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Dr. Vollmer’s Wörterbuch der Mythologie aller Völker. 3. Aufl. Stuttgart, 1874.

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Einleitung
I. Ursprung und Bedeutung der Mythologie im Allgemeinen

Inhalt der Mythologie. Alter derselben. Die Naturwissenschaften. Die Materialisten. Darwin und Häckel. Die Affen und die Menschen. Die geistige Anlage der Menschen und ihre Entwicklung. Das erste Ahnen eines Gottes. Anerziehung und Anlage. Das Gewissen. Die Religion und die Priester.

Unter dem altgriechischen Worte "Mythologie" begreifen wir die "Sagengeschichte" der Menschheit oder den Inhalt der geistigen Vorstellungen, welche in alten Zeiten die Völker des Erdbodens, ehe sie in die "Geschichte" eintraten, von aussergewöhnlichen Wesen hatten und fortpflanzten, die Vorstellungen von Göttern und Göttinnen, Halbgöttern und Halbgöttinnen, Helden und Heldinnen, Riesengeschlechtern und Wundern. Man erkannte in ihnen unsichtbare und sichtbare Gestalten oder Erscheinungen. An der Spitze stehen vorzugsweise die Gebilde der Götter und Göttinnen, welche von diesem oder jenem Volke verehrt wurden, zufolge der Annahme eines Vielgötterreiches, das meistentheils ein Oberhaupt hatte: so können wir denn die Mythologie im Allgemeinen als die "Götterlehre" der frühsten Menschengeschlechter bezeichnen: eine Lehre, welche die zum Theil noch geltenden Religionen der verschiedensten Völker an den verschiedensten Orten seit der Urzeit umfasst, ehe das Christenthum seinen neuen Himmel brachte. Zu diesem Vielgötterthum rechnet man ausserdem noch Alles, was man sonst, im Laufe der Zeiten, für etwas Heiliges und über das alltägliche Mass Erhabenes, für etwas Wunderbares und Anstaunenswerthes erachtet, angebetet, gefeiert, gefürchtet hat, und was noch heutzutag bei manchen Völkern sein Ansehen fortbehauptet, bei wilden sowohl als solchen, die eine grössere oder geringere Civilisation aufzuweisen haben. Denn man war ehedem der Ueberzeugung, dass Alles, was durch offene oder geheimnissvolle Macht sich auszeichnete, mit Göttern und göttlichen Wesen in Verbindung stehen müsse.

Oberflächlich pflegt man aber zu sagen: das ist "Heidenthum", was die alten Völker sich vorstellten! So nämlich drückt man sich seit der Erscheinung des Christenthums aus und nennt die Summe dessen, was die nicht zum Christenthum bekehrten Menschen lehren, schlechthin und verächtlich eine "Irrlehre". Dabei vergisst

Einleitung
I. Ursprung und Bedeutung der Mythologie im Allgemeinen

Inhalt der Mythologie. Alter derselben. Die Naturwissenschaften. Die Materialisten. Darwin und Häckel. Die Affen und die Menschen. Die geistige Anlage der Menschen und ihre Entwicklung. Das erste Ahnen eines Gottes. Anerziehung und Anlage. Das Gewissen. Die Religion und die Priester.

Unter dem altgriechischen Worte »Mythologie« begreifen wir die »Sagengeschichte« der Menschheit oder den Inhalt der geistigen Vorstellungen, welche in alten Zeiten die Völker des Erdbodens, ehe sie in die »Geschichte« eintraten, von aussergewöhnlichen Wesen hatten und fortpflanzten, die Vorstellungen von Göttern und Göttinnen, Halbgöttern und Halbgöttinnen, Helden und Heldinnen, Riesengeschlechtern und Wundern. Man erkannte in ihnen unsichtbare und sichtbare Gestalten oder Erscheinungen. An der Spitze stehen vorzugsweise die Gebilde der Götter und Göttinnen, welche von diesem oder jenem Volke verehrt wurden, zufolge der Annahme eines Vielgötterreiches, das meistentheils ein Oberhaupt hatte: so können wir denn die Mythologie im Allgemeinen als die »Götterlehre« der frühsten Menschengeschlechter bezeichnen: eine Lehre, welche die zum Theil noch geltenden Religionen der verschiedensten Völker an den verschiedensten Orten seit der Urzeit umfasst, ehe das Christenthum seinen neuen Himmel brachte. Zu diesem Vielgötterthum rechnet man ausserdem noch Alles, was man sonst, im Laufe der Zeiten, für etwas Heiliges und über das alltägliche Mass Erhabenes, für etwas Wunderbares und Anstaunenswerthes erachtet, angebetet, gefeiert, gefürchtet hat, und was noch heutzutag bei manchen Völkern sein Ansehen fortbehauptet, bei wilden sowohl als solchen, die eine grössere oder geringere Civilisation aufzuweisen haben. Denn man war ehedem der Ueberzeugung, dass Alles, was durch offene oder geheimnissvolle Macht sich auszeichnete, mit Göttern und göttlichen Wesen in Verbindung stehen müsse.

Oberflächlich pflegt man aber zu sagen: das ist »Heidenthum«, was die alten Völker sich vorstellten! So nämlich drückt man sich seit der Erscheinung des Christenthums aus und nennt die Summe dessen, was die nicht zum Christenthum bekehrten Menschen lehren, schlechthin und verächtlich eine »Irrlehre«. Dabei vergisst

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[[III]/0003] Einleitung I. Ursprung und Bedeutung der Mythologie im Allgemeinen Inhalt der Mythologie. Alter derselben. Die Naturwissenschaften. Die Materialisten. Darwin und Häckel. Die Affen und die Menschen. Die geistige Anlage der Menschen und ihre Entwicklung. Das erste Ahnen eines Gottes. Anerziehung und Anlage. Das Gewissen. Die Religion und die Priester. Unter dem altgriechischen Worte »Mythologie« begreifen wir die »Sagengeschichte« der Menschheit oder den Inhalt der geistigen Vorstellungen, welche in alten Zeiten die Völker des Erdbodens, ehe sie in die »Geschichte« eintraten, von aussergewöhnlichen Wesen hatten und fortpflanzten, die Vorstellungen von Göttern und Göttinnen, Halbgöttern und Halbgöttinnen, Helden und Heldinnen, Riesengeschlechtern und Wundern. Man erkannte in ihnen unsichtbare und sichtbare Gestalten oder Erscheinungen. An der Spitze stehen vorzugsweise die Gebilde der Götter und Göttinnen, welche von diesem oder jenem Volke verehrt wurden, zufolge der Annahme eines Vielgötterreiches, das meistentheils ein Oberhaupt hatte: so können wir denn die Mythologie im Allgemeinen als die »Götterlehre« der frühsten Menschengeschlechter bezeichnen: eine Lehre, welche die zum Theil noch geltenden Religionen der verschiedensten Völker an den verschiedensten Orten seit der Urzeit umfasst, ehe das Christenthum seinen neuen Himmel brachte. Zu diesem Vielgötterthum rechnet man ausserdem noch Alles, was man sonst, im Laufe der Zeiten, für etwas Heiliges und über das alltägliche Mass Erhabenes, für etwas Wunderbares und Anstaunenswerthes erachtet, angebetet, gefeiert, gefürchtet hat, und was noch heutzutag bei manchen Völkern sein Ansehen fortbehauptet, bei wilden sowohl als solchen, die eine grössere oder geringere Civilisation aufzuweisen haben. Denn man war ehedem der Ueberzeugung, dass Alles, was durch offene oder geheimnissvolle Macht sich auszeichnete, mit Göttern und göttlichen Wesen in Verbindung stehen müsse. Oberflächlich pflegt man aber zu sagen: das ist »Heidenthum«, was die alten Völker sich vorstellten! So nämlich drückt man sich seit der Erscheinung des Christenthums aus und nennt die Summe dessen, was die nicht zum Christenthum bekehrten Menschen lehren, schlechthin und verächtlich eine »Irrlehre«. Dabei vergisst

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Zitationshilfe: Dr. Vollmer’s Wörterbuch der Mythologie aller Völker. 3. Aufl. Stuttgart, 1874, S. [III]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vollmer_mythologie_1874/3>, abgerufen am 23.11.2024.