Dr. Vollmer’s Wörterbuch der Mythologie aller Völker. 3. Aufl. Stuttgart, 1874.früheren Wohnens ausserhalb ihres Bharatavarsha's," nämlich des eigentlichen Indien. Denn letzteres hat von der Brahmanischen Kosmographie obigen Namen erhalten, einen Namen, welcher das im Süden des Himalaja gelegene Land, also das heutige Indien in seiner ganzen Ausdehnung mit seinen wirklichen Bergen, Flüssen und Völkern bezeichnet. Alsdann aber widerlegt Lassen diesen Traum der Inder von ihrer Erdgeburt, indem er unter mehrfachen Erwägungen sich für die Ansicht entscheidet, dass die Inder einst aus anderen Ursitzen nach Indien eingewandert sind, von irgend einem Mittelpunkte, welcher die Verbreitung der Völker aus gemeinschaftlichen Ursitzen nach verschiedenen Weltgegenden wahrscheinlich mache. Die Inder waren nur ein Glied der ganzen Kette, und zwar das äusserste, als die sicherlich in Pausen sich vollziehende Trennung eines zahlreichen Volkes stattfand. Dabei dürfen wir freilich nach der Darwin'schen Forschung mit Recht vermuthen, dass die Einwanderer auch in Indien schon eine Menschenklasse vorfanden, die sich aus dem Thierzustande herausgearbeitet hatte. Der hochgesegnete Erdstrich, später Indien genannt, konnte doch nicht ohne die Wirkung der Urzellen geblieben sein, also menschenleer und öde angetroffen werden, als neue Geschlechter im Kampf um das Dasein einrückten. Wir müssen uns über die Mythologie der Inder kurz fassen. Die Wohnungen der meisten ihrer Götter verlegten sie nach dem Norden in den Himalaja und darüber hinaus; der wundervolle heilige Weltberg Meru wurde im fernsten Norden gesucht. Unser Lassen ist überzeugt, dass diese Vorstellungen sich erst in Indien selbst entwickelt haben und aus der eigenthümlichen Natur des nördlichen Gebürgs abzuleiten sind: "der tägliche Anblick der weit in die Ebenen hinabstrahlenden und im eigentlichsten Sinne unersteigbaren Schneegipfel des Himalaja, die Kunde von der ganz verschiedenen Natur der jenseitigen Hochfläche mit ihren weiten, stillen Gebieten, der klaren wolkenlosen Luft und den eigenthümlichen Naturerzeugnissen, mussten diesen Norden zum Sitze der Götter und der Wunder machen. Die Heiligkeit erklärt sich aus einer unabweisbaren Einwirkung der umgebenden Natur auf das Gemüth." So äussert sich Lassen, freilich nicht im Sinne der Schelling'schen Philosophie, sondern ähnlich der einfachen Ansicht, die wir im Obigen, zumal nach der neueren Naturforschung, vorziehen mussten. Folgen wir ihm weiter in der Aufführung der indischen Götter, wobei er die Sage mehr berücksichtigt als die spätere Geschichte, welche allzu trümmerhaft sich ausnehme. Nachdem er die allgemeine Benennung Gottes nach der ältesten Wurzel in den sogenannten sanskritischen Sprachstämmen historisch verfolgt hat, gelangt er zu dem Ergebniss, dass Deva von div, leuchten, herkomme; welches beweise, dass bei den indogermanischen Völkern der Begriff des Göttlichen aus dem des Lichts sich gebildet hatte, und dass der Gegenstand ihrer ältesten Götter Verehrung die Erscheinungen und Wirkungen des Lichts waren. "Diese," sagt er, "traten am deutlichsten und wohlthätigsten in dem die Erde erleuchtenden und befruchtenden Tageslichte der Sonne hervor; in der feierlichen Stille der Nacht strahlt es dem Menschen aus geheimnissvoller Ferne entgegen in den zahllosen Sternen des Himmels. Seine furchtbare und zerstörende Kraft zeigt sich in dem Blitze bei den Gewittern, die aber auch eine wohlthätige Wirkung ausüben, indem sie den befruchtenden Regen bringen, und der Blitz, welcher das Gewölk zerreisst, musste der einfachen Naturanschauung der ältesten Menschen als That eines zugleich mächtigen, furchtbaren und gütigen Gottes erscheinen. Man erklärt sich hieraus, warum die Sitze der Götter in die Luft und in den Himmel verlegt wurden. Auf der Erde unter den Menschen und in ihren Wohnungen ist das früheren Wohnens ausserhalb ihres Bhâratavarsha's,« nämlich des eigentlichen Indien. Denn letzteres hat von der Brahmanischen Kosmographie obigen Namen erhalten, einen Namen, welcher das im Süden des Himalaja gelegene Land, also das heutige Indien in seiner ganzen Ausdehnung mit seinen wirklichen Bergen, Flüssen und Völkern bezeichnet. Alsdann aber widerlegt Lassen diesen Traum der Inder von ihrer Erdgeburt, indem er unter mehrfachen Erwägungen sich für die Ansicht entscheidet, dass die Inder einst aus anderen Ursitzen nach Indien eingewandert sind, von irgend einem Mittelpunkte, welcher die Verbreitung der Völker aus gemeinschaftlichen Ursitzen nach verschiedenen Weltgegenden wahrscheinlich mache. Die Inder waren nur ein Glied der ganzen Kette, und zwar das äusserste, als die sicherlich in Pausen sich vollziehende Trennung eines zahlreichen Volkes stattfand. Dabei dürfen wir freilich nach der Darwin'schen Forschung mit Recht vermuthen, dass die Einwanderer auch in Indien schon eine Menschenklasse vorfanden, die sich aus dem Thierzustande herausgearbeitet hatte. Der hochgesegnete Erdstrich, später Indien genannt, konnte doch nicht ohne die Wirkung der Urzellen geblieben sein, also menschenleer und öde angetroffen werden, als neue Geschlechter im Kampf um das Dasein einrückten. Wir müssen uns über die Mythologie der Inder kurz fassen. Die Wohnungen der meisten ihrer Götter verlegten sie nach dem Norden in den Himalaja und darüber hinaus; der wundervolle heilige Weltberg Mêru wurde im fernsten Norden gesucht. Unser Lassen ist überzeugt, dass diese Vorstellungen sich erst in Indien selbst entwickelt haben und aus der eigenthümlichen Natur des nördlichen Gebürgs abzuleiten sind: »der tägliche Anblick der weit in die Ebenen hinabstrahlenden und im eigentlichsten Sinne unersteigbaren Schneegipfel des Himalaja, die Kunde von der ganz verschiedenen Natur der jenseitigen Hochfläche mit ihren weiten, stillen Gebieten, der klaren wolkenlosen Luft und den eigenthümlichen Naturerzeugnissen, mussten diesen Norden zum Sitze der Götter und der Wunder machen. Die Heiligkeit erklärt sich aus einer unabweisbaren Einwirkung der umgebenden Natur auf das Gemüth.« So äussert sich Lassen, freilich nicht im Sinne der Schelling'schen Philosophie, sondern ähnlich der einfachen Ansicht, die wir im Obigen, zumal nach der neueren Naturforschung, vorziehen mussten. Folgen wir ihm weiter in der Aufführung der indischen Götter, wobei er die Sage mehr berücksichtigt als die spätere Geschichte, welche allzu trümmerhaft sich ausnehme. Nachdem er die allgemeine Benennung Gottes nach der ältesten Wurzel in den sogenannten sanskritischen Sprachstämmen historisch verfolgt hat, gelangt er zu dem Ergebniss, dass Dêva von div, leuchten, herkomme; welches beweise, dass bei den indogermanischen Völkern der Begriff des Göttlichen aus dem des Lichts sich gebildet hatte, und dass der Gegenstand ihrer ältesten Götter Verehrung die Erscheinungen und Wirkungen des Lichts waren. »Diese,« sagt er, »traten am deutlichsten und wohlthätigsten in dem die Erde erleuchtenden und befruchtenden Tageslichte der Sonne hervor; in der feierlichen Stille der Nacht strahlt es dem Menschen aus geheimnissvoller Ferne entgegen in den zahllosen Sternen des Himmels. Seine furchtbare und zerstörende Kraft zeigt sich in dem Blitze bei den Gewittern, die aber auch eine wohlthätige Wirkung ausüben, indem sie den befruchtenden Regen bringen, und der Blitz, welcher das Gewölk zerreisst, musste der einfachen Naturanschauung der ältesten Menschen als That eines zugleich mächtigen, furchtbaren und gütigen Gottes erscheinen. Man erklärt sich hieraus, warum die Sitze der Götter in die Luft und in den Himmel verlegt wurden. Auf der Erde unter den Menschen und in ihren Wohnungen ist das <TEI> <text> <front> <div type="preface" n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0046" n="XLVI"/> früheren Wohnens ausserhalb ihres <hi rendition="#g">Bhâratavarsha's</hi>,« nämlich des eigentlichen Indien. Denn letzteres hat von der Brahmanischen Kosmographie obigen Namen erhalten, einen Namen, welcher das im Süden des Himalaja gelegene Land, also das heutige Indien in seiner ganzen Ausdehnung mit seinen wirklichen Bergen, Flüssen und Völkern bezeichnet. Alsdann aber widerlegt Lassen diesen Traum der Inder von ihrer Erdgeburt, indem er unter mehrfachen Erwägungen sich für die Ansicht entscheidet, dass die Inder einst aus anderen Ursitzen nach Indien eingewandert sind, von irgend einem Mittelpunkte, welcher die Verbreitung der Völker aus gemeinschaftlichen Ursitzen nach verschiedenen Weltgegenden wahrscheinlich mache. Die Inder waren nur ein Glied der ganzen Kette, und zwar das äusserste, als die sicherlich in Pausen sich vollziehende Trennung eines zahlreichen Volkes stattfand.</p><lb/> <p>Dabei dürfen wir freilich nach der Darwin'schen Forschung mit Recht vermuthen, dass die Einwanderer auch in Indien schon eine Menschenklasse vorfanden, die sich aus dem Thierzustande herausgearbeitet hatte. Der hochgesegnete Erdstrich, später Indien genannt, konnte doch nicht ohne die Wirkung der Urzellen geblieben sein, also menschenleer und öde angetroffen werden, als neue Geschlechter im Kampf um das Dasein einrückten.</p><lb/> <p>Wir müssen uns über die Mythologie der Inder kurz fassen. Die Wohnungen der meisten ihrer Götter verlegten sie nach dem Norden in den Himalaja und darüber hinaus; der wundervolle heilige Weltberg Mêru wurde im fernsten Norden gesucht. Unser Lassen ist überzeugt, dass diese Vorstellungen sich erst in Indien selbst entwickelt haben und aus der eigenthümlichen Natur des nördlichen Gebürgs abzuleiten sind: »der tägliche Anblick der weit in die Ebenen hinabstrahlenden und im eigentlichsten Sinne unersteigbaren Schneegipfel des Himalaja, die Kunde von der ganz verschiedenen Natur der jenseitigen Hochfläche mit ihren weiten, stillen Gebieten, der klaren wolkenlosen Luft und den eigenthümlichen Naturerzeugnissen, mussten diesen Norden zum Sitze der Götter und der Wunder machen. Die Heiligkeit erklärt sich aus einer unabweisbaren Einwirkung der umgebenden Natur auf das Gemüth.«</p><lb/> <p>So äussert sich Lassen, freilich nicht im Sinne der Schelling'schen Philosophie, sondern ähnlich der einfachen Ansicht, die wir im Obigen, zumal nach der neueren Naturforschung, vorziehen mussten. Folgen wir ihm weiter in der Aufführung der indischen Götter, wobei er die Sage mehr berücksichtigt als die spätere Geschichte, welche allzu trümmerhaft sich ausnehme. Nachdem er die allgemeine Benennung <hi rendition="#g">Gottes</hi> nach der ältesten Wurzel in den sogenannten sanskritischen Sprachstämmen historisch verfolgt hat, gelangt er zu dem Ergebniss, dass Dêva von <hi rendition="#g">div, leuchten</hi>, herkomme; welches beweise, dass bei den indogermanischen Völkern der Begriff des Göttlichen aus dem des Lichts sich gebildet hatte, und dass der Gegenstand ihrer ältesten Götter Verehrung die Erscheinungen und Wirkungen des Lichts waren. »Diese,« sagt er, »traten am deutlichsten und wohlthätigsten in dem die Erde erleuchtenden und befruchtenden Tageslichte der <hi rendition="#g">Sonne</hi> hervor; in der feierlichen Stille der Nacht strahlt es dem Menschen aus geheimnissvoller Ferne entgegen in den zahllosen Sternen des Himmels. Seine furchtbare und zerstörende Kraft zeigt sich in dem Blitze bei den Gewittern, die aber auch eine wohlthätige Wirkung ausüben, indem sie den befruchtenden Regen bringen, und der Blitz, welcher das Gewölk zerreisst, musste der einfachen Naturanschauung der ältesten Menschen als That eines zugleich mächtigen, furchtbaren und gütigen Gottes erscheinen. Man erklärt sich hieraus, warum die Sitze der Götter in die Luft und in den Himmel verlegt wurden. Auf der Erde unter den Menschen und in ihren Wohnungen ist das </p> </div> </div> </front> </text> </TEI> [XLVI/0046]
früheren Wohnens ausserhalb ihres Bhâratavarsha's,« nämlich des eigentlichen Indien. Denn letzteres hat von der Brahmanischen Kosmographie obigen Namen erhalten, einen Namen, welcher das im Süden des Himalaja gelegene Land, also das heutige Indien in seiner ganzen Ausdehnung mit seinen wirklichen Bergen, Flüssen und Völkern bezeichnet. Alsdann aber widerlegt Lassen diesen Traum der Inder von ihrer Erdgeburt, indem er unter mehrfachen Erwägungen sich für die Ansicht entscheidet, dass die Inder einst aus anderen Ursitzen nach Indien eingewandert sind, von irgend einem Mittelpunkte, welcher die Verbreitung der Völker aus gemeinschaftlichen Ursitzen nach verschiedenen Weltgegenden wahrscheinlich mache. Die Inder waren nur ein Glied der ganzen Kette, und zwar das äusserste, als die sicherlich in Pausen sich vollziehende Trennung eines zahlreichen Volkes stattfand.
Dabei dürfen wir freilich nach der Darwin'schen Forschung mit Recht vermuthen, dass die Einwanderer auch in Indien schon eine Menschenklasse vorfanden, die sich aus dem Thierzustande herausgearbeitet hatte. Der hochgesegnete Erdstrich, später Indien genannt, konnte doch nicht ohne die Wirkung der Urzellen geblieben sein, also menschenleer und öde angetroffen werden, als neue Geschlechter im Kampf um das Dasein einrückten.
Wir müssen uns über die Mythologie der Inder kurz fassen. Die Wohnungen der meisten ihrer Götter verlegten sie nach dem Norden in den Himalaja und darüber hinaus; der wundervolle heilige Weltberg Mêru wurde im fernsten Norden gesucht. Unser Lassen ist überzeugt, dass diese Vorstellungen sich erst in Indien selbst entwickelt haben und aus der eigenthümlichen Natur des nördlichen Gebürgs abzuleiten sind: »der tägliche Anblick der weit in die Ebenen hinabstrahlenden und im eigentlichsten Sinne unersteigbaren Schneegipfel des Himalaja, die Kunde von der ganz verschiedenen Natur der jenseitigen Hochfläche mit ihren weiten, stillen Gebieten, der klaren wolkenlosen Luft und den eigenthümlichen Naturerzeugnissen, mussten diesen Norden zum Sitze der Götter und der Wunder machen. Die Heiligkeit erklärt sich aus einer unabweisbaren Einwirkung der umgebenden Natur auf das Gemüth.«
So äussert sich Lassen, freilich nicht im Sinne der Schelling'schen Philosophie, sondern ähnlich der einfachen Ansicht, die wir im Obigen, zumal nach der neueren Naturforschung, vorziehen mussten. Folgen wir ihm weiter in der Aufführung der indischen Götter, wobei er die Sage mehr berücksichtigt als die spätere Geschichte, welche allzu trümmerhaft sich ausnehme. Nachdem er die allgemeine Benennung Gottes nach der ältesten Wurzel in den sogenannten sanskritischen Sprachstämmen historisch verfolgt hat, gelangt er zu dem Ergebniss, dass Dêva von div, leuchten, herkomme; welches beweise, dass bei den indogermanischen Völkern der Begriff des Göttlichen aus dem des Lichts sich gebildet hatte, und dass der Gegenstand ihrer ältesten Götter Verehrung die Erscheinungen und Wirkungen des Lichts waren. »Diese,« sagt er, »traten am deutlichsten und wohlthätigsten in dem die Erde erleuchtenden und befruchtenden Tageslichte der Sonne hervor; in der feierlichen Stille der Nacht strahlt es dem Menschen aus geheimnissvoller Ferne entgegen in den zahllosen Sternen des Himmels. Seine furchtbare und zerstörende Kraft zeigt sich in dem Blitze bei den Gewittern, die aber auch eine wohlthätige Wirkung ausüben, indem sie den befruchtenden Regen bringen, und der Blitz, welcher das Gewölk zerreisst, musste der einfachen Naturanschauung der ältesten Menschen als That eines zugleich mächtigen, furchtbaren und gütigen Gottes erscheinen. Man erklärt sich hieraus, warum die Sitze der Götter in die Luft und in den Himmel verlegt wurden. Auf der Erde unter den Menschen und in ihren Wohnungen ist das
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