Wohlhabende, bei der Geburt eines Kindes nicht den gewohnten Satz, sondern mehr beisteuerten.
Gerieth nun Jemand in Noth, meldete er sich bei der nächsten Sadtverwaltung. Diese un¬ tersuchte seinen Zustand genau. Einem gesunden Menschen ward nicht das Mindeste schenkend ge¬ reicht, sondern er empfing die Gelegenheit, durch diejenige Arbeit, welche er verrichten konnte, den Unterhalt zu erschwingen. Krank dagegen nahm ihn ein Spital auf. Das Alter von sechzig Jah¬ ren durfte auf eine angemessene Beihülfe zu der ihm noch möglichen Arheit zählen, über siebzig Jahr verpflegte man dagegen Greise und Grei¬ sinnen ganz, was auch bei Krüppeln und derglei¬ chen geschah. Bei dem allen hielt ein zartes Ehrgefühl die Geschlechter ab, eines ihrer Glie¬ der in die Nothwendigkeit zu versetzen, die öffent¬ liche Wohlthätigkeit in Anspruch zu nehmen; wenn es irgend möglich schien, verheimlichten sie den Mangel in den einer der ihrigen gesunken war, machten es auch zum Gegenstand ihrer Re¬ ligion, Kranke und Alte selbst zu pflegen.
Ueberlegt man hiebei, daß die meisten Ursachen, welche Armuth hervorbringen, ja lange schon aus dem Wege geräumt waren, als
Wohlhabende, bei der Geburt eines Kindes nicht den gewohnten Satz, ſondern mehr beiſteuerten.
Gerieth nun Jemand in Noth, meldete er ſich bei der naͤchſten Sadtverwaltung. Dieſe un¬ terſuchte ſeinen Zuſtand genau. Einem geſunden Menſchen ward nicht das Mindeſte ſchenkend ge¬ reicht, ſondern er empfing die Gelegenheit, durch diejenige Arbeit, welche er verrichten konnte, den Unterhalt zu erſchwingen. Krank dagegen nahm ihn ein Spital auf. Das Alter von ſechzig Jah¬ ren durfte auf eine angemeſſene Beihuͤlfe zu der ihm noch moͤglichen Arheit zaͤhlen, uͤber ſiebzig Jahr verpflegte man dagegen Greiſe und Grei¬ ſinnen ganz, was auch bei Kruͤppeln und derglei¬ chen geſchah. Bei dem allen hielt ein zartes Ehrgefuͤhl die Geſchlechter ab, eines ihrer Glie¬ der in die Nothwendigkeit zu verſetzen, die oͤffent¬ liche Wohlthaͤtigkeit in Anſpruch zu nehmen; wenn es irgend moͤglich ſchien, verheimlichten ſie den Mangel in den einer der ihrigen geſunken war, machten es auch zum Gegenſtand ihrer Re¬ ligion, Kranke und Alte ſelbſt zu pflegen.
Ueberlegt man hiebei, daß die meiſten Urſachen, welche Armuth hervorbringen, ja lange ſchon aus dem Wege geraͤumt waren, als
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Wohlhabende, bei der Geburt eines Kindes nicht
den gewohnten Satz, ſondern mehr beiſteuerten.
Gerieth nun Jemand in Noth, meldete er
ſich bei der naͤchſten Sadtverwaltung. Dieſe un¬
terſuchte ſeinen Zuſtand genau. Einem geſunden
Menſchen ward nicht das Mindeſte ſchenkend ge¬
reicht, ſondern er empfing die Gelegenheit, durch
diejenige Arbeit, welche er verrichten konnte, den
Unterhalt zu erſchwingen. Krank dagegen nahm
ihn ein Spital auf. Das Alter von ſechzig Jah¬
ren durfte auf eine angemeſſene Beihuͤlfe zu der
ihm noch moͤglichen Arheit zaͤhlen, uͤber ſiebzig
Jahr verpflegte man dagegen Greiſe und Grei¬
ſinnen ganz, was auch bei Kruͤppeln und derglei¬
chen geſchah. Bei dem allen hielt ein zartes
Ehrgefuͤhl die Geſchlechter ab, eines ihrer Glie¬
der in die Nothwendigkeit zu verſetzen, die oͤffent¬
liche Wohlthaͤtigkeit in Anſpruch zu nehmen;
wenn es irgend moͤglich ſchien, verheimlichten ſie
den Mangel in den einer der ihrigen geſunken
war, machten es auch zum Gegenſtand ihrer Re¬
ligion, Kranke und Alte ſelbſt zu pflegen.
Ueberlegt man hiebei, daß die meiſten
Urſachen, welche Armuth hervorbringen, ja
lange ſchon aus dem Wege geraͤumt waren, als
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Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/251>, abgerufen am 22.11.2024.
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