Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

Mundöffnung befindet. Der Hinterleib besteht nur aus einem klei-
nen knotenartigen Anhange, der den After trägt. Die vier Fuß-
paare
sind meistens ungeheuer lang, dünn, vielgliedrig und an ihrem
Ende mit einer großen gebogenen Kralle bewaffnet, neben welcher oft
noch kleine, krallenartige Dornen stehen. Bei manchen Gattungen
dieser merkwürdigen Familie kommen weiter durchaus keine Mund-
werkzeuge vor, als der erwähnte steife Schnabel, während bei anderen
auf dem ersten Ringe der Kopfbrust ein aus mehreren Gliedern ge-
bildeter Kieferfühler sitzt, der am Ende eine wohl ausgebildete Scheere
trägt. Bei den Weibchen ist auf dem ersten Kopfbrustringe ein Paar
falscher Füße befestigt, welche fünf bis zehn Glieder haben und zum
Tragen der Eier bestimmt sind. Die innere Anatomie dieser Thiere
ist ziemlich genau erforscht; besondere Athem- und Kreislaufsorgane
fehlen ihnen vollständig und die inneren Geschlechtstheile sind bis jetzt
noch unbekannt. Am auffallendsten ist der Verdauungsapparat gebil-
det, indem die Blindsäcke, welche der Magen ausschickt, ganz ungemein
lang sind, und fast bis in die Klauenglieder vordringen. Die Jungen,
welche aus dem Eie kommen, besitzen nur vier sehr kurze zwei- oder
dreigliedrige Beine, die mit langen Fäden besetzt sind, und einen voll-
kommen ungegliederten Leib, so daß sie also bedeutende Metamorpho-
sen durchmachen müssen, deren Einzelnheiten noch nicht bekannt sind.
Nymphon; Phoxichilidium; Ammothoe; Pycnogonum.

Die Familie der Bärthierchen (Tardigrada) besteht aus kleinen

[Abbildung] Fig. 554.

Macrobiotus Hufelandi
vom Rücken aus gesehen.
a Stechapparat. b Au-

Thierchen mit weichem, walzenförmigem Leibe,
die sich fast überall im Moose, im Sande der
Dachrinnen und in süßen Gewässern finden.
Bei den meisten zeigen sich nur undeutliche An-
deutungen einer Ringelung in der sehr weichen
und dehnbaren Haut; bei einer einzigen Gat-
tung (Emydium) findet man eine festere Haut-
beschaffenheit und schildartige Ringel von un-
bestimmter Zahl. Die acht Beine, welche diese
Thiere besitzen, sind sehr kurz, stummelartig,
kaum deutlich gegliedert und gewöhnlich mit
vier großen, bald gleichen, bald ungleichen
Krallen bewaffnet. Das letzte dieser Fußpaare
sitzt immer ganz hinten an dem Körper, fast
wie ein getheilter Schwanzanhang, so daß also
ein eigentlicher Hinterleib gänzlich fehlt. Nach
vorn erscheint der Körper schmäler, zugespitzt

Mundöffnung befindet. Der Hinterleib beſteht nur aus einem klei-
nen knotenartigen Anhange, der den After trägt. Die vier Fuß-
paare
ſind meiſtens ungeheuer lang, dünn, vielgliedrig und an ihrem
Ende mit einer großen gebogenen Kralle bewaffnet, neben welcher oft
noch kleine, krallenartige Dornen ſtehen. Bei manchen Gattungen
dieſer merkwürdigen Familie kommen weiter durchaus keine Mund-
werkzeuge vor, als der erwähnte ſteife Schnabel, während bei anderen
auf dem erſten Ringe der Kopfbruſt ein aus mehreren Gliedern ge-
bildeter Kieferfühler ſitzt, der am Ende eine wohl ausgebildete Scheere
trägt. Bei den Weibchen iſt auf dem erſten Kopfbruſtringe ein Paar
falſcher Füße befeſtigt, welche fünf bis zehn Glieder haben und zum
Tragen der Eier beſtimmt ſind. Die innere Anatomie dieſer Thiere
iſt ziemlich genau erforſcht; beſondere Athem- und Kreislaufsorgane
fehlen ihnen vollſtändig und die inneren Geſchlechtstheile ſind bis jetzt
noch unbekannt. Am auffallendſten iſt der Verdauungsapparat gebil-
det, indem die Blindſäcke, welche der Magen ausſchickt, ganz ungemein
lang ſind, und faſt bis in die Klauenglieder vordringen. Die Jungen,
welche aus dem Eie kommen, beſitzen nur vier ſehr kurze zwei- oder
dreigliedrige Beine, die mit langen Fäden beſetzt ſind, und einen voll-
kommen ungegliederten Leib, ſo daß ſie alſo bedeutende Metamorpho-
ſen durchmachen müſſen, deren Einzelnheiten noch nicht bekannt ſind.
Nymphon; Phoxichilidium; Ammothoë; Pycnogonum.

Die Familie der Bärthierchen (Tardigrada) beſteht aus kleinen

[Abbildung] Fig. 554.

Macrobiotus Hufelandi
vom Rücken aus geſehen.
a Stechapparat. b Au-

Thierchen mit weichem, walzenförmigem Leibe,
die ſich faſt überall im Mooſe, im Sande der
Dachrinnen und in ſüßen Gewäſſern finden.
Bei den meiſten zeigen ſich nur undeutliche An-
deutungen einer Ringelung in der ſehr weichen
und dehnbaren Haut; bei einer einzigen Gat-
tung (Emydium) findet man eine feſtere Haut-
beſchaffenheit und ſchildartige Ringel von un-
beſtimmter Zahl. Die acht Beine, welche dieſe
Thiere beſitzen, ſind ſehr kurz, ſtummelartig,
kaum deutlich gegliedert und gewöhnlich mit
vier großen, bald gleichen, bald ungleichen
Krallen bewaffnet. Das letzte dieſer Fußpaare
ſitzt immer ganz hinten an dem Körper, faſt
wie ein getheilter Schwanzanhang, ſo daß alſo
ein eigentlicher Hinterleib gänzlich fehlt. Nach
vorn erſcheint der Körper ſchmäler, zugeſpitzt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0502" n="496"/>
Mundöffnung befindet. Der <hi rendition="#g">Hinterleib</hi> be&#x017F;teht nur aus einem klei-<lb/>
nen knotenartigen Anhange, der den After trägt. Die vier <hi rendition="#g">Fuß-<lb/>
paare</hi> &#x017F;ind mei&#x017F;tens ungeheuer lang, dünn, vielgliedrig und an ihrem<lb/>
Ende mit einer großen gebogenen Kralle bewaffnet, neben welcher oft<lb/>
noch kleine, krallenartige Dornen &#x017F;tehen. Bei manchen Gattungen<lb/>
die&#x017F;er merkwürdigen Familie kommen weiter durchaus keine Mund-<lb/>
werkzeuge vor, als der erwähnte &#x017F;teife Schnabel, während bei anderen<lb/>
auf dem er&#x017F;ten Ringe der Kopfbru&#x017F;t ein aus mehreren Gliedern ge-<lb/>
bildeter Kieferfühler &#x017F;itzt, der am Ende eine wohl ausgebildete Scheere<lb/>
trägt. Bei den Weibchen i&#x017F;t auf dem er&#x017F;ten Kopfbru&#x017F;tringe ein Paar<lb/>
fal&#x017F;cher Füße befe&#x017F;tigt, welche fünf bis zehn Glieder haben und zum<lb/>
Tragen der Eier be&#x017F;timmt &#x017F;ind. Die innere Anatomie die&#x017F;er Thiere<lb/>
i&#x017F;t ziemlich genau erfor&#x017F;cht; be&#x017F;ondere Athem- und Kreislaufsorgane<lb/>
fehlen ihnen voll&#x017F;tändig und die inneren Ge&#x017F;chlechtstheile &#x017F;ind bis jetzt<lb/>
noch unbekannt. Am auffallend&#x017F;ten i&#x017F;t der Verdauungsapparat gebil-<lb/>
det, indem die Blind&#x017F;äcke, welche der Magen aus&#x017F;chickt, ganz ungemein<lb/>
lang &#x017F;ind, und fa&#x017F;t bis in die Klauenglieder vordringen. Die Jungen,<lb/>
welche aus dem Eie kommen, be&#x017F;itzen nur vier &#x017F;ehr kurze zwei- oder<lb/>
dreigliedrige Beine, die mit langen Fäden be&#x017F;etzt &#x017F;ind, und einen voll-<lb/>
kommen ungegliederten Leib, &#x017F;o daß &#x017F;ie al&#x017F;o bedeutende Metamorpho-<lb/>
&#x017F;en durchmachen mü&#x017F;&#x017F;en, deren Einzelnheiten noch nicht bekannt &#x017F;ind.<lb/><hi rendition="#aq">Nymphon; Phoxichilidium; Ammothoë; Pycnogonum</hi>.</p><lb/>
          <p>Die Familie der <hi rendition="#b">Bärthierchen</hi> (<hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">Tardigrada</hi></hi>) be&#x017F;teht aus kleinen<lb/><figure xml:id="figure-0502" next="#figure-0503"><head>Fig. 554.</head><lb/><p xml:id="p-0502" next="#p-0503"><hi rendition="#aq">Macrobiotus Hufelandi</hi><lb/>
vom Rücken aus ge&#x017F;ehen.<lb/><hi rendition="#aq">a</hi> Stechapparat. <hi rendition="#aq">b</hi> Au-</p></figure><lb/>
Thierchen mit weichem, walzenförmigem Leibe,<lb/>
die &#x017F;ich fa&#x017F;t überall im Moo&#x017F;e, im Sande der<lb/>
Dachrinnen und in &#x017F;üßen Gewä&#x017F;&#x017F;ern finden.<lb/>
Bei den mei&#x017F;ten zeigen &#x017F;ich nur undeutliche An-<lb/>
deutungen einer Ringelung in der &#x017F;ehr weichen<lb/>
und dehnbaren Haut; bei einer einzigen Gat-<lb/>
tung (<hi rendition="#aq">Emydium</hi>) findet man eine fe&#x017F;tere Haut-<lb/>
be&#x017F;chaffenheit und &#x017F;childartige Ringel von un-<lb/>
be&#x017F;timmter Zahl. Die acht Beine, welche die&#x017F;e<lb/>
Thiere be&#x017F;itzen, &#x017F;ind &#x017F;ehr kurz, &#x017F;tummelartig,<lb/>
kaum deutlich gegliedert und gewöhnlich mit<lb/>
vier großen, bald gleichen, bald ungleichen<lb/>
Krallen bewaffnet. Das letzte die&#x017F;er Fußpaare<lb/>
&#x017F;itzt immer ganz hinten an dem Körper, fa&#x017F;t<lb/>
wie ein getheilter Schwanzanhang, &#x017F;o daß al&#x017F;o<lb/>
ein eigentlicher Hinterleib gänzlich fehlt. Nach<lb/>
vorn er&#x017F;cheint der Körper &#x017F;chmäler, zuge&#x017F;pitzt<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[496/0502] Mundöffnung befindet. Der Hinterleib beſteht nur aus einem klei- nen knotenartigen Anhange, der den After trägt. Die vier Fuß- paare ſind meiſtens ungeheuer lang, dünn, vielgliedrig und an ihrem Ende mit einer großen gebogenen Kralle bewaffnet, neben welcher oft noch kleine, krallenartige Dornen ſtehen. Bei manchen Gattungen dieſer merkwürdigen Familie kommen weiter durchaus keine Mund- werkzeuge vor, als der erwähnte ſteife Schnabel, während bei anderen auf dem erſten Ringe der Kopfbruſt ein aus mehreren Gliedern ge- bildeter Kieferfühler ſitzt, der am Ende eine wohl ausgebildete Scheere trägt. Bei den Weibchen iſt auf dem erſten Kopfbruſtringe ein Paar falſcher Füße befeſtigt, welche fünf bis zehn Glieder haben und zum Tragen der Eier beſtimmt ſind. Die innere Anatomie dieſer Thiere iſt ziemlich genau erforſcht; beſondere Athem- und Kreislaufsorgane fehlen ihnen vollſtändig und die inneren Geſchlechtstheile ſind bis jetzt noch unbekannt. Am auffallendſten iſt der Verdauungsapparat gebil- det, indem die Blindſäcke, welche der Magen ausſchickt, ganz ungemein lang ſind, und faſt bis in die Klauenglieder vordringen. Die Jungen, welche aus dem Eie kommen, beſitzen nur vier ſehr kurze zwei- oder dreigliedrige Beine, die mit langen Fäden beſetzt ſind, und einen voll- kommen ungegliederten Leib, ſo daß ſie alſo bedeutende Metamorpho- ſen durchmachen müſſen, deren Einzelnheiten noch nicht bekannt ſind. Nymphon; Phoxichilidium; Ammothoë; Pycnogonum. Die Familie der Bärthierchen (Tardigrada) beſteht aus kleinen [Abbildung Fig. 554. Macrobiotus Hufelandi vom Rücken aus geſehen. a Stechapparat. b Au-] Thierchen mit weichem, walzenförmigem Leibe, die ſich faſt überall im Mooſe, im Sande der Dachrinnen und in ſüßen Gewäſſern finden. Bei den meiſten zeigen ſich nur undeutliche An- deutungen einer Ringelung in der ſehr weichen und dehnbaren Haut; bei einer einzigen Gat- tung (Emydium) findet man eine feſtere Haut- beſchaffenheit und ſchildartige Ringel von un- beſtimmter Zahl. Die acht Beine, welche dieſe Thiere beſitzen, ſind ſehr kurz, ſtummelartig, kaum deutlich gegliedert und gewöhnlich mit vier großen, bald gleichen, bald ungleichen Krallen bewaffnet. Das letzte dieſer Fußpaare ſitzt immer ganz hinten an dem Körper, faſt wie ein getheilter Schwanzanhang, ſo daß alſo ein eigentlicher Hinterleib gänzlich fehlt. Nach vorn erſcheint der Körper ſchmäler, zugeſpitzt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/502
Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 496. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/502>, abgerufen am 23.12.2024.