Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.Einundzwanzigster Gesang. Und die eichene Schwelle hinanstieg, welche der MeisterKünstlich hatte geglättet, und nach dem Maße der Richtschnur, Drauf die Pfosten gerichtet, mit ihren glänzenden Flügeln; 45 Löste sie schnell vom Ringe den künstlichen Knoten des Riemens, Steckte den Schlüßel hinein, und drängte die Riegel der Pforte, Scharf hinblickend, zurück: da krachten laut, wie ein Pflugstier Brüllt auf blumiger Au, so krachten die prächtigen Flügel, Von dem Schlüßel geöffnet, und breiteten sich aus einander. 50 Und sie trat ins Gewölb', und stieg auf die bretterne Bühne, Wo die Laden standen voll lieblichduftender Kleider, Langte von dort in die Höh, und nahm vom Nagel den Bogen, Samt der glänzenden Scheide, die ihn umhüllte, herunter. Und sie sezte sich, legt' auf den Schooß den Bogen des Königs, 55 Hub laut an zu weinen, und zog ihn hervor aus der Scheide. Und nachdem sie ihr Herz mit vielen Thränen erleichtert, Ging sie hinauf in den Saal zu den übermütigen Freiern, Haltend in ihrer Hand den krummen Bogen Odüßeus, Und den Köcher, gefüllt mit jammerbringenden Pfeilen. 60 Hinter ihr trugen die Mägde die zierliche Kiste, mit Eisen Und mit Erze beschwert, den Kampfgeräthen des Königs. Als das göttliche Weib die Freier jezo erreichte, Stand sie still an der Schwelle des schönen gewölbeten Saales; Ihre Wangen umwallte der feine Schleier des Hauptes, 65 Und an jeglichem Arm stand eine der statlichen Jungfraun. Und sie sprach zur Versammlung der übermütigen Freier: Hört, ihr mutigen Freier, die ihr in diesem Palaste C c
Einundzwanzigſter Geſang. Und die eichene Schwelle hinanſtieg, welche der MeiſterKuͤnſtlich hatte geglaͤttet, und nach dem Maße der Richtſchnur, Drauf die Pfoſten gerichtet, mit ihren glaͤnzenden Fluͤgeln; 45 Loͤſte ſie ſchnell vom Ringe den kuͤnſtlichen Knoten des Riemens, Steckte den Schluͤßel hinein, und draͤngte die Riegel der Pforte, Scharf hinblickend, zuruͤck: da krachten laut, wie ein Pflugſtier Bruͤllt auf blumiger Au, ſo krachten die praͤchtigen Fluͤgel, Von dem Schluͤßel geoͤffnet, und breiteten ſich aus einander. 50 Und ſie trat ins Gewoͤlb', und ſtieg auf die bretterne Buͤhne, Wo die Laden ſtanden voll lieblichduftender Kleider, Langte von dort in die Hoͤh, und nahm vom Nagel den Bogen, Samt der glaͤnzenden Scheide, die ihn umhuͤllte, herunter. Und ſie ſezte ſich, legt' auf den Schooß den Bogen des Koͤnigs, 55 Hub laut an zu weinen, und zog ihn hervor aus der Scheide. Und nachdem ſie ihr Herz mit vielen Thraͤnen erleichtert, Ging ſie hinauf in den Saal zu den uͤbermuͤtigen Freiern, Haltend in ihrer Hand den krummen Bogen Oduͤßeus, Und den Koͤcher, gefuͤllt mit jammerbringenden Pfeilen. 60 Hinter ihr trugen die Maͤgde die zierliche Kiſte, mit Eiſen Und mit Erze beſchwert, den Kampfgeraͤthen des Koͤnigs. Als das goͤttliche Weib die Freier jezo erreichte, Stand ſie ſtill an der Schwelle des ſchoͤnen gewoͤlbeten Saales; Ihre Wangen umwallte der feine Schleier des Hauptes, 65 Und an jeglichem Arm ſtand eine der ſtatlichen Jungfraun. Und ſie ſprach zur Verſammlung der uͤbermuͤtigen Freier: Hoͤrt, ihr mutigen Freier, die ihr in dieſem Palaſte C c
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Einundzwanzigſter Geſang.
Und die eichene Schwelle hinanſtieg, welche der Meiſter
Kuͤnſtlich hatte geglaͤttet, und nach dem Maße der Richtſchnur,
Drauf die Pfoſten gerichtet, mit ihren glaͤnzenden Fluͤgeln;
Loͤſte ſie ſchnell vom Ringe den kuͤnſtlichen Knoten des Riemens,
Steckte den Schluͤßel hinein, und draͤngte die Riegel der Pforte,
Scharf hinblickend, zuruͤck: da krachten laut, wie ein Pflugſtier
Bruͤllt auf blumiger Au, ſo krachten die praͤchtigen Fluͤgel,
Von dem Schluͤßel geoͤffnet, und breiteten ſich aus einander.
Und ſie trat ins Gewoͤlb', und ſtieg auf die bretterne Buͤhne,
Wo die Laden ſtanden voll lieblichduftender Kleider,
Langte von dort in die Hoͤh, und nahm vom Nagel den Bogen,
Samt der glaͤnzenden Scheide, die ihn umhuͤllte, herunter.
Und ſie ſezte ſich, legt' auf den Schooß den Bogen des Koͤnigs,
Hub laut an zu weinen, und zog ihn hervor aus der Scheide.
Und nachdem ſie ihr Herz mit vielen Thraͤnen erleichtert,
Ging ſie hinauf in den Saal zu den uͤbermuͤtigen Freiern,
Haltend in ihrer Hand den krummen Bogen Oduͤßeus,
Und den Koͤcher, gefuͤllt mit jammerbringenden Pfeilen.
Hinter ihr trugen die Maͤgde die zierliche Kiſte, mit Eiſen
Und mit Erze beſchwert, den Kampfgeraͤthen des Koͤnigs.
Als das goͤttliche Weib die Freier jezo erreichte,
Stand ſie ſtill an der Schwelle des ſchoͤnen gewoͤlbeten Saales;
Ihre Wangen umwallte der feine Schleier des Hauptes,
Und an jeglichem Arm ſtand eine der ſtatlichen Jungfraun.
Und ſie ſprach zur Verſammlung der uͤbermuͤtigen Freier:
45
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Hoͤrt, ihr mutigen Freier, die ihr in dieſem Palaſte
Schaarenweiſe euch ſtets zum Eßen und Trinken verſammelt,
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