Aber er sollte zuerst den Pfeil aus den Händen Odüßeus Kosten, weil er vordem den Herlichen, in dem Palaste Sizend, hatte geschmäht, und die übrigen Freier gereizet. 100 Unter ihnen begann Tälemachos heilige Stärke:
Wahrlich, Zeus Kronion beraubte mich alles Verstandes! Meine Mutter verheißet anizt, (wie gut sie auch denket!) Einem andern zu folgen, und dieses Haus zu verlaßen; Und ich freue mich noch, und lache, ich thörichter Jüngling! 105 Aber wohlan, ihr Freier! denn jezo erscheinet der Wettkampf Um ein Weib, wie keines im ganzen achaiischen Lande, Nicht in der heiligen Pülos, in Argos, oder Mükänä, Selbst in Ithaka nicht, und nicht auf der fruchtbaren Veste! Aber das wißt ihr selber; was brauch' ich die Mutter zu loben? 110 Auf denn! verzögert ihn nicht durch lange Zweifel, und spannet Ohne Geschwäz den Bogen; damit wir den Sieger erkennen! Und ich hätte wohl Lust, den Bogen selbst zu versuchen. Denn wär' ichs, der ihn spannt, und durch die Aexte hindurchschießt; Dann verließe mich Traurenden nicht die theuerste Mutter, 115 Einem anderen folgend, noch blieb' ich einsam im Hause, Da ich schon tüchtig bin zu den edlen Kämpfen des Vaters!
Also sprach er, und warf von der Schulter den purpurnen Mantel, Seinem Seßel entspringend, und warf sein Schwert von der Schulter. Hierauf stellt' er die Eisen im aufgegrabenen Estrich 120 Alle zwölf nach der Reih, und nach dem Maße der Richtschnur, Stampfte die Erde dann fest; und alle staunten dem Jüngling, Wie gerad' er sie stellte; da ers doch nimmer gesehen. Und er trat an die Schwelle des Saals, und versuchte den Bogen.
Einundzwanzigſter Geſang.
Aber er ſollte zuerſt den Pfeil aus den Haͤnden Oduͤßeus Koſten, weil er vordem den Herlichen, in dem Palaſte Sizend, hatte geſchmaͤht, und die uͤbrigen Freier gereizet. 100 Unter ihnen begann Taͤlemachos heilige Staͤrke:
Wahrlich, Zeus Kronion beraubte mich alles Verſtandes! Meine Mutter verheißet anizt, (wie gut ſie auch denket!) Einem andern zu folgen, und dieſes Haus zu verlaßen; Und ich freue mich noch, und lache, ich thoͤrichter Juͤngling! 105 Aber wohlan, ihr Freier! denn jezo erſcheinet der Wettkampf Um ein Weib, wie keines im ganzen achaiiſchen Lande, Nicht in der heiligen Puͤlos, in Argos, oder Muͤkaͤnaͤ, Selbſt in Ithaka nicht, und nicht auf der fruchtbaren Veſte! Aber das wißt ihr ſelber; was brauch' ich die Mutter zu loben? 110 Auf denn! verzoͤgert ihn nicht durch lange Zweifel, und ſpannet Ohne Geſchwaͤz den Bogen; damit wir den Sieger erkennen! Und ich haͤtte wohl Luſt, den Bogen ſelbſt zu verſuchen. Denn waͤr' ichs, der ihn ſpannt, und durch die Aexte hindurchſchießt; Dann verließe mich Traurenden nicht die theuerſte Mutter, 115 Einem anderen folgend, noch blieb' ich einſam im Hauſe, Da ich ſchon tuͤchtig bin zu den edlen Kaͤmpfen des Vaters!
Alſo ſprach er, und warf von der Schulter den purpurnen Mantel, Seinem Seßel entſpringend, und warf ſein Schwert von der Schulter. Hierauf ſtellt' er die Eiſen im aufgegrabenen Eſtrich 120 Alle zwoͤlf nach der Reih, und nach dem Maße der Richtſchnur, Stampfte die Erde dann feſt; und alle ſtaunten dem Juͤngling, Wie gerad' er ſie ſtellte; da ers doch nimmer geſehen. Und er trat an die Schwelle des Saals, und verſuchte den Bogen.
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Einundzwanzigſter Geſang.
Aber er ſollte zuerſt den Pfeil aus den Haͤnden Oduͤßeus
Koſten, weil er vordem den Herlichen, in dem Palaſte
Sizend, hatte geſchmaͤht, und die uͤbrigen Freier gereizet.
Unter ihnen begann Taͤlemachos heilige Staͤrke:
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Wahrlich, Zeus Kronion beraubte mich alles Verſtandes!
Meine Mutter verheißet anizt, (wie gut ſie auch denket!)
Einem andern zu folgen, und dieſes Haus zu verlaßen;
Und ich freue mich noch, und lache, ich thoͤrichter Juͤngling!
Aber wohlan, ihr Freier! denn jezo erſcheinet der Wettkampf
Um ein Weib, wie keines im ganzen achaiiſchen Lande,
Nicht in der heiligen Puͤlos, in Argos, oder Muͤkaͤnaͤ,
Selbſt in Ithaka nicht, und nicht auf der fruchtbaren Veſte!
Aber das wißt ihr ſelber; was brauch' ich die Mutter zu loben?
Auf denn! verzoͤgert ihn nicht durch lange Zweifel, und ſpannet
Ohne Geſchwaͤz den Bogen; damit wir den Sieger erkennen!
Und ich haͤtte wohl Luſt, den Bogen ſelbſt zu verſuchen.
Denn waͤr' ichs, der ihn ſpannt, und durch die Aexte hindurchſchießt;
Dann verließe mich Traurenden nicht die theuerſte Mutter,
Einem anderen folgend, noch blieb' ich einſam im Hauſe,
Da ich ſchon tuͤchtig bin zu den edlen Kaͤmpfen des Vaters!
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Alſo ſprach er, und warf von der Schulter den purpurnen Mantel,
Seinem Seßel entſpringend, und warf ſein Schwert von der Schulter.
Hierauf ſtellt' er die Eiſen im aufgegrabenen Eſtrich
Alle zwoͤlf nach der Reih, und nach dem Maße der Richtſchnur,
Stampfte die Erde dann feſt; und alle ſtaunten dem Juͤngling,
Wie gerad' er ſie ſtellte; da ers doch nimmer geſehen.
Und er trat an die Schwelle des Saals, und verſuchte den Bogen.
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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/409>, abgerufen am 22.11.2024.
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