Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Dreizehnter Gesang.
Sieh, ich vermutet', es sollte nach vielen Leiden Odüßeus
Kommen ins Vaterland; denn gänzlich hätt' ich die Heimkehr
Nimmer gewehrt, da dein allmächtiger Wink sie verheißen:
Und sie bringen im Schlaf ihn über die Wogen, und sezen
Ihn in Ithaka aus, und geben ihm theure Geschenke, 135
Erzes und Goldes die Meng', und schöngewebete Kleider,
Mehr als Odüßeus je aus Ilion hätte geführet,
Wär er auch ohne Schaden mit seiner Beute gekommen!

Ihm antwortete drauf der Wolkenversammler Kronion:
Welche Red' entfiel dir, du erderschütternder König? 140
Nimmer verachten dich die Götter! vermeßene Kühnheit
Wär' es, den ältesten mächtigsten Gott mit Verachtung zu reizen.
Weigert sich aber ein Mensch, durch Kraft und Stärke verleitet,
Dich, wie er soll, zu ehren; so bleibt dir ja immer die Rache.
Thue jezt, wie du willst, und deinem Herzen gelüstet! 145

Drauf erwiederte jenem der Erderschüttrer Poseidon:
Gerne vollendet' ich gleich, Schwarzwolkichter, was du gestatest;
Aber ich fürchte mich stets vor deinem eifernden Zorne.
Jezo will ich das schöngezimmerte Schiff der Faiaken,
Das vom Geleiten kehrt, im dunkelwogenden Meere 150
Plözlich verderben; damit sie sich scheun, und die Männergeleitung
Laßen; und rings um die Stadt will ich ein hohes Gebirg ziehn.

Ihm antwortete drauf der Wolkenversammler Kronion:
Theuerster, dieser Rath scheint meinem Sinne der beßte.
Wann die Bürger der Stadt dem näher rudernden Schiffe 155
Alle entgegen schaun, dann verwandel' es nahe dem Ufer
Zum schiffähnlichen Fels; daß alle Menschen dem Wunder
Staunen; und rings um die Stadt magst du ein hohes Gebirg ziehn.

Dreizehnter Geſang.
Sieh, ich vermutet', es ſollte nach vielen Leiden Oduͤßeus
Kommen ins Vaterland; denn gaͤnzlich haͤtt' ich die Heimkehr
Nimmer gewehrt, da dein allmaͤchtiger Wink ſie verheißen:
Und ſie bringen im Schlaf ihn uͤber die Wogen, und ſezen
Ihn in Ithaka aus, und geben ihm theure Geſchenke, 135
Erzes und Goldes die Meng', und ſchoͤngewebete Kleider,
Mehr als Oduͤßeus je aus Ilion haͤtte gefuͤhret,
Waͤr er auch ohne Schaden mit ſeiner Beute gekommen!

Ihm antwortete drauf der Wolkenverſammler Kronion:
Welche Red' entfiel dir, du erderſchuͤtternder Koͤnig? 140
Nimmer verachten dich die Goͤtter! vermeßene Kuͤhnheit
Waͤr' es, den aͤlteſten maͤchtigſten Gott mit Verachtung zu reizen.
Weigert ſich aber ein Menſch, durch Kraft und Staͤrke verleitet,
Dich, wie er ſoll, zu ehren; ſo bleibt dir ja immer die Rache.
Thue jezt, wie du willſt, und deinem Herzen geluͤſtet! 145

Drauf erwiederte jenem der Erderſchuͤttrer Poſeidon:
Gerne vollendet' ich gleich, Schwarzwolkichter, was du geſtateſt;
Aber ich fuͤrchte mich ſtets vor deinem eifernden Zorne.
Jezo will ich das ſchoͤngezimmerte Schiff der Faiaken,
Das vom Geleiten kehrt, im dunkelwogenden Meere 150
Ploͤzlich verderben; damit ſie ſich ſcheun, und die Maͤnnergeleitung
Laßen; und rings um die Stadt will ich ein hohes Gebirg ziehn.

Ihm antwortete drauf der Wolkenverſammler Kronion:
Theuerſter, dieſer Rath ſcheint meinem Sinne der beßte.
Wann die Buͤrger der Stadt dem naͤher rudernden Schiffe 155
Alle entgegen ſchaun, dann verwandel' es nahe dem Ufer
Zum ſchiffaͤhnlichen Fels; daß alle Menſchen dem Wunder
Staunen; und rings um die Stadt magſt du ein hohes Gebirg ziehn.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0257" n="251"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Dreizehnter Ge&#x017F;ang.</hi></fw><lb/>
Sieh, ich vermutet', es &#x017F;ollte nach vielen Leiden Odu&#x0364;ßeus<lb/>
Kommen ins Vaterland; denn ga&#x0364;nzlich ha&#x0364;tt' ich die Heimkehr<lb/>
Nimmer gewehrt, da dein allma&#x0364;chtiger Wink &#x017F;ie verheißen:<lb/>
Und &#x017F;ie bringen im Schlaf ihn u&#x0364;ber die Wogen, und &#x017F;ezen<lb/>
Ihn in Ithaka aus, und geben ihm theure Ge&#x017F;chenke, <note place="right">135</note><lb/>
Erzes und Goldes die Meng', und &#x017F;cho&#x0364;ngewebete Kleider,<lb/>
Mehr als Odu&#x0364;ßeus je aus Ilion ha&#x0364;tte gefu&#x0364;hret,<lb/>
Wa&#x0364;r er auch ohne Schaden mit &#x017F;einer Beute gekommen!</p><lb/>
        <p>Ihm antwortete drauf der Wolkenver&#x017F;ammler Kronion:<lb/>
Welche Red' entfiel dir, du erder&#x017F;chu&#x0364;tternder Ko&#x0364;nig? <note place="right">140</note><lb/>
Nimmer verachten dich die Go&#x0364;tter! vermeßene Ku&#x0364;hnheit<lb/>
Wa&#x0364;r' es, den a&#x0364;lte&#x017F;ten ma&#x0364;chtig&#x017F;ten Gott mit Verachtung zu reizen.<lb/>
Weigert &#x017F;ich aber ein Men&#x017F;ch, durch Kraft und Sta&#x0364;rke verleitet,<lb/>
Dich, wie er &#x017F;oll, zu ehren; &#x017F;o bleibt dir ja immer die Rache.<lb/>
Thue jezt, wie du will&#x017F;t, und deinem Herzen gelu&#x0364;&#x017F;tet! <note place="right">145</note></p><lb/>
        <p>Drauf erwiederte jenem der Erder&#x017F;chu&#x0364;ttrer Po&#x017F;eidon:<lb/>
Gerne vollendet' ich gleich, Schwarzwolkichter, was du ge&#x017F;tate&#x017F;t;<lb/>
Aber ich fu&#x0364;rchte mich &#x017F;tets vor deinem eifernden Zorne.<lb/>
Jezo will ich das &#x017F;cho&#x0364;ngezimmerte Schiff der Faiaken,<lb/>
Das vom Geleiten kehrt, im dunkelwogenden Meere <note place="right">150</note><lb/>
Plo&#x0364;zlich verderben; damit &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;cheun, und die Ma&#x0364;nnergeleitung<lb/>
Laßen; und rings um die Stadt will ich ein hohes Gebirg ziehn.</p><lb/>
        <p>Ihm antwortete drauf der Wolkenver&#x017F;ammler Kronion:<lb/>
Theuer&#x017F;ter, die&#x017F;er Rath &#x017F;cheint meinem Sinne der beßte.<lb/>
Wann die Bu&#x0364;rger der Stadt dem na&#x0364;her rudernden Schiffe <note place="right">155</note><lb/>
Alle entgegen &#x017F;chaun, dann verwandel' es nahe dem Ufer<lb/>
Zum &#x017F;chiffa&#x0364;hnlichen Fels; daß alle Men&#x017F;chen dem Wunder<lb/>
Staunen; und rings um die Stadt mag&#x017F;t du ein hohes Gebirg ziehn.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[251/0257] Dreizehnter Geſang. Sieh, ich vermutet', es ſollte nach vielen Leiden Oduͤßeus Kommen ins Vaterland; denn gaͤnzlich haͤtt' ich die Heimkehr Nimmer gewehrt, da dein allmaͤchtiger Wink ſie verheißen: Und ſie bringen im Schlaf ihn uͤber die Wogen, und ſezen Ihn in Ithaka aus, und geben ihm theure Geſchenke, Erzes und Goldes die Meng', und ſchoͤngewebete Kleider, Mehr als Oduͤßeus je aus Ilion haͤtte gefuͤhret, Waͤr er auch ohne Schaden mit ſeiner Beute gekommen! 135 Ihm antwortete drauf der Wolkenverſammler Kronion: Welche Red' entfiel dir, du erderſchuͤtternder Koͤnig? Nimmer verachten dich die Goͤtter! vermeßene Kuͤhnheit Waͤr' es, den aͤlteſten maͤchtigſten Gott mit Verachtung zu reizen. Weigert ſich aber ein Menſch, durch Kraft und Staͤrke verleitet, Dich, wie er ſoll, zu ehren; ſo bleibt dir ja immer die Rache. Thue jezt, wie du willſt, und deinem Herzen geluͤſtet! 140 145 Drauf erwiederte jenem der Erderſchuͤttrer Poſeidon: Gerne vollendet' ich gleich, Schwarzwolkichter, was du geſtateſt; Aber ich fuͤrchte mich ſtets vor deinem eifernden Zorne. Jezo will ich das ſchoͤngezimmerte Schiff der Faiaken, Das vom Geleiten kehrt, im dunkelwogenden Meere Ploͤzlich verderben; damit ſie ſich ſcheun, und die Maͤnnergeleitung Laßen; und rings um die Stadt will ich ein hohes Gebirg ziehn. 150 Ihm antwortete drauf der Wolkenverſammler Kronion: Theuerſter, dieſer Rath ſcheint meinem Sinne der beßte. Wann die Buͤrger der Stadt dem naͤher rudernden Schiffe Alle entgegen ſchaun, dann verwandel' es nahe dem Ufer Zum ſchiffaͤhnlichen Fels; daß alle Menſchen dem Wunder Staunen; und rings um die Stadt magſt du ein hohes Gebirg ziehn. 155

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/257
Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/257>, abgerufen am 21.11.2024.