Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Odüßee.
Jezo fallen wir dir zu Füßen, und flehen in Demut:
Reich' uns eine geringe Bewirtung, oder ein andres
Kleines Geschenk, wie man gewöhnlich den Fremdlingen anbeut!
Scheue doch, Beßter, die Götter! Wir Armen flehn dir um Hülfe!
Und ein Rächer ist Zeus den hülfeflehenden Fremden,270
Zeus der Gastliche, welcher die heiligen Gäste geleitet!

Also sprach ich; und drauf versezte der grausame Wütrich:
Fremdling, du bist ein Narr, oder kommst auch ferne von hinnen!
Mir befiehlst du, die Götter zu fürchten, die Götter zu ehren?
Wir Küklopen kümmern uns nicht um den König des Himmels,275
Noch um die seligen Götter; denn wir sind beßer, als jene!
Nimmer verschon' ich euer aus Furcht vor der Rache Kronions,
Dein und deiner Gesellen, wofern es mir selbst nicht gelüstet!
Sage mir an: wo bist du mit deinem Schiffe gelandet?
Irgendwo in der Fern', oder nahe? damit ich es wiße!280

Also sprach er voll Tück'; allein ich kannte dergleichen.
Eilend erwiedert' ich ihm die schlauersonnenen Worte:

Ach mein Schiff hat der Erderschütterer Poseidaon
Mir an den Klippen zerschmettert, indem er ans schroffe Gestade
Eures Landes es warf, und der Sturm aus dem Meer es verfolgte!285
Ich nur und diese Gefährten entflohn dem Schreckenverhängniß!

Also sprach ich; und nichts versezte der grausame Wütrich;
Sondern fuhr auf, und streckte nach meinen Gefährten die Händ' aus,
Deren er zween anpackt', und wie junge Hund' auf den Boden
Schmetterte: blutig entsprizt' ihr Gehirn, und nezte den Boden.290
Dann zerstückt' er sie Glied vor Glied, und tischte den Schmaus auf,
Schluckte darein, wie ein Leu des Felsengebirgs, und verschmähte
Weder Eingeweide, noch Fleisch, noch die markichten Knochen.

Oduͤßee.
Jezo fallen wir dir zu Fuͤßen, und flehen in Demut:
Reich' uns eine geringe Bewirtung, oder ein andres
Kleines Geſchenk, wie man gewoͤhnlich den Fremdlingen anbeut!
Scheue doch, Beßter, die Goͤtter! Wir Armen flehn dir um Huͤlfe!
Und ein Raͤcher iſt Zeus den huͤlfeflehenden Fremden,270
Zeus der Gaſtliche, welcher die heiligen Gaͤſte geleitet!

Alſo ſprach ich; und drauf verſezte der grauſame Wuͤtrich:
Fremdling, du biſt ein Narr, oder kommſt auch ferne von hinnen!
Mir befiehlſt du, die Goͤtter zu fuͤrchten, die Goͤtter zu ehren?
Wir Kuͤklopen kuͤmmern uns nicht um den Koͤnig des Himmels,275
Noch um die ſeligen Goͤtter; denn wir ſind beßer, als jene!
Nimmer verſchon' ich euer aus Furcht vor der Rache Kronions,
Dein und deiner Geſellen, wofern es mir ſelbſt nicht geluͤſtet!
Sage mir an: wo biſt du mit deinem Schiffe gelandet?
Irgendwo in der Fern', oder nahe? damit ich es wiße!280

Alſo ſprach er voll Tuͤck'; allein ich kannte dergleichen.
Eilend erwiedert' ich ihm die ſchlauerſonnenen Worte:

Ach mein Schiff hat der Erderſchuͤtterer Poſeidaon
Mir an den Klippen zerſchmettert, indem er ans ſchroffe Geſtade
Eures Landes es warf, und der Sturm aus dem Meer es verfolgte!285
Ich nur und dieſe Gefaͤhrten entflohn dem Schreckenverhaͤngniß!

Alſo ſprach ich; und nichts verſezte der grauſame Wuͤtrich;
Sondern fuhr auf, und ſtreckte nach meinen Gefaͤhrten die Haͤnd' aus,
Deren er zween anpackt', und wie junge Hund' auf den Boden
Schmetterte: blutig entſprizt' ihr Gehirn, und nezte den Boden.290
Dann zerſtuͤckt' er ſie Glied vor Glied, und tiſchte den Schmaus auf,
Schluckte darein, wie ein Leu des Felſengebirgs, und verſchmaͤhte
Weder Eingeweide, noch Fleiſch, noch die markichten Knochen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0178" n="172"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Odu&#x0364;ßee.</hi></fw><lb/>
Jezo fallen wir dir zu Fu&#x0364;ßen, und flehen in Demut:<lb/>
Reich' uns eine geringe Bewirtung, oder ein andres<lb/>
Kleines Ge&#x017F;chenk, wie man gewo&#x0364;hnlich den Fremdlingen anbeut!<lb/>
Scheue doch, Beßter, die Go&#x0364;tter! Wir Armen flehn dir um Hu&#x0364;lfe!<lb/>
Und ein Ra&#x0364;cher i&#x017F;t Zeus den hu&#x0364;lfeflehenden Fremden,<note place="right">270</note><lb/>
Zeus der Ga&#x017F;tliche, welcher die heiligen Ga&#x0364;&#x017F;te geleitet!</p><lb/>
        <p>Al&#x017F;o &#x017F;prach ich; und drauf ver&#x017F;ezte der grau&#x017F;ame Wu&#x0364;trich:<lb/>
Fremdling, du bi&#x017F;t ein Narr, oder komm&#x017F;t auch ferne von hinnen!<lb/>
Mir befiehl&#x017F;t du, die Go&#x0364;tter zu fu&#x0364;rchten, die Go&#x0364;tter zu ehren?<lb/>
Wir Ku&#x0364;klopen ku&#x0364;mmern uns nicht um den Ko&#x0364;nig des Himmels,<note place="right">275</note><lb/>
Noch um die &#x017F;eligen Go&#x0364;tter; denn wir &#x017F;ind beßer, als jene!<lb/>
Nimmer ver&#x017F;chon' ich euer aus Furcht vor der Rache Kronions,<lb/>
Dein und deiner Ge&#x017F;ellen, wofern es mir &#x017F;elb&#x017F;t nicht gelu&#x0364;&#x017F;tet!<lb/>
Sage mir an: wo bi&#x017F;t du mit deinem Schiffe gelandet?<lb/>
Irgendwo in der Fern', oder nahe? damit ich es wiße!<note place="right">280</note></p><lb/>
        <p>Al&#x017F;o &#x017F;prach er voll Tu&#x0364;ck'; allein ich kannte dergleichen.<lb/>
Eilend erwiedert' ich ihm die &#x017F;chlauer&#x017F;onnenen Worte:</p><lb/>
        <p>Ach mein Schiff hat der Erder&#x017F;chu&#x0364;tterer Po&#x017F;eidaon<lb/>
Mir an den Klippen zer&#x017F;chmettert, indem er ans &#x017F;chroffe Ge&#x017F;tade<lb/>
Eures Landes es warf, und der Sturm aus dem Meer es verfolgte!<note place="right">285</note><lb/>
Ich nur und die&#x017F;e Gefa&#x0364;hrten entflohn dem Schreckenverha&#x0364;ngniß!</p><lb/>
        <p>Al&#x017F;o &#x017F;prach ich; und nichts ver&#x017F;ezte der grau&#x017F;ame Wu&#x0364;trich;<lb/>
Sondern fuhr auf, und &#x017F;treckte nach meinen Gefa&#x0364;hrten die Ha&#x0364;nd' aus,<lb/>
Deren er zween anpackt', und wie junge Hund' auf den Boden<lb/>
Schmetterte: blutig ent&#x017F;prizt' ihr Gehirn, und nezte den Boden.<note place="right">290</note><lb/>
Dann zer&#x017F;tu&#x0364;ckt' er &#x017F;ie Glied vor Glied, und ti&#x017F;chte den Schmaus auf,<lb/>
Schluckte darein, wie ein Leu des Fel&#x017F;engebirgs, und ver&#x017F;chma&#x0364;hte<lb/>
Weder Eingeweide, noch Flei&#x017F;ch, noch die markichten Knochen.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[172/0178] Oduͤßee. Jezo fallen wir dir zu Fuͤßen, und flehen in Demut: Reich' uns eine geringe Bewirtung, oder ein andres Kleines Geſchenk, wie man gewoͤhnlich den Fremdlingen anbeut! Scheue doch, Beßter, die Goͤtter! Wir Armen flehn dir um Huͤlfe! Und ein Raͤcher iſt Zeus den huͤlfeflehenden Fremden, Zeus der Gaſtliche, welcher die heiligen Gaͤſte geleitet! 270 Alſo ſprach ich; und drauf verſezte der grauſame Wuͤtrich: Fremdling, du biſt ein Narr, oder kommſt auch ferne von hinnen! Mir befiehlſt du, die Goͤtter zu fuͤrchten, die Goͤtter zu ehren? Wir Kuͤklopen kuͤmmern uns nicht um den Koͤnig des Himmels, Noch um die ſeligen Goͤtter; denn wir ſind beßer, als jene! Nimmer verſchon' ich euer aus Furcht vor der Rache Kronions, Dein und deiner Geſellen, wofern es mir ſelbſt nicht geluͤſtet! Sage mir an: wo biſt du mit deinem Schiffe gelandet? Irgendwo in der Fern', oder nahe? damit ich es wiße! 275 280 Alſo ſprach er voll Tuͤck'; allein ich kannte dergleichen. Eilend erwiedert' ich ihm die ſchlauerſonnenen Worte: Ach mein Schiff hat der Erderſchuͤtterer Poſeidaon Mir an den Klippen zerſchmettert, indem er ans ſchroffe Geſtade Eures Landes es warf, und der Sturm aus dem Meer es verfolgte! Ich nur und dieſe Gefaͤhrten entflohn dem Schreckenverhaͤngniß! 285 Alſo ſprach ich; und nichts verſezte der grauſame Wuͤtrich; Sondern fuhr auf, und ſtreckte nach meinen Gefaͤhrten die Haͤnd' aus, Deren er zween anpackt', und wie junge Hund' auf den Boden Schmetterte: blutig entſprizt' ihr Gehirn, und nezte den Boden. Dann zerſtuͤckt' er ſie Glied vor Glied, und tiſchte den Schmaus auf, Schluckte darein, wie ein Leu des Felſengebirgs, und verſchmaͤhte Weder Eingeweide, noch Fleiſch, noch die markichten Knochen. 290

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/178
Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/178>, abgerufen am 21.11.2024.