Und Eurüalos gab ihm diese schmähende Antwort: Nein wahrhaftig! o Fremdling, du scheinst mir kein Mann, der auf Kämpfe Sich versteht, so viele bei edlen Männern bekannt sind; 160 Sondern so einer, der stets vielrudrichte Schiffe befähret, Etwa ein Führer des Schiffs, das wegen der Handlung umherkreuzt, Wo du die Ladung besorgst, und jegliche Waare verzeichnest, Und den erscharrten Gewinnst! Ein Kämpfer scheinst du mitnichten!
Zürnend schaute auf ihn und sprach der weise Odüßeus: 165 Fremdling, du redest nicht fein; du scheinst mir ein troziger Jüngling. Wiße, Gott verleiht nicht alle vereinigte Anmut Allen sterblichen Menschen: Gestalt und Weisheit und Rede. Denn wie mancher erscheint in unansehnlicher Bildung; Aber es krönet Gott die Worte mit Schönheit; und alle 170 Schaun mit Entzücken auf ihn; er redet sicher und treffend, Mit anmutiger Scheu; ihn ehrt die ganze Versammlung; Und durchgeht er die Stadt, wie ein Himmlischer wird er betrachtet. Mancher andere scheint den Unsterblichen ähnlich an Bildung; Aber seinen Worten gebricht die krönende Anmut. 175 Also prangst auch du mit reizender Bildung; nicht schöner Bildete selber ein Gott: doch dein Verstand ist nur eitel. Siehe du hast mir das Herz in meinem Busen empöret, Weil du nicht billig sprachst! Ich bin kein Neuling im Wettkampf, Wie du eben geschwazt; ich rühmte mich einen der Ersten, 180 Als ich der Jugend noch und meinen Armen vertraute. Jezt umringt mich Kummer und Noth; denn vieles erduldet Hab' ich in Schlachten des Kriegs, und den schrecklichen Wogen des Meeres. Aber auch jezt, so entkräftet ich bin, versuch' ich den Wettstreit! Denn an der Seele nagt mir die Red', und du hast mich gefodert! 185
Oduͤßee.
Und Euruͤalos gab ihm dieſe ſchmaͤhende Antwort: Nein wahrhaftig! o Fremdling, du ſcheinſt mir kein Mann, der auf Kaͤmpfe Sich verſteht, ſo viele bei edlen Maͤnnern bekannt ſind; 160 Sondern ſo einer, der ſtets vielrudrichte Schiffe befaͤhret, Etwa ein Fuͤhrer des Schiffs, das wegen der Handlung umherkreuzt, Wo du die Ladung beſorgſt, und jegliche Waare verzeichneſt, Und den erſcharrten Gewinnſt! Ein Kaͤmpfer ſcheinſt du mitnichten!
Zuͤrnend ſchaute auf ihn und ſprach der weiſe Oduͤßeus: 165 Fremdling, du redeſt nicht fein; du ſcheinſt mir ein troziger Juͤngling. Wiße, Gott verleiht nicht alle vereinigte Anmut Allen ſterblichen Menſchen: Geſtalt und Weisheit und Rede. Denn wie mancher erſcheint in unanſehnlicher Bildung; Aber es kroͤnet Gott die Worte mit Schoͤnheit; und alle 170 Schaun mit Entzuͤcken auf ihn; er redet ſicher und treffend, Mit anmutiger Scheu; ihn ehrt die ganze Verſammlung; Und durchgeht er die Stadt, wie ein Himmliſcher wird er betrachtet. Mancher andere ſcheint den Unſterblichen aͤhnlich an Bildung; Aber ſeinen Worten gebricht die kroͤnende Anmut. 175 Alſo prangſt auch du mit reizender Bildung; nicht ſchoͤner Bildete ſelber ein Gott: doch dein Verſtand iſt nur eitel. Siehe du haſt mir das Herz in meinem Buſen empoͤret, Weil du nicht billig ſprachſt! Ich bin kein Neuling im Wettkampf, Wie du eben geſchwazt; ich ruͤhmte mich einen der Erſten, 180 Als ich der Jugend noch und meinen Armen vertraute. Jezt umringt mich Kummer und Noth; denn vieles erduldet Hab' ich in Schlachten des Kriegs, und den ſchrecklichen Wogen des Meeres. Aber auch jezt, ſo entkraͤftet ich bin, verſuch' ich den Wettſtreit! Denn an der Seele nagt mir die Red', und du haſt mich gefodert! 185
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Oduͤßee.
Und Euruͤalos gab ihm dieſe ſchmaͤhende Antwort:
Nein wahrhaftig! o Fremdling, du ſcheinſt mir kein Mann, der auf Kaͤmpfe
Sich verſteht, ſo viele bei edlen Maͤnnern bekannt ſind;
Sondern ſo einer, der ſtets vielrudrichte Schiffe befaͤhret,
Etwa ein Fuͤhrer des Schiffs, das wegen der Handlung umherkreuzt,
Wo du die Ladung beſorgſt, und jegliche Waare verzeichneſt,
Und den erſcharrten Gewinnſt! Ein Kaͤmpfer ſcheinſt du mitnichten!
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Zuͤrnend ſchaute auf ihn und ſprach der weiſe Oduͤßeus:
Fremdling, du redeſt nicht fein; du ſcheinſt mir ein troziger Juͤngling.
Wiße, Gott verleiht nicht alle vereinigte Anmut
Allen ſterblichen Menſchen: Geſtalt und Weisheit und Rede.
Denn wie mancher erſcheint in unanſehnlicher Bildung;
Aber es kroͤnet Gott die Worte mit Schoͤnheit; und alle
Schaun mit Entzuͤcken auf ihn; er redet ſicher und treffend,
Mit anmutiger Scheu; ihn ehrt die ganze Verſammlung;
Und durchgeht er die Stadt, wie ein Himmliſcher wird er betrachtet.
Mancher andere ſcheint den Unſterblichen aͤhnlich an Bildung;
Aber ſeinen Worten gebricht die kroͤnende Anmut.
Alſo prangſt auch du mit reizender Bildung; nicht ſchoͤner
Bildete ſelber ein Gott: doch dein Verſtand iſt nur eitel.
Siehe du haſt mir das Herz in meinem Buſen empoͤret,
Weil du nicht billig ſprachſt! Ich bin kein Neuling im Wettkampf,
Wie du eben geſchwazt; ich ruͤhmte mich einen der Erſten,
Als ich der Jugend noch und meinen Armen vertraute.
Jezt umringt mich Kummer und Noth; denn vieles erduldet
Hab' ich in Schlachten des Kriegs, und den ſchrecklichen Wogen des Meeres.
Aber auch jezt, ſo entkraͤftet ich bin, verſuch' ich den Wettſtreit!
Denn an der Seele nagt mir die Red', und du haſt mich gefodert!
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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/152>, abgerufen am 21.11.2024.
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