Durch die ganze Thierwelt hindurch tritt uns das Gesetz entgegen, daß in allen Kreisen, deren Angehörige sowohl das Wasser, als das Land bewohnen, die niederen Typen, zuweilen auch die Anfangsstufen der höheren Typen dem nassen Elemente angehören, während die hö- heren Formen Luft athmen. Bei keinem Kreise läßt sich dieß Verhält- niß mit größerer Sicherheit nachweisen, als bei den Wirbelthieren, ob- gleich auch die Gliederthiere und die Weichthiere es ohne Mühe gewah- ren lassen. So sind hier die Fische ganz an das Wasser gebunden, die Lurche theilweise während ihres ganzen Lebens, theilweise nur in ihrer ersten Entwicklungszeit. In dem Kreise der Gliederthiere sind die Krustaceen fast nur Wasserthiere, die höher stehenden Spinnen und In- sekten Luftthiere und bei den Weichthieren erhebt sich nur die letzte Ordnung, die der Lungenschnecken, zur Athmung des gasförmigen Elementes.
Wir haben schon früher den Satz ausgesprochen, daß die Ent- wicklung des Thierreiches in historischer Reihenfolge eine gewisse Aehn- lichkeit darbiete mit der Entwicklung des Embryo's bei den höheren Typen und daß die älteren Formen gewissermaßen die embryonalen Gestalten wiederholen, welche nur vorübergehend in der individuellen Geschichte eines Thieres auftreten. Es muß daher, da wir die Ein- theilung des Thierreiches wesentlich auf die Entwicklungsgeschichte desselben gründen, ein gewisses Verhältniß zwischen den Perioden der embryonalen Entwicklung, den Eintheilungsgruppen der systematischen Zoologie und der Aufeinanderfolge in der Erdgeschichte sich zeigen, wenn anders diese Prinzipien als richtig erkannt werden sollen. Frei- lich lassen sich bis jetzt hierfür der Thatsachen nicht allzuviele anfüh- ren, was aber in der Mangelhaftigkeit unserer Kenntnisse selbst liegt, die für viele Klassen noch gar keine, für andere nur höchst unvoll- kommene und unzusammenhängende Thatsachen über die Entwicklungs- geschichte geliefert haben, und namentlich bei den verschiedenen Kreisen der wirbellosen Thiere noch außerordentlich lückenhaft erscheinen.
So weit die bis jetzt vorhandenen Forschungen reichen, ist es wahrscheinlich, daß in den älteren Zeiten der Unterschied der Klimate und der tellurischen Verhältnisse auf der Erde überhaupt weit geringer war, als in der jetzigen Zeit und daß diese Unterschiede sich erst in verhältnißmäßig neuer Epoche ausbildeten. Freilich beschränken sich genauere paläontologische Untersuchungen nur auf einen geringen Theil des Festlandes, während ungeheure Strecken in allen Continenten ent- weder gar nicht oder nur höchst unvollständig untersucht worden sind,
Vogt. Zoologische Briefe, II. 38
Durch die ganze Thierwelt hindurch tritt uns das Geſetz entgegen, daß in allen Kreiſen, deren Angehörige ſowohl das Waſſer, als das Land bewohnen, die niederen Typen, zuweilen auch die Anfangsſtufen der höheren Typen dem naſſen Elemente angehören, während die hö- heren Formen Luft athmen. Bei keinem Kreiſe läßt ſich dieß Verhält- niß mit größerer Sicherheit nachweiſen, als bei den Wirbelthieren, ob- gleich auch die Gliederthiere und die Weichthiere es ohne Mühe gewah- ren laſſen. So ſind hier die Fiſche ganz an das Waſſer gebunden, die Lurche theilweiſe während ihres ganzen Lebens, theilweiſe nur in ihrer erſten Entwicklungszeit. In dem Kreiſe der Gliederthiere ſind die Kruſtaceen faſt nur Waſſerthiere, die höher ſtehenden Spinnen und In- ſekten Luftthiere und bei den Weichthieren erhebt ſich nur die letzte Ordnung, die der Lungenſchnecken, zur Athmung des gasförmigen Elementes.
Wir haben ſchon früher den Satz ausgeſprochen, daß die Ent- wicklung des Thierreiches in hiſtoriſcher Reihenfolge eine gewiſſe Aehn- lichkeit darbiete mit der Entwicklung des Embryo’s bei den höheren Typen und daß die älteren Formen gewiſſermaßen die embryonalen Geſtalten wiederholen, welche nur vorübergehend in der individuellen Geſchichte eines Thieres auftreten. Es muß daher, da wir die Ein- theilung des Thierreiches weſentlich auf die Entwicklungsgeſchichte deſſelben gründen, ein gewiſſes Verhältniß zwiſchen den Perioden der embryonalen Entwicklung, den Eintheilungsgruppen der ſyſtematiſchen Zoologie und der Aufeinanderfolge in der Erdgeſchichte ſich zeigen, wenn anders dieſe Prinzipien als richtig erkannt werden ſollen. Frei- lich laſſen ſich bis jetzt hierfür der Thatſachen nicht allzuviele anfüh- ren, was aber in der Mangelhaftigkeit unſerer Kenntniſſe ſelbſt liegt, die für viele Klaſſen noch gar keine, für andere nur höchſt unvoll- kommene und unzuſammenhängende Thatſachen über die Entwicklungs- geſchichte geliefert haben, und namentlich bei den verſchiedenen Kreiſen der wirbelloſen Thiere noch außerordentlich lückenhaft erſcheinen.
So weit die bis jetzt vorhandenen Forſchungen reichen, iſt es wahrſcheinlich, daß in den älteren Zeiten der Unterſchied der Klimate und der telluriſchen Verhältniſſe auf der Erde überhaupt weit geringer war, als in der jetzigen Zeit und daß dieſe Unterſchiede ſich erſt in verhältnißmäßig neuer Epoche ausbildeten. Freilich beſchränken ſich genauere paläontologiſche Unterſuchungen nur auf einen geringen Theil des Feſtlandes, während ungeheure Strecken in allen Continenten ent- weder gar nicht oder nur höchſt unvollſtändig unterſucht worden ſind,
Vogt. Zoologiſche Briefe, II. 38
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Durch die ganze Thierwelt hindurch tritt uns das Geſetz entgegen,
daß in allen Kreiſen, deren Angehörige ſowohl das Waſſer, als das
Land bewohnen, die niederen Typen, zuweilen auch die Anfangsſtufen
der höheren Typen dem naſſen Elemente angehören, während die hö-
heren Formen Luft athmen. Bei keinem Kreiſe läßt ſich dieß Verhält-
niß mit größerer Sicherheit nachweiſen, als bei den Wirbelthieren, ob-
gleich auch die Gliederthiere und die Weichthiere es ohne Mühe gewah-
ren laſſen. So ſind hier die Fiſche ganz an das Waſſer gebunden,
die Lurche theilweiſe während ihres ganzen Lebens, theilweiſe nur in
ihrer erſten Entwicklungszeit. In dem Kreiſe der Gliederthiere ſind die
Kruſtaceen faſt nur Waſſerthiere, die höher ſtehenden Spinnen und In-
ſekten Luftthiere und bei den Weichthieren erhebt ſich nur die letzte
Ordnung, die der Lungenſchnecken, zur Athmung des gasförmigen
Elementes.
Wir haben ſchon früher den Satz ausgeſprochen, daß die Ent-
wicklung des Thierreiches in hiſtoriſcher Reihenfolge eine gewiſſe Aehn-
lichkeit darbiete mit der Entwicklung des Embryo’s bei den höheren
Typen und daß die älteren Formen gewiſſermaßen die embryonalen
Geſtalten wiederholen, welche nur vorübergehend in der individuellen
Geſchichte eines Thieres auftreten. Es muß daher, da wir die Ein-
theilung des Thierreiches weſentlich auf die Entwicklungsgeſchichte
deſſelben gründen, ein gewiſſes Verhältniß zwiſchen den Perioden der
embryonalen Entwicklung, den Eintheilungsgruppen der ſyſtematiſchen
Zoologie und der Aufeinanderfolge in der Erdgeſchichte ſich zeigen,
wenn anders dieſe Prinzipien als richtig erkannt werden ſollen. Frei-
lich laſſen ſich bis jetzt hierfür der Thatſachen nicht allzuviele anfüh-
ren, was aber in der Mangelhaftigkeit unſerer Kenntniſſe ſelbſt liegt,
die für viele Klaſſen noch gar keine, für andere nur höchſt unvoll-
kommene und unzuſammenhängende Thatſachen über die Entwicklungs-
geſchichte geliefert haben, und namentlich bei den verſchiedenen Kreiſen
der wirbelloſen Thiere noch außerordentlich lückenhaft erſcheinen.
So weit die bis jetzt vorhandenen Forſchungen reichen, iſt es
wahrſcheinlich, daß in den älteren Zeiten der Unterſchied der Klimate
und der telluriſchen Verhältniſſe auf der Erde überhaupt weit geringer
war, als in der jetzigen Zeit und daß dieſe Unterſchiede ſich erſt in
verhältnißmäßig neuer Epoche ausbildeten. Freilich beſchränken ſich
genauere paläontologiſche Unterſuchungen nur auf einen geringen Theil
des Feſtlandes, während ungeheure Strecken in allen Continenten ent-
weder gar nicht oder nur höchſt unvollſtändig unterſucht worden ſind,
Vogt. Zoologiſche Briefe, II. 38
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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851, S. 593. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe02_1851/599>, abgerufen am 22.11.2024.
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