Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite
Odüßee.

Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
Rüsteten sie ihr Gespann, und bestiegen den zierlichen Wagen,
Lenkten darauf aus dem Thore des Hofs, und der tönenden Halle. 190
Treibend schwang er die Geißel, und willig enteilten die Roße.
Und sie erreichten bald die hochgebauete Pülos;
Und Tälemachos sprach zu Nestors blühendem Sohne:

Kannst du mir, Nestors Sohn, wohl eine Bitte gewähren?
Siehe wir rühmen uns ja von den Zeiten unserer Väter 195
Schon Gastfreunde zu sein, und sind auch einerlei Alters;
Und noch inniger wird uns diese Reise verbinden.
Fahre mein Schiff nicht vorbei, du Göttlicher; laß mich hier bleiben!
Denn mich möchte der Greis aufhalten in seinem Palaste,
Um mir Gutes zu thun; und ich muß aufs eiligste reisen. 200

Also sprach er, und Nestors Sohn bedachte sich schweigend,
Wie er mit guter Art ihm seine Bitte gewährte.
Dieser Gedanke schien dem Zweifelnden endlich der beßte:
An das Gestade des Meers zu dem Schiffe lenkt' er die Roße;
Legte dann hinten ins Schiff Tälemachos schöne Geschenke, 205
Sein Gewand und das Gold, so ihm Menelaos verehret.
Und nun trieb er ihn an, und sprach die geflügelten Worte:

Steige nun eilend ins Schiff, und ermuntere deine Gefährten,
Eh ich zu Hause komm', und dem Greise dieses verkünde!
Denn ich kenne zu gut in meinem Herzen des Vaters 210
Heftigen starren Sinn: er würde dich nimmer entlaßen,
Sondern selbst herkommen, dich einzuladen; und schwerlich
Ging' er dann leer zurück, so sehr würd' er zürnen und eifern!

Also sprach er, und lenkte die Roße mit wallenden Mähnen
Heim zu der Pülier Stadt, und bald erreicht' er die Wohnung. 215

Oduͤßee.

Als die daͤmmernde Fruͤhe mit Roſenfingern erwachte,
Ruͤſteten ſie ihr Geſpann, und beſtiegen den zierlichen Wagen,
Lenkten darauf aus dem Thore des Hofs, und der toͤnenden Halle. 190
Treibend ſchwang er die Geißel, und willig enteilten die Roße.
Und ſie erreichten bald die hochgebauete Puͤlos;
Und Taͤlemachos ſprach zu Neſtors bluͤhendem Sohne:

Kannſt du mir, Neſtors Sohn, wohl eine Bitte gewaͤhren?
Siehe wir ruͤhmen uns ja von den Zeiten unſerer Vaͤter 195
Schon Gaſtfreunde zu ſein, und ſind auch einerlei Alters;
Und noch inniger wird uns dieſe Reiſe verbinden.
Fahre mein Schiff nicht vorbei, du Goͤttlicher; laß mich hier bleiben!
Denn mich moͤchte der Greis aufhalten in ſeinem Palaſte,
Um mir Gutes zu thun; und ich muß aufs eiligſte reiſen. 200

Alſo ſprach er, und Neſtors Sohn bedachte ſich ſchweigend,
Wie er mit guter Art ihm ſeine Bitte gewaͤhrte.
Dieſer Gedanke ſchien dem Zweifelnden endlich der beßte:
An das Geſtade des Meers zu dem Schiffe lenkt' er die Roße;
Legte dann hinten ins Schiff Taͤlemachos ſchoͤne Geſchenke, 205
Sein Gewand und das Gold, ſo ihm Menelaos verehret.
Und nun trieb er ihn an, und ſprach die gefluͤgelten Worte:

Steige nun eilend ins Schiff, und ermuntere deine Gefaͤhrten,
Eh ich zu Hauſe komm', und dem Greiſe dieſes verkuͤnde!
Denn ich kenne zu gut in meinem Herzen des Vaters 210
Heftigen ſtarren Sinn: er wuͤrde dich nimmer entlaßen,
Sondern ſelbſt herkommen, dich einzuladen; und ſchwerlich
Ging' er dann leer zuruͤck, ſo ſehr wuͤrd' er zuͤrnen und eifern!

Alſo ſprach er, und lenkte die Roße mit wallenden Maͤhnen
Heim zu der Puͤlier Stadt, und bald erreicht' er die Wohnung. 215

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0296" n="290"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Odu&#x0364;ßee.</hi> </fw><lb/>
        <p>Als die da&#x0364;mmernde Fru&#x0364;he mit Ro&#x017F;enfingern erwachte,<lb/>
Ru&#x0364;&#x017F;teten &#x017F;ie ihr Ge&#x017F;pann, und be&#x017F;tiegen den zierlichen Wagen,<lb/>
Lenkten darauf aus dem Thore des Hofs, und der to&#x0364;nenden Halle. <note place="right">190</note><lb/>
Treibend &#x017F;chwang er die Geißel, und willig enteilten die Roße.<lb/>
Und &#x017F;ie erreichten bald die hochgebauete Pu&#x0364;los;<lb/>
Und Ta&#x0364;lemachos &#x017F;prach zu Ne&#x017F;tors blu&#x0364;hendem Sohne:</p><lb/>
        <p>Kann&#x017F;t du mir, Ne&#x017F;tors Sohn, wohl eine Bitte gewa&#x0364;hren?<lb/>
Siehe wir ru&#x0364;hmen uns ja von den Zeiten un&#x017F;erer Va&#x0364;ter <note place="right">195</note><lb/>
Schon Ga&#x017F;tfreunde zu &#x017F;ein, und &#x017F;ind auch einerlei Alters;<lb/>
Und noch inniger wird uns die&#x017F;e Rei&#x017F;e verbinden.<lb/>
Fahre mein Schiff nicht vorbei, du Go&#x0364;ttlicher; laß mich hier bleiben!<lb/>
Denn mich mo&#x0364;chte der Greis aufhalten in &#x017F;einem Pala&#x017F;te,<lb/>
Um mir Gutes zu thun; und ich muß aufs eilig&#x017F;te rei&#x017F;en. <note place="right">200</note></p><lb/>
        <p>Al&#x017F;o &#x017F;prach er, und Ne&#x017F;tors Sohn bedachte &#x017F;ich &#x017F;chweigend,<lb/>
Wie er mit guter Art ihm &#x017F;eine Bitte gewa&#x0364;hrte.<lb/>
Die&#x017F;er Gedanke &#x017F;chien dem Zweifelnden endlich der beßte:<lb/>
An das Ge&#x017F;tade des Meers zu dem Schiffe lenkt' er die Roße;<lb/>
Legte dann hinten ins Schiff Ta&#x0364;lemachos &#x017F;cho&#x0364;ne Ge&#x017F;chenke, <note place="right">205</note><lb/>
Sein Gewand und das Gold, &#x017F;o ihm Menelaos verehret.<lb/>
Und nun trieb er ihn an, und &#x017F;prach die geflu&#x0364;gelten Worte:</p><lb/>
        <p>Steige nun eilend ins Schiff, und ermuntere deine Gefa&#x0364;hrten,<lb/>
Eh ich zu Hau&#x017F;e komm', und dem Grei&#x017F;e die&#x017F;es verku&#x0364;nde!<lb/>
Denn ich kenne zu gut in meinem Herzen des Vaters <note place="right">210</note><lb/>
Heftigen &#x017F;tarren Sinn: er wu&#x0364;rde dich nimmer entlaßen,<lb/>
Sondern &#x017F;elb&#x017F;t herkommen, dich einzuladen; und &#x017F;chwerlich<lb/>
Ging' er dann leer zuru&#x0364;ck, &#x017F;o &#x017F;ehr wu&#x0364;rd' er zu&#x0364;rnen und eifern!</p><lb/>
        <p>Al&#x017F;o &#x017F;prach er, und lenkte die Roße mit wallenden Ma&#x0364;hnen<lb/>
Heim zu der Pu&#x0364;lier Stadt, und bald erreicht' er die Wohnung. <note place="right">215</note><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[290/0296] Oduͤßee. Als die daͤmmernde Fruͤhe mit Roſenfingern erwachte, Ruͤſteten ſie ihr Geſpann, und beſtiegen den zierlichen Wagen, Lenkten darauf aus dem Thore des Hofs, und der toͤnenden Halle. Treibend ſchwang er die Geißel, und willig enteilten die Roße. Und ſie erreichten bald die hochgebauete Puͤlos; Und Taͤlemachos ſprach zu Neſtors bluͤhendem Sohne: 190 Kannſt du mir, Neſtors Sohn, wohl eine Bitte gewaͤhren? Siehe wir ruͤhmen uns ja von den Zeiten unſerer Vaͤter Schon Gaſtfreunde zu ſein, und ſind auch einerlei Alters; Und noch inniger wird uns dieſe Reiſe verbinden. Fahre mein Schiff nicht vorbei, du Goͤttlicher; laß mich hier bleiben! Denn mich moͤchte der Greis aufhalten in ſeinem Palaſte, Um mir Gutes zu thun; und ich muß aufs eiligſte reiſen. 195 200 Alſo ſprach er, und Neſtors Sohn bedachte ſich ſchweigend, Wie er mit guter Art ihm ſeine Bitte gewaͤhrte. Dieſer Gedanke ſchien dem Zweifelnden endlich der beßte: An das Geſtade des Meers zu dem Schiffe lenkt' er die Roße; Legte dann hinten ins Schiff Taͤlemachos ſchoͤne Geſchenke, Sein Gewand und das Gold, ſo ihm Menelaos verehret. Und nun trieb er ihn an, und ſprach die gefluͤgelten Worte: 205 Steige nun eilend ins Schiff, und ermuntere deine Gefaͤhrten, Eh ich zu Hauſe komm', und dem Greiſe dieſes verkuͤnde! Denn ich kenne zu gut in meinem Herzen des Vaters Heftigen ſtarren Sinn: er wuͤrde dich nimmer entlaßen, Sondern ſelbſt herkommen, dich einzuladen; und ſchwerlich Ging' er dann leer zuruͤck, ſo ſehr wuͤrd' er zuͤrnen und eifern! 210 Alſo ſprach er, und lenkte die Roße mit wallenden Maͤhnen Heim zu der Puͤlier Stadt, und bald erreicht' er die Wohnung. 215

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/296
Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/296>, abgerufen am 22.11.2024.