Jezo fallen wir dir zu Füßen, und flehen in Demut: Reich' uns eine geringe Bewirtung, oder ein andres Kleines Geschenk, wie man gewöhnlich den Fremdlingen anbeut! Scheue doch, Beßter, die Götter! Wir Armen flehn dir um Hülfe! Und ein Rächer ist Zeus den hülfeflehenden Fremden,270 Zeus der Gastliche, welcher die heiligen Gäste geleitet!
Also sprach ich; und drauf versezte der grausame Wütrich: Fremdling, du bist ein Narr, oder kommst auch ferne von hinnen! Mir befiehlst du, die Götter zu fürchten, die Götter zu ehren? Wir Küklopen kümmern uns nicht um den König des Himmels,275 Noch um die seligen Götter; denn wir sind beßer, als jene! Nimmer verschon' ich euer aus Furcht vor der Rache Kronions, Dein und deiner Gesellen, wofern es mir selbst nicht gelüstet! Sage mir an: wo bist du mit deinem Schiffe gelandet? Irgendwo in der Fern', oder nahe? damit ich es wiße!280
Also sprach er voll Tück'; allein ich kannte dergleichen. Eilend erwiedert' ich ihm die schlauersonnenen Worte:
Ach mein Schiff hat der Erderschütterer Poseidaon Mir an den Klippen zerschmettert, indem er ans schroffe Gestade Eures Landes es warf, und der Sturm aus dem Meer es verfolgte!285 Ich nur und diese Gefährten entflohn dem Schreckenverhängniß!
Also sprach ich; und nichts versezte der grausame Wütrich; Sondern fuhr auf, und streckte nach meinen Gefährten die Händ' aus, Deren er zween anpackt', und wie junge Hund' auf den Boden Schmetterte: blutig entsprizt' ihr Gehirn, und nezte den Boden.290 Dann zerstückt' er sie Glied vor Glied, und tischte den Schmaus auf, Schluckte darein, wie ein Leu des Felsengebirgs, und verschmähte Weder Eingeweide, noch Fleisch, noch die markichten Knochen.
Oduͤßee.
Jezo fallen wir dir zu Fuͤßen, und flehen in Demut: Reich' uns eine geringe Bewirtung, oder ein andres Kleines Geſchenk, wie man gewoͤhnlich den Fremdlingen anbeut! Scheue doch, Beßter, die Goͤtter! Wir Armen flehn dir um Huͤlfe! Und ein Raͤcher iſt Zeus den huͤlfeflehenden Fremden,270 Zeus der Gaſtliche, welcher die heiligen Gaͤſte geleitet!
Alſo ſprach ich; und drauf verſezte der grauſame Wuͤtrich: Fremdling, du biſt ein Narr, oder kommſt auch ferne von hinnen! Mir befiehlſt du, die Goͤtter zu fuͤrchten, die Goͤtter zu ehren? Wir Kuͤklopen kuͤmmern uns nicht um den Koͤnig des Himmels,275 Noch um die ſeligen Goͤtter; denn wir ſind beßer, als jene! Nimmer verſchon' ich euer aus Furcht vor der Rache Kronions, Dein und deiner Geſellen, wofern es mir ſelbſt nicht geluͤſtet! Sage mir an: wo biſt du mit deinem Schiffe gelandet? Irgendwo in der Fern', oder nahe? damit ich es wiße!280
Alſo ſprach er voll Tuͤck'; allein ich kannte dergleichen. Eilend erwiedert' ich ihm die ſchlauerſonnenen Worte:
Ach mein Schiff hat der Erderſchuͤtterer Poſeidaon Mir an den Klippen zerſchmettert, indem er ans ſchroffe Geſtade Eures Landes es warf, und der Sturm aus dem Meer es verfolgte!285 Ich nur und dieſe Gefaͤhrten entflohn dem Schreckenverhaͤngniß!
Alſo ſprach ich; und nichts verſezte der grauſame Wuͤtrich; Sondern fuhr auf, und ſtreckte nach meinen Gefaͤhrten die Haͤnd' aus, Deren er zween anpackt', und wie junge Hund' auf den Boden Schmetterte: blutig entſprizt' ihr Gehirn, und nezte den Boden.290 Dann zerſtuͤckt' er ſie Glied vor Glied, und tiſchte den Schmaus auf, Schluckte darein, wie ein Leu des Felſengebirgs, und verſchmaͤhte Weder Eingeweide, noch Fleiſch, noch die markichten Knochen.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0178"n="172"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Oduͤßee.</hi></fw><lb/>
Jezo fallen wir dir zu Fuͤßen, und flehen in Demut:<lb/>
Reich' uns eine geringe Bewirtung, oder ein andres<lb/>
Kleines Geſchenk, wie man gewoͤhnlich den Fremdlingen anbeut!<lb/>
Scheue doch, Beßter, die Goͤtter! Wir Armen flehn dir um Huͤlfe!<lb/>
Und ein Raͤcher iſt Zeus den huͤlfeflehenden Fremden,<noteplace="right">270</note><lb/>
Zeus der Gaſtliche, welcher die heiligen Gaͤſte geleitet!</p><lb/><p>Alſo ſprach ich; und drauf verſezte der grauſame Wuͤtrich:<lb/>
Fremdling, du biſt ein Narr, oder kommſt auch ferne von hinnen!<lb/>
Mir befiehlſt du, die Goͤtter zu fuͤrchten, die Goͤtter zu ehren?<lb/>
Wir Kuͤklopen kuͤmmern uns nicht um den Koͤnig des Himmels,<noteplace="right">275</note><lb/>
Noch um die ſeligen Goͤtter; denn wir ſind beßer, als jene!<lb/>
Nimmer verſchon' ich euer aus Furcht vor der Rache Kronions,<lb/>
Dein und deiner Geſellen, wofern es mir ſelbſt nicht geluͤſtet!<lb/>
Sage mir an: wo biſt du mit deinem Schiffe gelandet?<lb/>
Irgendwo in der Fern', oder nahe? damit ich es wiße!<noteplace="right">280</note></p><lb/><p>Alſo ſprach er voll Tuͤck'; allein ich kannte dergleichen.<lb/>
Eilend erwiedert' ich ihm die ſchlauerſonnenen Worte:</p><lb/><p>Ach mein Schiff hat der Erderſchuͤtterer Poſeidaon<lb/>
Mir an den Klippen zerſchmettert, indem er ans ſchroffe Geſtade<lb/>
Eures Landes es warf, und der Sturm aus dem Meer es verfolgte!<noteplace="right">285</note><lb/>
Ich nur und dieſe Gefaͤhrten entflohn dem Schreckenverhaͤngniß!</p><lb/><p>Alſo ſprach ich; und nichts verſezte der grauſame Wuͤtrich;<lb/>
Sondern fuhr auf, und ſtreckte nach meinen Gefaͤhrten die Haͤnd' aus,<lb/>
Deren er zween anpackt', und wie junge Hund' auf den Boden<lb/>
Schmetterte: blutig entſprizt' ihr Gehirn, und nezte den Boden.<noteplace="right">290</note><lb/>
Dann zerſtuͤckt' er ſie Glied vor Glied, und tiſchte den Schmaus auf,<lb/>
Schluckte darein, wie ein Leu des Felſengebirgs, und verſchmaͤhte<lb/>
Weder Eingeweide, noch Fleiſch, noch die markichten Knochen.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[172/0178]
Oduͤßee.
Jezo fallen wir dir zu Fuͤßen, und flehen in Demut:
Reich' uns eine geringe Bewirtung, oder ein andres
Kleines Geſchenk, wie man gewoͤhnlich den Fremdlingen anbeut!
Scheue doch, Beßter, die Goͤtter! Wir Armen flehn dir um Huͤlfe!
Und ein Raͤcher iſt Zeus den huͤlfeflehenden Fremden,
Zeus der Gaſtliche, welcher die heiligen Gaͤſte geleitet!
270
Alſo ſprach ich; und drauf verſezte der grauſame Wuͤtrich:
Fremdling, du biſt ein Narr, oder kommſt auch ferne von hinnen!
Mir befiehlſt du, die Goͤtter zu fuͤrchten, die Goͤtter zu ehren?
Wir Kuͤklopen kuͤmmern uns nicht um den Koͤnig des Himmels,
Noch um die ſeligen Goͤtter; denn wir ſind beßer, als jene!
Nimmer verſchon' ich euer aus Furcht vor der Rache Kronions,
Dein und deiner Geſellen, wofern es mir ſelbſt nicht geluͤſtet!
Sage mir an: wo biſt du mit deinem Schiffe gelandet?
Irgendwo in der Fern', oder nahe? damit ich es wiße!
275
280
Alſo ſprach er voll Tuͤck'; allein ich kannte dergleichen.
Eilend erwiedert' ich ihm die ſchlauerſonnenen Worte:
Ach mein Schiff hat der Erderſchuͤtterer Poſeidaon
Mir an den Klippen zerſchmettert, indem er ans ſchroffe Geſtade
Eures Landes es warf, und der Sturm aus dem Meer es verfolgte!
Ich nur und dieſe Gefaͤhrten entflohn dem Schreckenverhaͤngniß!
285
Alſo ſprach ich; und nichts verſezte der grauſame Wuͤtrich;
Sondern fuhr auf, und ſtreckte nach meinen Gefaͤhrten die Haͤnd' aus,
Deren er zween anpackt', und wie junge Hund' auf den Boden
Schmetterte: blutig entſprizt' ihr Gehirn, und nezte den Boden.
Dann zerſtuͤckt' er ſie Glied vor Glied, und tiſchte den Schmaus auf,
Schluckte darein, wie ein Leu des Felſengebirgs, und verſchmaͤhte
Weder Eingeweide, noch Fleiſch, noch die markichten Knochen.
290
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/178>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.