Siehe da wird mein Geist dich umschweben mit lispelnder Ahndung, Dich die stille Pracht der Natur und ihre Geseze Lehren, und meiner Sprache Geheimnisse: daß in der Felskluft Freundlich erscheinend dir die Jungfrau reiche den Nektar. Furchtbar ist, o Jüngling, die Laufbahn, welche du wandelst; Aber zittere nicht: denn siehe! dich leitet Homäros! Wie von der Sonne geführt am goldenen Bande, die Erde Tanzet den wirbelnden Tanz; im Schmuck der Blumen und Früchte Lächelt sie jezt, und singt mit tausend Stimmen; doch jezo Hüllt sie ihr Antliz in Wolken, umheult von Orkanen, des Weltmeers Steigender Flut, und dem Feuer, das hinströmt; aber sie wandelt Ruhig fort, und segnet mit Licht und Wärme die Völker: Also wandle auch du, vom Kusse der Braut erheitert, Und dem Lallen des Sohns am Busen des lächelnden Weibes; Oder gehüllt in Schmerz, wann dir dein redlicher Vater Starb, und die einzige Schwester, die frischaufblühende Rose! Dreißig Monden daure die heilige Weihe; dann steige Kühn und demutsvol in die schaudrichte Höhle des Felsens. Unerschreckt vom Gekrächze der Raben, die dich umflattern, Flehe der Priesterin Geist, empfang' in goldener Schale Ihren sprudelnden Nektar, und sprenge den Kranz, der Odüßeus Tugenden tönt; den andern gebührt ein anderer Herold.
Siehe da wird mein Geiſt dich umſchweben mit lispelnder Ahndung, Dich die ſtille Pracht der Natur und ihre Geſeze Lehren, und meiner Sprache Geheimniſſe: daß in der Felskluft Freundlich erſcheinend dir die Jungfrau reiche den Nektar. Furchtbar iſt, o Juͤngling, die Laufbahn, welche du wandelſt; Aber zittere nicht: denn ſiehe! dich leitet Homaͤros! Wie von der Sonne gefuͤhrt am goldenen Bande, die Erde Tanzet den wirbelnden Tanz; im Schmuck der Blumen und Fruͤchte Laͤchelt ſie jezt, und ſingt mit tauſend Stimmen; doch jezo Huͤllt ſie ihr Antliz in Wolken, umheult von Orkanen, des Weltmeers Steigender Flut, und dem Feuer, das hinſtroͤmt; aber ſie wandelt Ruhig fort, und ſegnet mit Licht und Waͤrme die Voͤlker: Alſo wandle auch du, vom Kuſſe der Braut erheitert, Und dem Lallen des Sohns am Buſen des laͤchelnden Weibes; Oder gehuͤllt in Schmerz, wann dir dein redlicher Vater Starb, und die einzige Schweſter, die friſchaufbluͤhende Roſe! Dreißig Monden daure die heilige Weihe; dann ſteige Kuͤhn und demutsvol in die ſchaudrichte Hoͤhle des Felſens. Unerſchreckt vom Gekraͤchze der Raben, die dich umflattern, Flehe der Prieſterin Geiſt, empfang' in goldener Schale Ihren ſprudelnden Nektar, und ſprenge den Kranz, der Oduͤßeus Tugenden toͤnt; den andern gebuͤhrt ein anderer Herold.
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Siehe da wird mein Geiſt dich umſchweben mit lispelnder Ahndung,
Dich die ſtille Pracht der Natur und ihre Geſeze
Lehren, und meiner Sprache Geheimniſſe: daß in der Felskluft
Freundlich erſcheinend dir die Jungfrau reiche den Nektar.
Furchtbar iſt, o Juͤngling, die Laufbahn, welche du wandelſt;
Aber zittere nicht: denn ſiehe! dich leitet Homaͤros!
Wie von der Sonne gefuͤhrt am goldenen Bande, die Erde
Tanzet den wirbelnden Tanz; im Schmuck der Blumen und Fruͤchte
Laͤchelt ſie jezt, und ſingt mit tauſend Stimmen; doch jezo
Huͤllt ſie ihr Antliz in Wolken, umheult von Orkanen, des Weltmeers
Steigender Flut, und dem Feuer, das hinſtroͤmt; aber ſie wandelt
Ruhig fort, und ſegnet mit Licht und Waͤrme die Voͤlker:
Alſo wandle auch du, vom Kuſſe der Braut erheitert,
Und dem Lallen des Sohns am Buſen des laͤchelnden Weibes;
Oder gehuͤllt in Schmerz, wann dir dein redlicher Vater
Starb, und die einzige Schweſter, die friſchaufbluͤhende Roſe!
Dreißig Monden daure die heilige Weihe; dann ſteige
Kuͤhn und demutsvol in die ſchaudrichte Hoͤhle des Felſens.
Unerſchreckt vom Gekraͤchze der Raben, die dich umflattern,
Flehe der Prieſterin Geiſt, empfang' in goldener Schale
Ihren ſprudelnden Nektar, und ſprenge den Kranz, der Oduͤßeus
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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. [7]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/13>, abgerufen am 21.11.2024.
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