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Vogt, Carl: Untersuchungen über Thierstaaten. Frankfurt (Main), 1851.

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Scheintodten auf und legt sie an die Sonne. Allmälich wachen sie aus der Betäubung auf. Sie schütteln sich, regen Flügel und Füße, strecken sich, wie wenn sie aus einem langen Schlafe erwachten, und suchen dann die scheintodten Kameraden durch Bürsten und Lecken aufzuwecken. Nach diesem gemeinschaftlichen Unglücke ist alle "Stammes-Eigenthümlichkeit" vergessen, die feindlichen Brüder sind versöhnt, beide Theile beziehen denselben Stock und leben friedlich mit einander.

Muß bei dem deutschen Volke ebenso, wie bei den Bienen, erst das Wasser dazwischentreten, um es von seinen Stammes-Eigenthümlichkeiten, jener Erfindung nichtswürdiger Heuchler, zu erlösen und die einzelnen Stöcke zusammenzuschmelzen? Ist es denn ein unabänderliches Gesetz für die Deutschen, daß sie erst das große Wasser passirt haben müssen, um drüben, in einem andern Welttheile, sich als Deutsche, nicht aber als Schwaben oder Franken zu fühlen? - Fast will es so scheinen!

Ich vergaß aber dennoch eines wichtigen Momentes zu erwähnen. Das Wasserbad ist auch bei den Bienen unwirksam, sobald man die Königinnen beider Stöcke am Leben läßt. Zwar das Arbeitervolk vereinigt sich brüderlich - aber der Haß der beiden Herrscherinnen bricht unmittelbar nach dem Beziehen des neuen Staates in hellen Flammen aus. Für jede Königin nimmt ein Schwarm Partei - die schwächere Anzahl wird aus dem Stocke vertrieben und die alte Feindschaft nur um so grimmiger fortgesetzt. Nicht also in den Bienen selbst, nein, in den Dynastieen derselben lebt der Haß der Nachbarn, die Verfolgungssucht; durch sie werden die Stammesfeindschaften künstlich genährt, gehegt, gepflegt und gesteigert.

Scheintodten auf und legt sie an die Sonne. Allmälich wachen sie aus der Betäubung auf. Sie schütteln sich, regen Flügel und Füße, strecken sich, wie wenn sie aus einem langen Schlafe erwachten, und suchen dann die scheintodten Kameraden durch Bürsten und Lecken aufzuwecken. Nach diesem gemeinschaftlichen Unglücke ist alle „Stammes-Eigenthümlichkeit“ vergessen, die feindlichen Brüder sind versöhnt, beide Theile beziehen denselben Stock und leben friedlich mit einander.

Muß bei dem deutschen Volke ebenso, wie bei den Bienen, erst das Wasser dazwischentreten, um es von seinen Stammes-Eigenthümlichkeiten, jener Erfindung nichtswürdiger Heuchler, zu erlösen und die einzelnen Stöcke zusammenzuschmelzen? Ist es denn ein unabänderliches Gesetz für die Deutschen, daß sie erst das große Wasser passirt haben müssen, um drüben, in einem andern Welttheile, sich als Deutsche, nicht aber als Schwaben oder Franken zu fühlen? – Fast will es so scheinen!

Ich vergaß aber dennoch eines wichtigen Momentes zu erwähnen. Das Wasserbad ist auch bei den Bienen unwirksam, sobald man die Königinnen beider Stöcke am Leben läßt. Zwar das Arbeitervolk vereinigt sich brüderlich – aber der Haß der beiden Herrscherinnen bricht unmittelbar nach dem Beziehen des neuen Staates in hellen Flammen aus. Für jede Königin nimmt ein Schwarm Partei – die schwächere Anzahl wird aus dem Stocke vertrieben und die alte Feindschaft nur um so grimmiger fortgesetzt. Nicht also in den Bienen selbst, nein, in den Dynastieen derselben lebt der Haß der Nachbarn, die Verfolgungssucht; durch sie werden die Stammesfeindschaften künstlich genährt, gehegt, gepflegt und gesteigert.

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Scheintodten auf und legt sie an die Sonne. Allmälich wachen sie aus der Betäubung auf. Sie schütteln sich, regen Flügel und Füße, strecken sich, wie wenn sie aus einem langen Schlafe erwachten, und suchen dann die scheintodten Kameraden durch Bürsten und Lecken aufzuwecken. Nach diesem gemeinschaftlichen Unglücke ist alle &#x201E;Stammes-Eigenthümlichkeit&#x201C; vergessen, die feindlichen Brüder sind versöhnt, beide Theile beziehen denselben Stock und leben friedlich mit einander.</p>
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[85/0111] Scheintodten auf und legt sie an die Sonne. Allmälich wachen sie aus der Betäubung auf. Sie schütteln sich, regen Flügel und Füße, strecken sich, wie wenn sie aus einem langen Schlafe erwachten, und suchen dann die scheintodten Kameraden durch Bürsten und Lecken aufzuwecken. Nach diesem gemeinschaftlichen Unglücke ist alle „Stammes-Eigenthümlichkeit“ vergessen, die feindlichen Brüder sind versöhnt, beide Theile beziehen denselben Stock und leben friedlich mit einander. Muß bei dem deutschen Volke ebenso, wie bei den Bienen, erst das Wasser dazwischentreten, um es von seinen Stammes-Eigenthümlichkeiten, jener Erfindung nichtswürdiger Heuchler, zu erlösen und die einzelnen Stöcke zusammenzuschmelzen? Ist es denn ein unabänderliches Gesetz für die Deutschen, daß sie erst das große Wasser passirt haben müssen, um drüben, in einem andern Welttheile, sich als Deutsche, nicht aber als Schwaben oder Franken zu fühlen? – Fast will es so scheinen! Ich vergaß aber dennoch eines wichtigen Momentes zu erwähnen. Das Wasserbad ist auch bei den Bienen unwirksam, sobald man die Königinnen beider Stöcke am Leben läßt. Zwar das Arbeitervolk vereinigt sich brüderlich – aber der Haß der beiden Herrscherinnen bricht unmittelbar nach dem Beziehen des neuen Staates in hellen Flammen aus. Für jede Königin nimmt ein Schwarm Partei – die schwächere Anzahl wird aus dem Stocke vertrieben und die alte Feindschaft nur um so grimmiger fortgesetzt. Nicht also in den Bienen selbst, nein, in den Dynastieen derselben lebt der Haß der Nachbarn, die Verfolgungssucht; durch sie werden die Stammesfeindschaften künstlich genährt, gehegt, gepflegt und gesteigert.

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Untersuchungen über Thierstaaten. Frankfurt (Main), 1851, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_thierstaaten_1851/111>, abgerufen am 28.11.2024.