Dr. Vollmer’s Wörterbuch der Mythologie aller Völker. 3. Aufl. Stuttgart, 1874.der Apostel St. Thomas, welcher von Peru nach Mexiko gekommen sein soll, mit ihrer edelsten Gottheit - Quetzalcoatl - identifizirt ward, die, als sie der Sage nach das Land verliess, ihre spätere Rückkehr verkündet hatte, und dass man sogar den Namen Mexiko für fast identisch mit dem hebräischen Namen des Messias erklärte?" Dann fügt der Berichterstatter hinzu: "nicht durch Aufklärung, sondern durch den Glanz der Ceremonie und das Bild des leidenden Erlösers riss der katholische Missionär seine ungebildeten Zuhörer mit sich fort;" wie denn schon A. von Humboldt bemerkt habe: "Dogma ist nicht auf Dogma gefolgt, sondern Ceremonie auf Ceremonie; die Eingebornen wissen nichts von Religion als die äusseren Formen des Gottesdienstes." So erkläre sich leicht, wie auch heute noch das übertünchte Heidenthum vielfach in den nur der katholischen Kirche in Mexiko eigenthümlichen Gebräuchen hervortrete; ebenso erkläre sich daraus die Rolle, welche Tänze, Pantomimen und seltsame Verkleidungen an christlichen Festen, selbst während der Prozessionen und sogar vor und nach der Messe, in der Kirche spielen. Um nur einer von diesen Schaustellungen zu gedenken, "am Jahrestage der heiligen Jungfrau von Guadalupe werden in der Kirche selbst die groteskesten Indianertänze zwischen den gottesdienstlichen Handlungen aufgeführt. Männer und Weiber und mit Pferdefuss, Hörnern und Schweif angethane Teufel springen zur Erheiterung der andächtigen Gemeinde, nicht immer mit anständigen Geberden, vor dem Altar umher, und Teufel und Weiber bekommen manchmal die grosse Peitsche zu fühlen, womit die Männer sich den Takt zum Tanze schlagen." So viel aus der Mittheilung unsers Augenzeugen, der immer noch mit der Sprache etwas zurückhält; denn seine Worte lassen in dieser Kritik des mexikanischen Gebahrens den Hintergrund offen, als ob in dem "katholischen Heiligendienst" wirklich eine "Bedeutung" stecke, die sich losmachen könne, und als ob "das katholische Christenthum" anderwärts, wenn auch nicht in Mexiko, irgend einen Anspruch auf den Namen reinen Christenthums habe. Nur so freilich ist der Berichterstatter im Stande, von "übertünchtem Heidenthum" zu reden. Die Sache ist zu ernst, als dass man dergestalt über Religion sich äussern sollte, vorausgesetzt, dass derjenige welche hat, der sie so bespricht, nämlich oberflächlich oder halbironisch. Das zweite Beispiel von Chili nimmt sich keineswegs christlicher aus. Wir wollen als Gewährsmann einen Franzosen reden lassen, den Schriftsteller Gustave Aimard, also einen Mann unserer Tage, der sicherlich ein ächter Katholik ist. "In Chili," schreibt er wörtlich, "ist die katholische Religion so zu sagen ganz äusserlich; ihr Kultus besteht aus zahlreichen Festen, die mit Pomp in den von Lichtern, Gold, Silber und Edelsteinen schimmernden Kirchen gefeiert werden, und aus endlosen Prozessionen, die sich unter einem Blumenregen mitten durch die Wolken von ununterbrochen brennendem Weihrauch hinziehen. In diesem von der Sonne geliebten Lande ist die Religion ganz Liebe (!); die feurigen Herzen, welche es bevölkern, kümmern sich nicht um theologische Streitigkeiten: sie lieben Gott, die Jungfrau und die Heiligen mit der Anbetung, Selbstverläugnung (!) und Hinreissung, welche sie in alle ihre Handlungen legen." Also sind sie doch die herrlichsten Christen, die es geben könnte, - sollte man denken. Allein Herr Aimard fährt harmlos fort: "der Katholicismus ist für sie, ohne dass sie es ahnen, in eine Art Heidenthum umgestaltet, das (setzt Aimard mit ächter Logik eines sehr klugen Franzosen hinzu) nicht begründet ist, aber dessen Existenz nicht geläugnet werden kann. So gestehen sie stillschweigend dieselbe Macht irgend einem Heiligen wie der Gottheit selbst zu, und wenn die meisten unter ihnen ihr Gebet an die Jungfrau richten, ist es nicht Maria, die Mutter des der Apostel St. Thomas, welcher von Peru nach Mexiko gekommen sein soll, mit ihrer edelsten Gottheit – Quetzalcoatl – identifizirt ward, die, als sie der Sage nach das Land verliess, ihre spätere Rückkehr verkündet hatte, und dass man sogar den Namen Mexiko für fast identisch mit dem hebräischen Namen des Messias erklärte?« Dann fügt der Berichterstatter hinzu: »nicht durch Aufklärung, sondern durch den Glanz der Ceremonie und das Bild des leidenden Erlösers riss der katholische Missionär seine ungebildeten Zuhörer mit sich fort;« wie denn schon A. von Humboldt bemerkt habe: »Dogma ist nicht auf Dogma gefolgt, sondern Ceremonie auf Ceremonie; die Eingebornen wissen nichts von Religion als die äusseren Formen des Gottesdienstes.« So erkläre sich leicht, wie auch heute noch das übertünchte Heidenthum vielfach in den nur der katholischen Kirche in Mexiko eigenthümlichen Gebräuchen hervortrete; ebenso erkläre sich daraus die Rolle, welche Tänze, Pantomimen und seltsame Verkleidungen an christlichen Festen, selbst während der Prozessionen und sogar vor und nach der Messe, in der Kirche spielen. Um nur einer von diesen Schaustellungen zu gedenken, »am Jahrestage der heiligen Jungfrau von Guadalupe werden in der Kirche selbst die groteskesten Indianertänze zwischen den gottesdienstlichen Handlungen aufgeführt. Männer und Weiber und mit Pferdefuss, Hörnern und Schweif angethane Teufel springen zur Erheiterung der andächtigen Gemeinde, nicht immer mit anständigen Geberden, vor dem Altar umher, und Teufel und Weiber bekommen manchmal die grosse Peitsche zu fühlen, womit die Männer sich den Takt zum Tanze schlagen.« So viel aus der Mittheilung unsers Augenzeugen, der immer noch mit der Sprache etwas zurückhält; denn seine Worte lassen in dieser Kritik des mexikanischen Gebahrens den Hintergrund offen, als ob in dem »katholischen Heiligendienst« wirklich eine »Bedeutung« stecke, die sich losmachen könne, und als ob »das katholische Christenthum« anderwärts, wenn auch nicht in Mexiko, irgend einen Anspruch auf den Namen reinen Christenthums habe. Nur so freilich ist der Berichterstatter im Stande, von »übertünchtem Heidenthum« zu reden. Die Sache ist zu ernst, als dass man dergestalt über Religion sich äussern sollte, vorausgesetzt, dass derjenige welche hat, der sie so bespricht, nämlich oberflächlich oder halbironisch. Das zweite Beispiel von Chili nimmt sich keineswegs christlicher aus. Wir wollen als Gewährsmann einen Franzosen reden lassen, den Schriftsteller Gustave Aimard, also einen Mann unserer Tage, der sicherlich ein ächter Katholik ist. »In Chili,« schreibt er wörtlich, »ist die katholische Religion so zu sagen ganz äusserlich; ihr Kultus besteht aus zahlreichen Festen, die mit Pomp in den von Lichtern, Gold, Silber und Edelsteinen schimmernden Kirchen gefeiert werden, und aus endlosen Prozessionen, die sich unter einem Blumenregen mitten durch die Wolken von ununterbrochen brennendem Weihrauch hinziehen. In diesem von der Sonne geliebten Lande ist die Religion ganz Liebe (!); die feurigen Herzen, welche es bevölkern, kümmern sich nicht um theologische Streitigkeiten: sie lieben Gott, die Jungfrau und die Heiligen mit der Anbetung, Selbstverläugnung (!) und Hinreissung, welche sie in alle ihre Handlungen legen.« Also sind sie doch die herrlichsten Christen, die es geben könnte, – sollte man denken. Allein Herr Aimard fährt harmlos fort: »der Katholicismus ist für sie, ohne dass sie es ahnen, in eine Art Heidenthum umgestaltet, das (setzt Aimard mit ächter Logik eines sehr klugen Franzosen hinzu) nicht begründet ist, aber dessen Existenz nicht geläugnet werden kann. 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Um nur einer von diesen Schaustellungen zu gedenken, »am Jahrestage der heiligen Jungfrau von Guadalupe werden in der Kirche selbst die groteskesten Indianertänze zwischen den gottesdienstlichen Handlungen aufgeführt. Männer und Weiber und mit Pferdefuss, Hörnern und Schweif angethane Teufel springen zur Erheiterung der andächtigen Gemeinde, nicht immer mit anständigen Geberden, vor dem Altar umher, und Teufel und Weiber bekommen manchmal die grosse Peitsche zu fühlen, womit die Männer sich den Takt zum Tanze schlagen.« So viel aus der Mittheilung unsers Augenzeugen, der immer noch mit der Sprache etwas zurückhält; denn seine Worte lassen in dieser Kritik des mexikanischen Gebahrens den Hintergrund offen, als ob in dem »katholischen Heiligendienst« wirklich eine »Bedeutung« stecke, die sich losmachen könne, und als ob »das katholische Christenthum« anderwärts, wenn auch nicht in Mexiko, irgend einen Anspruch auf den Namen reinen Christenthums habe. Nur so freilich ist der Berichterstatter im Stande, von »übertünchtem Heidenthum« zu reden. Die Sache ist zu ernst, als dass man dergestalt über Religion sich äussern sollte, vorausgesetzt, dass derjenige welche hat, der sie so bespricht, nämlich oberflächlich oder halbironisch.</p><lb/> <p>Das zweite Beispiel von Chili nimmt sich keineswegs christlicher aus. Wir wollen als Gewährsmann einen Franzosen reden lassen, den Schriftsteller Gustave Aimard, also einen Mann unserer Tage, der sicherlich ein ächter Katholik ist. »In Chili,« schreibt er wörtlich, »ist die katholische Religion so zu sagen ganz äusserlich; ihr Kultus besteht aus zahlreichen Festen, die mit Pomp in den von Lichtern, Gold, Silber und Edelsteinen schimmernden Kirchen gefeiert werden, und aus endlosen Prozessionen, die sich unter einem Blumenregen mitten durch die Wolken von ununterbrochen brennendem Weihrauch hinziehen. In diesem von der Sonne geliebten Lande ist die Religion ganz Liebe (!); die feurigen Herzen, welche es bevölkern, kümmern sich nicht um theologische Streitigkeiten: sie lieben Gott, die Jungfrau und die Heiligen mit der Anbetung, Selbstverläugnung (!) und Hinreissung, welche sie in alle ihre Handlungen legen.« Also sind sie doch die herrlichsten Christen, die es geben könnte, – sollte man denken. Allein Herr Aimard fährt harmlos fort: »<hi rendition="#g">der Katholicismus ist für sie, ohne dass sie es ahnen, in eine Art Heidenthum umgestaltet, das</hi> (setzt Aimard mit ächter Logik eines sehr klugen Franzosen hinzu) <hi rendition="#g">nicht</hi> begründet ist, aber dessen <hi rendition="#g">Existenz</hi> nicht geläugnet werden kann. 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Das zweite Beispiel von Chili nimmt sich keineswegs christlicher aus. Wir wollen als Gewährsmann einen Franzosen reden lassen, den Schriftsteller Gustave Aimard, also einen Mann unserer Tage, der sicherlich ein ächter Katholik ist. »In Chili,« schreibt er wörtlich, »ist die katholische Religion so zu sagen ganz äusserlich; ihr Kultus besteht aus zahlreichen Festen, die mit Pomp in den von Lichtern, Gold, Silber und Edelsteinen schimmernden Kirchen gefeiert werden, und aus endlosen Prozessionen, die sich unter einem Blumenregen mitten durch die Wolken von ununterbrochen brennendem Weihrauch hinziehen. In diesem von der Sonne geliebten Lande ist die Religion ganz Liebe (!); die feurigen Herzen, welche es bevölkern, kümmern sich nicht um theologische Streitigkeiten: sie lieben Gott, die Jungfrau und die Heiligen mit der Anbetung, Selbstverläugnung (!) und Hinreissung, welche sie in alle ihre Handlungen legen.« Also sind sie doch die herrlichsten Christen, die es geben könnte, – sollte man denken. Allein Herr Aimard fährt harmlos fort: »der Katholicismus ist für sie, ohne dass sie es ahnen, in eine Art Heidenthum umgestaltet, das (setzt Aimard mit ächter Logik eines sehr klugen Franzosen hinzu) nicht begründet ist, aber dessen Existenz nicht geläugnet werden kann. So gestehen sie stillschweigend dieselbe Macht irgend einem Heiligen wie der Gottheit selbst zu, und wenn die meisten unter ihnen ihr Gebet an die Jungfrau richten, ist es nicht Maria, die Mutter des
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