten Panzer beſitzen, in welchem der Körper ſo eingeſchloſſen iſt, daß nur die feinen zur Be- wegung dienenden Peitſchenanhänge hervorragen. Manche Infuſionsthierchen kapſeln ſich während einer gewiſſen Zeit ihres Lebens in harte, kugel- förmige Schalen ein, in welchen ſie vollkommen unbeweglich ruhen, wie Puppen in ihrer Schale. In ſolchen Fällen fehlt auch das letzte Criterium zur Unterſcheidung zwiſchen Pflanze und Thier, und da, wo die fernere Beobachtung noch nicht dargethan hat, daß in der ſtarren Hülſe den- noch ein aus contractilem Gewebe gebildeter Or- ganismus vorhanden ſei, iſt die Entſcheidung vor der Hand unmöglich:
Wenn wir ſo auf den niedrigſten Stufen der Organiſation oft lange ſchwankend ſtehen
3*
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0041"n="35"/>
einzelnen Fällen unzureichendes Merkmal. Die pflanzlichen Gebilde,<lb/>
welche ſich während einiger Zeit der Bewegung erfreuen, ſind von<lb/>
einer ſtarren Hülle umkleidet, welche ihrer Geſtalt eine feſte, faſt un-<lb/>
veränderliche Abgrenzung verleiht. Zwar hat dieſe Hülle eine gewiſſe<lb/>
Elaſtizität, ſo daß ſie z. B. beim Herausſchlüpfen aus der Röhre des<lb/>
Waſſerfadens ſich einbiegen, winden, verlängern und zuſammenpreſſen<lb/>
können, um durch den oft engen Riß hindurch zu kommen. Kaum<lb/>
aber hört die äußere Gewalt auf, ſo nimmt auch der Pflanzenkörper<lb/>ſeine normale Geſtalt an und ſtellt ſeine urſprüngliche Form durch<lb/>
die Elaſtizität ſeiner Hülle wieder her. Anders verhält ſich der thie-<lb/>
riſche Körper auf jenen niederen Stufen der Organiſation. Sein Ge-<lb/>
webe iſt jeder Zuſammenziehung fähig, mit jedem Augenblicke wird die<lb/>
Geſtalt durch Contractionen der weichen äußern Hülle verändert.<lb/>
Dasſelbe Weſen, welches eben noch kugelig erſchien, nimmt im näch-<lb/>ſten Augenblicke eine Flaſchen- oder Eiform an und biegt ſich ohne<lb/>
Einwirkung äußerer Gewalt nur unter dem Einfluſſe ſeines freien<lb/>
Willens nach allen Seiten hin zuſammen. <hirendition="#g">Die Contractilität<lb/>
der äußern Hülle</hi> läßt alſo nach den bis jetzt vorliegenden That-<lb/>ſachen die Entſcheidung zu, daß der contractile Organismus ein thie-<lb/>
riſcher Körper ſei, während auf der andern Seite der Mangel dieſer<lb/>
Contractilität, die Starrheit der äußeren Hülle durchaus nicht mit<lb/>
Sicherheit beweiſ’t, daß wir es mit einem pflanzlichen Organismus<lb/>
zu thun haben. Es gibt viele niedrig ſtehende Organismen, die einen<lb/><figure><head>Fig. 9. </head><p><hirendition="#aq">Euglypha</hi>.<lb/><hirendition="#aq">a</hi>, die fingerförmigen, zur<lb/>
Bewegung dienenden Fort-<lb/>ſätze; —<hirendition="#aq">b</hi>, der im Panzer<lb/>
eingeſchloſſene Körper.</p></figure><lb/>
harten, unbiegſamen, aus Kieſel, Eiſen oder Kalk<lb/>
gebauten Panzer beſitzen, in welchem der Körper<lb/>ſo eingeſchloſſen iſt, daß nur die feinen zur Be-<lb/>
wegung dienenden Peitſchenanhänge hervorragen.<lb/>
Manche Infuſionsthierchen kapſeln ſich während<lb/>
einer gewiſſen Zeit ihres Lebens in harte, kugel-<lb/>
förmige Schalen ein, in welchen ſie vollkommen<lb/>
unbeweglich ruhen, wie Puppen in ihrer Schale.<lb/>
In ſolchen Fällen fehlt auch das letzte Criterium<lb/>
zur Unterſcheidung zwiſchen Pflanze und Thier,<lb/>
und da, wo die fernere Beobachtung noch nicht<lb/>
dargethan hat, daß in der ſtarren Hülſe den-<lb/>
noch ein aus contractilem Gewebe gebildeter Or-<lb/>
ganismus vorhanden ſei, iſt die Entſcheidung vor<lb/>
der Hand unmöglich:</p><lb/><p>Wenn wir ſo auf den niedrigſten Stufen<lb/>
der Organiſation oft lange ſchwankend ſtehen<lb/><fwplace="bottom"type="sig">3*</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[35/0041]
einzelnen Fällen unzureichendes Merkmal. Die pflanzlichen Gebilde,
welche ſich während einiger Zeit der Bewegung erfreuen, ſind von
einer ſtarren Hülle umkleidet, welche ihrer Geſtalt eine feſte, faſt un-
veränderliche Abgrenzung verleiht. Zwar hat dieſe Hülle eine gewiſſe
Elaſtizität, ſo daß ſie z. B. beim Herausſchlüpfen aus der Röhre des
Waſſerfadens ſich einbiegen, winden, verlängern und zuſammenpreſſen
können, um durch den oft engen Riß hindurch zu kommen. Kaum
aber hört die äußere Gewalt auf, ſo nimmt auch der Pflanzenkörper
ſeine normale Geſtalt an und ſtellt ſeine urſprüngliche Form durch
die Elaſtizität ſeiner Hülle wieder her. Anders verhält ſich der thie-
riſche Körper auf jenen niederen Stufen der Organiſation. Sein Ge-
webe iſt jeder Zuſammenziehung fähig, mit jedem Augenblicke wird die
Geſtalt durch Contractionen der weichen äußern Hülle verändert.
Dasſelbe Weſen, welches eben noch kugelig erſchien, nimmt im näch-
ſten Augenblicke eine Flaſchen- oder Eiform an und biegt ſich ohne
Einwirkung äußerer Gewalt nur unter dem Einfluſſe ſeines freien
Willens nach allen Seiten hin zuſammen. Die Contractilität
der äußern Hülle läßt alſo nach den bis jetzt vorliegenden That-
ſachen die Entſcheidung zu, daß der contractile Organismus ein thie-
riſcher Körper ſei, während auf der andern Seite der Mangel dieſer
Contractilität, die Starrheit der äußeren Hülle durchaus nicht mit
Sicherheit beweiſ’t, daß wir es mit einem pflanzlichen Organismus
zu thun haben. Es gibt viele niedrig ſtehende Organismen, die einen
[Abbildung Fig. 9. Euglypha.
a, die fingerförmigen, zur
Bewegung dienenden Fort-
ſätze; — b, der im Panzer
eingeſchloſſene Körper.]
harten, unbiegſamen, aus Kieſel, Eiſen oder Kalk
gebauten Panzer beſitzen, in welchem der Körper
ſo eingeſchloſſen iſt, daß nur die feinen zur Be-
wegung dienenden Peitſchenanhänge hervorragen.
Manche Infuſionsthierchen kapſeln ſich während
einer gewiſſen Zeit ihres Lebens in harte, kugel-
förmige Schalen ein, in welchen ſie vollkommen
unbeweglich ruhen, wie Puppen in ihrer Schale.
In ſolchen Fällen fehlt auch das letzte Criterium
zur Unterſcheidung zwiſchen Pflanze und Thier,
und da, wo die fernere Beobachtung noch nicht
dargethan hat, daß in der ſtarren Hülſe den-
noch ein aus contractilem Gewebe gebildeter Or-
ganismus vorhanden ſei, iſt die Entſcheidung vor
der Hand unmöglich:
Wenn wir ſo auf den niedrigſten Stufen
der Organiſation oft lange ſchwankend ſtehen
3*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/41>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.