Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.Dreiundzwanzigster Gesang. Dann die irrenden Klippen gesehn, und die wilde Charübdis,Und die Skülla, die keiner noch unbeschädigt vorbeifuhr. Dann, wie seine Gefährten die Sonnenrinder geschlachtet; Und wie sein rüstiges Schiff der Gott hochrollender Donner 330 Zeus mit dem Blize zerschmettert; es sanken die tapfern Genoßen Allzumal, nur er selber entfloh dem Schreckenverhängniß. Wie er drauf gen Ogügia kam, zur Nümfe Kalüpso, Die ihn so lang' aufhielt in ihrer gewölbeten Grotte, Und zum Gemahl ihn begehrte: sie reicht' ihm Nahrung, und sagte 335 Ihm Unsterblichkeit zu und nimmerverblühende Jugend; Dennoch vermochte sie nicht sein standhaftes Herz zu bewegen. Wie er endlich, nach großer Gefahr, die Faiaken erreichet, Welche von Herzen ihn hoch, wie einen Unsterblichen, ehrten, Und ihn sandten im Schiffe zur lieben heimischen Insel, 340 Reichlich mit Erz und Golde beschenkt und prächtigen Kleidern. Und kaum hatt' er das lezte gesagt, da beschlich ihn der süße Sanftauflösende Schlummer, den Gram der Seele vertilgend. Aber ein Neues ersann die heilige Pallas Athänä: Frau, wir haben bisher der Leiden volle Genüge 350 V. 352. Der Kronide, Zeus, Kronos Sohn.
Dreiundzwanzigſter Geſang. Dann die irrenden Klippen geſehn, und die wilde Charuͤbdis,Und die Skuͤlla, die keiner noch unbeſchaͤdigt vorbeifuhr. Dann, wie ſeine Gefaͤhrten die Sonnenrinder geſchlachtet; Und wie ſein ruͤſtiges Schiff der Gott hochrollender Donner 330 Zeus mit dem Blize zerſchmettert; es ſanken die tapfern Genoßen Allzumal, nur er ſelber entfloh dem Schreckenverhaͤngniß. Wie er drauf gen Oguͤgia kam, zur Nuͤmfe Kaluͤpſo, Die ihn ſo lang' aufhielt in ihrer gewoͤlbeten Grotte, Und zum Gemahl ihn begehrte: ſie reicht' ihm Nahrung, und ſagte 335 Ihm Unſterblichkeit zu und nimmerverbluͤhende Jugend; Dennoch vermochte ſie nicht ſein ſtandhaftes Herz zu bewegen. Wie er endlich, nach großer Gefahr, die Faiaken erreichet, Welche von Herzen ihn hoch, wie einen Unſterblichen, ehrten, Und ihn ſandten im Schiffe zur lieben heimiſchen Inſel, 340 Reichlich mit Erz und Golde beſchenkt und praͤchtigen Kleidern. Und kaum hatt' er das lezte geſagt, da beſchlich ihn der ſuͤße Sanftaufloͤſende Schlummer, den Gram der Seele vertilgend. Aber ein Neues erſann die heilige Pallas Athaͤnaͤ: Frau, wir haben bisher der Leiden volle Genuͤge 350 V. 352. Der Kronide, Zeus, Kronos Sohn.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0453" n="447"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Dreiundzwanzigſter Geſang.</hi></fw><lb/> Dann die irrenden Klippen geſehn, und die wilde Charuͤbdis,<lb/> Und die Skuͤlla, die keiner noch unbeſchaͤdigt vorbeifuhr.<lb/> Dann, wie ſeine Gefaͤhrten die Sonnenrinder geſchlachtet;<lb/> Und wie ſein ruͤſtiges Schiff der Gott hochrollender Donner <note place="right">330</note><lb/> Zeus mit dem Blize zerſchmettert; es ſanken die tapfern Genoßen<lb/> Allzumal, nur er ſelber entfloh dem Schreckenverhaͤngniß.<lb/> Wie er drauf gen Oguͤgia kam, zur Nuͤmfe Kaluͤpſo,<lb/> Die ihn ſo lang' aufhielt in ihrer gewoͤlbeten Grotte,<lb/> Und zum Gemahl ihn begehrte: ſie reicht' ihm Nahrung, und ſagte <note place="right">335</note><lb/> Ihm Unſterblichkeit zu und nimmerverbluͤhende Jugend;<lb/> Dennoch vermochte ſie nicht ſein ſtandhaftes Herz zu bewegen.<lb/> Wie er endlich, nach großer Gefahr, die Faiaken erreichet,<lb/> Welche von Herzen ihn hoch, wie einen Unſterblichen, ehrten,<lb/> Und ihn ſandten im Schiffe zur lieben heimiſchen Inſel, <note place="right">340</note><lb/> Reichlich mit Erz und Golde beſchenkt und praͤchtigen Kleidern.<lb/> Und kaum hatt' er das lezte geſagt, da beſchlich ihn der ſuͤße<lb/> Sanftaufloͤſende Schlummer, den Gram der Seele vertilgend.</p><lb/> <p>Aber ein Neues erſann die heilige Pallas Athaͤnaͤ:<lb/> Als ſie glaubte, der Held Oduͤßeus habe nun endlich <note place="right">345</note><lb/> Seine Seele in Lieb' und ſuͤßem Schlafe geſaͤttigt;<lb/> Rief ſie vom Ozean ſchnell die goldenthronende Fruͤhe,<lb/> Daß ſie die finſtere Welt erleuchtete. Aber Oduͤßeus<lb/> Sprang vom ſchwellenden Lager, und ſprach zu ſeiner Gemahlin:</p><lb/> <p>Frau, wir haben bisher der Leiden volle Genuͤge <note place="right">350</note><lb/> Beide geſchmeckt: da du ſo herzlich um meine Zuruͤckkunft<lb/> Weinteſt, und mich der Kronid' und die andern Goͤtter durch Ungluͤck <note place="foot" n="V. 352.">Der Kronide, Zeus, Kronos Sohn.</note><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [447/0453]
Dreiundzwanzigſter Geſang.
Dann die irrenden Klippen geſehn, und die wilde Charuͤbdis,
Und die Skuͤlla, die keiner noch unbeſchaͤdigt vorbeifuhr.
Dann, wie ſeine Gefaͤhrten die Sonnenrinder geſchlachtet;
Und wie ſein ruͤſtiges Schiff der Gott hochrollender Donner
Zeus mit dem Blize zerſchmettert; es ſanken die tapfern Genoßen
Allzumal, nur er ſelber entfloh dem Schreckenverhaͤngniß.
Wie er drauf gen Oguͤgia kam, zur Nuͤmfe Kaluͤpſo,
Die ihn ſo lang' aufhielt in ihrer gewoͤlbeten Grotte,
Und zum Gemahl ihn begehrte: ſie reicht' ihm Nahrung, und ſagte
Ihm Unſterblichkeit zu und nimmerverbluͤhende Jugend;
Dennoch vermochte ſie nicht ſein ſtandhaftes Herz zu bewegen.
Wie er endlich, nach großer Gefahr, die Faiaken erreichet,
Welche von Herzen ihn hoch, wie einen Unſterblichen, ehrten,
Und ihn ſandten im Schiffe zur lieben heimiſchen Inſel,
Reichlich mit Erz und Golde beſchenkt und praͤchtigen Kleidern.
Und kaum hatt' er das lezte geſagt, da beſchlich ihn der ſuͤße
Sanftaufloͤſende Schlummer, den Gram der Seele vertilgend.
330
335
340
Aber ein Neues erſann die heilige Pallas Athaͤnaͤ:
Als ſie glaubte, der Held Oduͤßeus habe nun endlich
Seine Seele in Lieb' und ſuͤßem Schlafe geſaͤttigt;
Rief ſie vom Ozean ſchnell die goldenthronende Fruͤhe,
Daß ſie die finſtere Welt erleuchtete. Aber Oduͤßeus
Sprang vom ſchwellenden Lager, und ſprach zu ſeiner Gemahlin:
345
Frau, wir haben bisher der Leiden volle Genuͤge
Beide geſchmeckt: da du ſo herzlich um meine Zuruͤckkunft
Weinteſt, und mich der Kronid' und die andern Goͤtter durch Ungluͤck V. 352.
350
V. 352. Der Kronide, Zeus, Kronos Sohn.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |