Also sprach ich; und drauf antwortete jener, und sagte: Edler Laertiad', erfindungsreicher Odüßeus, 405 Nein, mich tödtete nicht der Erderschüttrer Poseidon, Da er den wilden Orkan lautbrausender Winde mir sandte; Noch ermordeten mich auf dem Lande feindliche Männer. Sondern Aigisthos bereitete mir das Schicksal des Todes, Samt dem heillosen Weibe! Er lud mich zu Gast, und erschlug mich 410 Unter den Freuden des Mahls: so erschlägt man den Stier an der Krippe! Also starb ich den kläglichsten Tod; und alle Gefährten Stürzten in Haufen umher, wie hauerbewaffnete Eber, Die man im Hause des reichen gewaltigen Mannes zur Hochzeit, Oder zum Feiergelag' abschlachtet, oder zum Gastmahl. 415 Schon bei vieler Männer Ermordung warst du zugegen, Die in dem Zweikampf blieben, und in der wütenden Feldschlacht; Doch kein Anblick hätte dein Herz so innig gerühret, Als wie wir um den Kelch und die speisebeladenen Tische Lagen im weiten Gemach, und rings der Boden in Blut schwamm! 420 Jämmerlich hört' ich vor allen Kaßandra, Priamos Tochter, Winseln, es tödtete sie die tückische Klütaimnästra Ueber mir; da erhub ich die Hände noch von der Erde, Und griff sterbend ins Schwert der Mörderin. Aber die Freche Ging von mir weg, ohn einmal die Augen des sterbenden Mannes 425 Zuzudrücken, noch ihm die kalten Lippen zu schließen. Nichts ist scheuslicher doch, nichts unverschämter auf Erden, Als ein Weib, entschloßen zu solcher entsezlichen Schandthat, Wie sie jene verübt, die Grausame! welche den Liebling Ihrer Jugend mit List hinrichtete! Ach wie entzückte 430 Mich die Hoffnung, daheim von meinen Leuten und Kindern
Oduͤßee.
Alſo ſprach ich; und drauf antwortete jener, und ſagte: Edler Laertiad', erfindungsreicher Oduͤßeus, 405 Nein, mich toͤdtete nicht der Erderſchuͤttrer Poſeidon, Da er den wilden Orkan lautbrauſender Winde mir ſandte; Noch ermordeten mich auf dem Lande feindliche Maͤnner. Sondern Aigiſthos bereitete mir das Schickſal des Todes, Samt dem heilloſen Weibe! Er lud mich zu Gaſt, und erſchlug mich 410 Unter den Freuden des Mahls: ſo erſchlaͤgt man den Stier an der Krippe! Alſo ſtarb ich den klaͤglichſten Tod; und alle Gefaͤhrten Stuͤrzten in Haufen umher, wie hauerbewaffnete Eber, Die man im Hauſe des reichen gewaltigen Mannes zur Hochzeit, Oder zum Feiergelag' abſchlachtet, oder zum Gaſtmahl. 415 Schon bei vieler Maͤnner Ermordung warſt du zugegen, Die in dem Zweikampf blieben, und in der wuͤtenden Feldſchlacht; Doch kein Anblick haͤtte dein Herz ſo innig geruͤhret, Als wie wir um den Kelch und die ſpeiſebeladenen Tiſche Lagen im weiten Gemach, und rings der Boden in Blut ſchwamm! 420 Jaͤmmerlich hoͤrt' ich vor allen Kaßandra, Priamos Tochter, Winſeln, es toͤdtete ſie die tuͤckiſche Kluͤtaimnaͤſtra Ueber mir; da erhub ich die Haͤnde noch von der Erde, Und griff ſterbend ins Schwert der Moͤrderin. Aber die Freche Ging von mir weg, ohn einmal die Augen des ſterbenden Mannes 425 Zuzudruͤcken, noch ihm die kalten Lippen zu ſchließen. Nichts iſt ſcheuslicher doch, nichts unverſchaͤmter auf Erden, Als ein Weib, entſchloßen zu ſolcher entſezlichen Schandthat, Wie ſie jene veruͤbt, die Grauſame! welche den Liebling Ihrer Jugend mit Liſt hinrichtete! Ach wie entzuͤckte 430 Mich die Hoffnung, daheim von meinen Leuten und Kindern
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Oduͤßee.
Alſo ſprach ich; und drauf antwortete jener, und ſagte:
Edler Laertiad', erfindungsreicher Oduͤßeus,
Nein, mich toͤdtete nicht der Erderſchuͤttrer Poſeidon,
Da er den wilden Orkan lautbrauſender Winde mir ſandte;
Noch ermordeten mich auf dem Lande feindliche Maͤnner.
Sondern Aigiſthos bereitete mir das Schickſal des Todes,
Samt dem heilloſen Weibe! Er lud mich zu Gaſt, und erſchlug mich
Unter den Freuden des Mahls: ſo erſchlaͤgt man den Stier an der Krippe!
Alſo ſtarb ich den klaͤglichſten Tod; und alle Gefaͤhrten
Stuͤrzten in Haufen umher, wie hauerbewaffnete Eber,
Die man im Hauſe des reichen gewaltigen Mannes zur Hochzeit,
Oder zum Feiergelag' abſchlachtet, oder zum Gaſtmahl.
Schon bei vieler Maͤnner Ermordung warſt du zugegen,
Die in dem Zweikampf blieben, und in der wuͤtenden Feldſchlacht;
Doch kein Anblick haͤtte dein Herz ſo innig geruͤhret,
Als wie wir um den Kelch und die ſpeiſebeladenen Tiſche
Lagen im weiten Gemach, und rings der Boden in Blut ſchwamm!
Jaͤmmerlich hoͤrt' ich vor allen Kaßandra, Priamos Tochter,
Winſeln, es toͤdtete ſie die tuͤckiſche Kluͤtaimnaͤſtra
Ueber mir; da erhub ich die Haͤnde noch von der Erde,
Und griff ſterbend ins Schwert der Moͤrderin. Aber die Freche
Ging von mir weg, ohn einmal die Augen des ſterbenden Mannes
Zuzudruͤcken, noch ihm die kalten Lippen zu ſchließen.
Nichts iſt ſcheuslicher doch, nichts unverſchaͤmter auf Erden,
Als ein Weib, entſchloßen zu ſolcher entſezlichen Schandthat,
Wie ſie jene veruͤbt, die Grauſame! welche den Liebling
Ihrer Jugend mit Liſt hinrichtete! Ach wie entzuͤckte
Mich die Hoffnung, daheim von meinen Leuten und Kindern
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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/226>, abgerufen am 23.11.2024.
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