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Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810.

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Er sann nach. Nicht unmöglich war es ja,
daß andere Reisende noch ankämen, und ihn zu
den Wohnungen der Menschen brächten, er
mußte sich erhalten, daß in diesem Fall sie ihn
lebend fänden.

Der Schlitten ward untersucht, nachdem des
Greises Hülle hinausgetragen war. Lebensmit¬
tel? Ja, dürftig, auf die Zeit eines Monats
etwa. Auch Feuerung. Langte bis dahin ein
Retter an, war das Leben zu fristen. Also
muthig.

Er ging so sparsam mit seinem Vorrath um,
als es nur sein konnte, gab sich wechselnd Be¬
wegung im Freien, und erwärmte die Glieder.
Der Gedanke an seinen Traum war ein Balsam.
Er kam sich oft vor, wie eine Mumie, die dieser
Balsam vor Zerstörung bewahrte.

Es war um Neujahr, als der Eremit ver¬
lassen worden, der traurige Monat schwand bald
hin, noch mangelte ihm aber nichts, so kärglich
hatte er gewaltet. Aber auch kein Wanderer
nahte. Wozu jedoch den Trost der Hoffnung auf¬
geben? "Wir sehn uns wieder," hatte das
Traumgesicht verkündet.

Noch ein Monat floh hin, nun war keine

Er ſann nach. Nicht unmoͤglich war es ja,
daß andere Reiſende noch ankaͤmen, und ihn zu
den Wohnungen der Menſchen braͤchten, er
mußte ſich erhalten, daß in dieſem Fall ſie ihn
lebend faͤnden.

Der Schlitten ward unterſucht, nachdem des
Greiſes Huͤlle hinausgetragen war. Lebensmit¬
tel? Ja, duͤrftig, auf die Zeit eines Monats
etwa. Auch Feuerung. Langte bis dahin ein
Retter an, war das Leben zu friſten. Alſo
muthig.

Er ging ſo ſparſam mit ſeinem Vorrath um,
als es nur ſein konnte, gab ſich wechſelnd Be¬
wegung im Freien, und erwaͤrmte die Glieder.
Der Gedanke an ſeinen Traum war ein Balſam.
Er kam ſich oft vor, wie eine Mumie, die dieſer
Balſam vor Zerſtoͤrung bewahrte.

Es war um Neujahr, als der Eremit ver¬
laſſen worden, der traurige Monat ſchwand bald
hin, noch mangelte ihm aber nichts, ſo kaͤrglich
hatte er gewaltet. Aber auch kein Wanderer
nahte. Wozu jedoch den Troſt der Hoffnung auf¬
geben? „Wir ſehn uns wieder,“ hatte das
Traumgeſicht verkuͤndet.

Noch ein Monat floh hin, nun war keine

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[324/0336] Er ſann nach. Nicht unmoͤglich war es ja, daß andere Reiſende noch ankaͤmen, und ihn zu den Wohnungen der Menſchen braͤchten, er mußte ſich erhalten, daß in dieſem Fall ſie ihn lebend faͤnden. Der Schlitten ward unterſucht, nachdem des Greiſes Huͤlle hinausgetragen war. Lebensmit¬ tel? Ja, duͤrftig, auf die Zeit eines Monats etwa. Auch Feuerung. Langte bis dahin ein Retter an, war das Leben zu friſten. Alſo muthig. Er ging ſo ſparſam mit ſeinem Vorrath um, als es nur ſein konnte, gab ſich wechſelnd Be¬ wegung im Freien, und erwaͤrmte die Glieder. Der Gedanke an ſeinen Traum war ein Balſam. Er kam ſich oft vor, wie eine Mumie, die dieſer Balſam vor Zerſtoͤrung bewahrte. Es war um Neujahr, als der Eremit ver¬ laſſen worden, der traurige Monat ſchwand bald hin, noch mangelte ihm aber nichts, ſo kaͤrglich hatte er gewaltet. Aber auch kein Wanderer nahte. Wozu jedoch den Troſt der Hoffnung auf¬ geben? „Wir ſehn uns wieder,“ hatte das Traumgeſicht verkuͤndet. Noch ein Monat floh hin, nun war keine

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Zitationshilfe: Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/336>, abgerufen am 22.11.2024.