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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

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Dreiundzwanzigster Gesang.
Lieber Sohn, mein Geist ist ganz in Erstaunen verloren; 105
Und ich vermag kein Wort zu reden, oder zu fragen,
Noch ihm gerad' ins Antliz zu schaun! Doch ist er es würklich,
Mein Odüßeus, der wiederkam; so werden wir beide
Uns einander gewiß noch beßer erkennen: wir haben
Unsre geheimen Zeichen, die keinem andern bekannt sind. 110

Sprachs; da lächelte sanft der herliche Dulder Odüßeus,
Wandte sich drauf zum Sohn', und sprach die geflügelten Worte:

O Tälemachos, laß die Mutter, so lange sie Lust hat,
Mich im Hause versuchen; sie wird bald freundlicher werden.
Weil ich so häßlich bin, und mit schlechten Lumpen bekleidet, 115
Darum verachtet sie mich, und glaubt, ich sei es nicht selber.
Aber wir müßen bedenken, was nun der sicherste Rath sei.
Denn hat jemand im Volk nur einen Menschen getödtet,
Welcher, arm und geringe, nicht viele Rächer zurückläßt;
Flüchtet er doch, und verläßt die Heimat und seine Verwandten: 120
Und wir erschlugen die Stüze der Stadt, der edelsten Männer
Söhne in Ithaka's Reich. Dies überlege nun selber.

Und der verständige Jüngling Tälemachos sagte dagegen:
Lieber Vater, da mußt du allein zusehen; du bist ja
Unter den Menschen berühmt durch deine Weisheit, und Niemand 125
Wagt es sich dir zu vergleichen von allen Erdebewohnern!
Aber wir sind zu folgen bereit; und ich hoffe, du werdest
Mut in keinem vermißen, so viel die Kräfte gewähren.

Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odüßeus:
Nun so will ich denn sagen, was mir das Beßte zu sein dünkt. 130
Geht nun erstlich ins Bad, und schmückt euch mit festlichem Leibrock;
Laßt dann die Weiber im Hause mit schönen Gewanden sich schmücken;

Dreiundzwanzigſter Geſang.
Lieber Sohn, mein Geiſt iſt ganz in Erſtaunen verloren; 105
Und ich vermag kein Wort zu reden, oder zu fragen,
Noch ihm gerad' ins Antliz zu ſchaun! Doch iſt er es wuͤrklich,
Mein Oduͤßeus, der wiederkam; ſo werden wir beide
Uns einander gewiß noch beßer erkennen: wir haben
Unſre geheimen Zeichen, die keinem andern bekannt ſind. 110

Sprachs; da laͤchelte ſanft der herliche Dulder Oduͤßeus,
Wandte ſich drauf zum Sohn', und ſprach die gefluͤgelten Worte:

O Taͤlemachos, laß die Mutter, ſo lange ſie Luſt hat,
Mich im Hauſe verſuchen; ſie wird bald freundlicher werden.
Weil ich ſo haͤßlich bin, und mit ſchlechten Lumpen bekleidet, 115
Darum verachtet ſie mich, und glaubt, ich ſei es nicht ſelber.
Aber wir muͤßen bedenken, was nun der ſicherſte Rath ſei.
Denn hat jemand im Volk nur einen Menſchen getoͤdtet,
Welcher, arm und geringe, nicht viele Raͤcher zuruͤcklaͤßt;
Fluͤchtet er doch, und verlaͤßt die Heimat und ſeine Verwandten: 120
Und wir erſchlugen die Stuͤze der Stadt, der edelſten Maͤnner
Soͤhne in Ithaka's Reich. Dies uͤberlege nun ſelber.

Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen:
Lieber Vater, da mußt du allein zuſehen; du biſt ja
Unter den Menſchen beruͤhmt durch deine Weisheit, und Niemand 125
Wagt es ſich dir zu vergleichen von allen Erdebewohnern!
Aber wir ſind zu folgen bereit; und ich hoffe, du werdeſt
Mut in keinem vermißen, ſo viel die Kraͤfte gewaͤhren.

Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Oduͤßeus:
Nun ſo will ich denn ſagen, was mir das Beßte zu ſein duͤnkt. 130
Geht nun erſtlich ins Bad, und ſchmuͤckt euch mit feſtlichem Leibrock;
Laßt dann die Weiber im Hauſe mit ſchoͤnen Gewanden ſich ſchmuͤcken;

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[439/0445] Dreiundzwanzigſter Geſang. Lieber Sohn, mein Geiſt iſt ganz in Erſtaunen verloren; Und ich vermag kein Wort zu reden, oder zu fragen, Noch ihm gerad' ins Antliz zu ſchaun! Doch iſt er es wuͤrklich, Mein Oduͤßeus, der wiederkam; ſo werden wir beide Uns einander gewiß noch beßer erkennen: wir haben Unſre geheimen Zeichen, die keinem andern bekannt ſind. 105 110 Sprachs; da laͤchelte ſanft der herliche Dulder Oduͤßeus, Wandte ſich drauf zum Sohn', und ſprach die gefluͤgelten Worte: O Taͤlemachos, laß die Mutter, ſo lange ſie Luſt hat, Mich im Hauſe verſuchen; ſie wird bald freundlicher werden. Weil ich ſo haͤßlich bin, und mit ſchlechten Lumpen bekleidet, Darum verachtet ſie mich, und glaubt, ich ſei es nicht ſelber. Aber wir muͤßen bedenken, was nun der ſicherſte Rath ſei. Denn hat jemand im Volk nur einen Menſchen getoͤdtet, Welcher, arm und geringe, nicht viele Raͤcher zuruͤcklaͤßt; Fluͤchtet er doch, und verlaͤßt die Heimat und ſeine Verwandten: Und wir erſchlugen die Stuͤze der Stadt, der edelſten Maͤnner Soͤhne in Ithaka's Reich. Dies uͤberlege nun ſelber. 115 120 Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen: Lieber Vater, da mußt du allein zuſehen; du biſt ja Unter den Menſchen beruͤhmt durch deine Weisheit, und Niemand Wagt es ſich dir zu vergleichen von allen Erdebewohnern! Aber wir ſind zu folgen bereit; und ich hoffe, du werdeſt Mut in keinem vermißen, ſo viel die Kraͤfte gewaͤhren. 125 Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Oduͤßeus: Nun ſo will ich denn ſagen, was mir das Beßte zu ſein duͤnkt. Geht nun erſtlich ins Bad, und ſchmuͤckt euch mit feſtlichem Leibrock; Laßt dann die Weiber im Hauſe mit ſchoͤnen Gewanden ſich ſchmuͤcken; 130

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Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/445>, abgerufen am 22.11.2024.