Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

Bild:
<< vorherige Seite
Sechster Brief.
Kreis der Arthiere. (Protozoa.)


Auf der niedersten Stufe der Organisation stehen diese meist mikro-
skopisch kleinen Thierchen, welche in allen Arten süßer und salziger
Gewässer oft in zahllosen Mengen gefunden werden. Ihr gesammter
Körperbau läßt sich meist auf den Typus einer einfachen Zelle zurück-
führen oder auf eine Verbindung mehrerer einfachen Zellen zu ge-
meinschaftlichen Stöcken, welche im Kleinen zuweilen jene Gesellschaf-
ten nachahmen, die im größeren Maßstabe von den Korallen, Polypen
und Seescheiden erzeugt werden. Vergebens sucht man in den Pro-
tozoen ausgebildete innere Organe. Der Verdauungsapparat im
höchsten Grade seiner Entfaltung hat nur einen Anfang und ein Ende,
einen Mund mit abgekürztem Schlunde und einen After, aber keine
mittlere Röhrenentwicklung, keinen eigentlichen Darm. Bei vielen exi-
stirt durchaus keine Spur eines Ernährungsapparates, und das Thier
lebt nur durch Aufsaugung von Flüssigkeit mittelst seiner äußeren
Fläche oder durch Einschmelzung fester Substanz in die gallertartige
Masse, aus welcher es gebildet ist. Die Charaktere der primitiven
Zelle sind fast bei allen Urthieren erkannt. Namentlich zeichnet sich
ein mehr oder minder dunkeler Kern im Inneren ihres meist glas-
hellen und durchsichtigen Körpers aus, welcher bei der Fortpflanzung
eine große Rolle spielt. Richt minder unterscheidet man oft als erste
Anfangsspur eines Cirkulationssystemes einen oder mehrere pulsirende
Räume im Innern der Körpersubstanz, die oftmals so weich ist, daß
sie zu zerfließen scheint. Bei vielen dieser Thiere läßt sich indeß mit
Deutlichkeit eine festere Substanzlage erkennen, welche die äußere Haut
bildet und die sogar oft eine lederartige Festigkeit erhält, so daß sie
beim Trocknen der Thiere und nach der Zerstörung der übrigen Kör-
persubstanz in erkenntlicher Form zurückbleibt. Außer dieser äußern
Haut kommen bei vielen Formen und namentlich bei den zusammenge-
wachsenen schalenförmige Hüllen oder Panzer vor, in denen die Thiere
ganz oder theilweise stecken und aus welchen sie bald ihre Bewegungs-
organe, bald selbst einen großen Theil ihres Körpers hervorstrecken
können. Zuweilen treten diese Panzerhüllen als gallertartige Massen,

Sechſter Brief.
Kreis der Arthiere. (Protozoa.)


Auf der niederſten Stufe der Organiſation ſtehen dieſe meiſt mikro-
ſkopiſch kleinen Thierchen, welche in allen Arten ſüßer und ſalziger
Gewäſſer oft in zahlloſen Mengen gefunden werden. Ihr geſammter
Körperbau läßt ſich meiſt auf den Typus einer einfachen Zelle zurück-
führen oder auf eine Verbindung mehrerer einfachen Zellen zu ge-
meinſchaftlichen Stöcken, welche im Kleinen zuweilen jene Geſellſchaf-
ten nachahmen, die im größeren Maßſtabe von den Korallen, Polypen
und Seeſcheiden erzeugt werden. Vergebens ſucht man in den Pro-
tozoen ausgebildete innere Organe. Der Verdauungsapparat im
höchſten Grade ſeiner Entfaltung hat nur einen Anfang und ein Ende,
einen Mund mit abgekürztem Schlunde und einen After, aber keine
mittlere Röhrenentwicklung, keinen eigentlichen Darm. Bei vielen exi-
ſtirt durchaus keine Spur eines Ernährungsapparates, und das Thier
lebt nur durch Aufſaugung von Flüſſigkeit mittelſt ſeiner äußeren
Fläche oder durch Einſchmelzung feſter Subſtanz in die gallertartige
Maſſe, aus welcher es gebildet iſt. Die Charaktere der primitiven
Zelle ſind faſt bei allen Urthieren erkannt. Namentlich zeichnet ſich
ein mehr oder minder dunkeler Kern im Inneren ihres meiſt glas-
hellen und durchſichtigen Körpers aus, welcher bei der Fortpflanzung
eine große Rolle ſpielt. Richt minder unterſcheidet man oft als erſte
Anfangsſpur eines Cirkulationsſyſtemes einen oder mehrere pulſirende
Räume im Innern der Körperſubſtanz, die oftmals ſo weich iſt, daß
ſie zu zerfließen ſcheint. Bei vielen dieſer Thiere läßt ſich indeß mit
Deutlichkeit eine feſtere Subſtanzlage erkennen, welche die äußere Haut
bildet und die ſogar oft eine lederartige Feſtigkeit erhält, ſo daß ſie
beim Trocknen der Thiere und nach der Zerſtörung der übrigen Kör-
perſubſtanz in erkenntlicher Form zurückbleibt. Außer dieſer äußern
Haut kommen bei vielen Formen und namentlich bei den zuſammenge-
wachſenen ſchalenförmige Hüllen oder Panzer vor, in denen die Thiere
ganz oder theilweiſe ſtecken und aus welchen ſie bald ihre Bewegungs-
organe, bald ſelbſt einen großen Theil ihres Körpers hervorſtrecken
können. Zuweilen treten dieſe Panzerhüllen als gallertartige Maſſen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0084" n="78"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Sech&#x017F;ter Brief.</hi><lb/> <hi rendition="#g">Kreis der Arthiere. (<hi rendition="#aq">Protozoa.</hi>)</hi> </head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p><hi rendition="#in">A</hi>uf der nieder&#x017F;ten Stufe der Organi&#x017F;ation &#x017F;tehen die&#x017F;e mei&#x017F;t mikro-<lb/>
&#x017F;kopi&#x017F;ch kleinen Thierchen, welche in allen Arten &#x017F;üßer und &#x017F;alziger<lb/>
Gewä&#x017F;&#x017F;er oft in zahllo&#x017F;en Mengen gefunden werden. Ihr ge&#x017F;ammter<lb/>
Körperbau läßt &#x017F;ich mei&#x017F;t auf den Typus einer einfachen Zelle zurück-<lb/>
führen oder auf eine Verbindung mehrerer einfachen Zellen zu ge-<lb/>
mein&#x017F;chaftlichen Stöcken, welche im Kleinen zuweilen jene Ge&#x017F;ell&#x017F;chaf-<lb/>
ten nachahmen, die im größeren Maß&#x017F;tabe von den Korallen, Polypen<lb/>
und See&#x017F;cheiden erzeugt werden. Vergebens &#x017F;ucht man in den Pro-<lb/>
tozoen ausgebildete innere Organe. Der Verdauungsapparat im<lb/>
höch&#x017F;ten Grade &#x017F;einer Entfaltung hat nur einen Anfang und ein Ende,<lb/>
einen Mund mit abgekürztem Schlunde und einen After, aber keine<lb/>
mittlere Röhrenentwicklung, keinen eigentlichen Darm. Bei vielen exi-<lb/>
&#x017F;tirt durchaus keine Spur eines Ernährungsapparates, und das Thier<lb/>
lebt nur durch Auf&#x017F;augung von Flü&#x017F;&#x017F;igkeit mittel&#x017F;t &#x017F;einer äußeren<lb/>
Fläche oder durch Ein&#x017F;chmelzung fe&#x017F;ter Sub&#x017F;tanz in die gallertartige<lb/>
Ma&#x017F;&#x017F;e, aus welcher es gebildet i&#x017F;t. Die Charaktere der primitiven<lb/>
Zelle &#x017F;ind fa&#x017F;t bei allen Urthieren erkannt. Namentlich zeichnet &#x017F;ich<lb/>
ein mehr oder minder dunkeler Kern im Inneren ihres mei&#x017F;t glas-<lb/>
hellen und durch&#x017F;ichtigen Körpers aus, welcher bei der Fortpflanzung<lb/>
eine große Rolle &#x017F;pielt. Richt minder unter&#x017F;cheidet man oft als er&#x017F;te<lb/>
Anfangs&#x017F;pur eines Cirkulations&#x017F;y&#x017F;temes einen oder mehrere pul&#x017F;irende<lb/>
Räume im Innern der Körper&#x017F;ub&#x017F;tanz, die oftmals &#x017F;o weich i&#x017F;t, daß<lb/>
&#x017F;ie zu zerfließen &#x017F;cheint. Bei vielen die&#x017F;er Thiere läßt &#x017F;ich indeß mit<lb/>
Deutlichkeit eine fe&#x017F;tere Sub&#x017F;tanzlage erkennen, welche die äußere Haut<lb/>
bildet und die &#x017F;ogar oft eine lederartige Fe&#x017F;tigkeit erhält, &#x017F;o daß &#x017F;ie<lb/>
beim Trocknen der Thiere und nach der Zer&#x017F;törung der übrigen Kör-<lb/>
per&#x017F;ub&#x017F;tanz in erkenntlicher Form zurückbleibt. Außer die&#x017F;er äußern<lb/>
Haut kommen bei vielen Formen und namentlich bei den zu&#x017F;ammenge-<lb/>
wach&#x017F;enen &#x017F;chalenförmige Hüllen oder Panzer vor, in denen die Thiere<lb/>
ganz oder theilwei&#x017F;e &#x017F;tecken und aus welchen &#x017F;ie bald ihre Bewegungs-<lb/>
organe, bald &#x017F;elb&#x017F;t einen großen Theil ihres Körpers hervor&#x017F;trecken<lb/>
können. Zuweilen treten die&#x017F;e Panzerhüllen als gallertartige Ma&#x017F;&#x017F;en,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0084] Sechſter Brief. Kreis der Arthiere. (Protozoa.) Auf der niederſten Stufe der Organiſation ſtehen dieſe meiſt mikro- ſkopiſch kleinen Thierchen, welche in allen Arten ſüßer und ſalziger Gewäſſer oft in zahlloſen Mengen gefunden werden. Ihr geſammter Körperbau läßt ſich meiſt auf den Typus einer einfachen Zelle zurück- führen oder auf eine Verbindung mehrerer einfachen Zellen zu ge- meinſchaftlichen Stöcken, welche im Kleinen zuweilen jene Geſellſchaf- ten nachahmen, die im größeren Maßſtabe von den Korallen, Polypen und Seeſcheiden erzeugt werden. Vergebens ſucht man in den Pro- tozoen ausgebildete innere Organe. Der Verdauungsapparat im höchſten Grade ſeiner Entfaltung hat nur einen Anfang und ein Ende, einen Mund mit abgekürztem Schlunde und einen After, aber keine mittlere Röhrenentwicklung, keinen eigentlichen Darm. Bei vielen exi- ſtirt durchaus keine Spur eines Ernährungsapparates, und das Thier lebt nur durch Aufſaugung von Flüſſigkeit mittelſt ſeiner äußeren Fläche oder durch Einſchmelzung feſter Subſtanz in die gallertartige Maſſe, aus welcher es gebildet iſt. Die Charaktere der primitiven Zelle ſind faſt bei allen Urthieren erkannt. Namentlich zeichnet ſich ein mehr oder minder dunkeler Kern im Inneren ihres meiſt glas- hellen und durchſichtigen Körpers aus, welcher bei der Fortpflanzung eine große Rolle ſpielt. Richt minder unterſcheidet man oft als erſte Anfangsſpur eines Cirkulationsſyſtemes einen oder mehrere pulſirende Räume im Innern der Körperſubſtanz, die oftmals ſo weich iſt, daß ſie zu zerfließen ſcheint. Bei vielen dieſer Thiere läßt ſich indeß mit Deutlichkeit eine feſtere Subſtanzlage erkennen, welche die äußere Haut bildet und die ſogar oft eine lederartige Feſtigkeit erhält, ſo daß ſie beim Trocknen der Thiere und nach der Zerſtörung der übrigen Kör- perſubſtanz in erkenntlicher Form zurückbleibt. Außer dieſer äußern Haut kommen bei vielen Formen und namentlich bei den zuſammenge- wachſenen ſchalenförmige Hüllen oder Panzer vor, in denen die Thiere ganz oder theilweiſe ſtecken und aus welchen ſie bald ihre Bewegungs- organe, bald ſelbſt einen großen Theil ihres Körpers hervorſtrecken können. Zuweilen treten dieſe Panzerhüllen als gallertartige Maſſen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/84
Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/84>, abgerufen am 22.12.2024.