Sprang er vom Lager empor, der Rufer im Streit Menelaos, Legte die Kleider an, und hing das Schwert um die Schulter, Band die schönen Solen sich unter die zierlichen Füße, Trat aus der Kammer hervor, geschmückt mit göttlicher Hoheit, 310 Ging und sezte sich neben Tälemachos nieder, und sagte:
Welches Geschäft, o edler Tälemachos, führte dich hieher, Ueber das weite Meer, zur göttlichen Stadt Lakedaimon? Deines, oder des Volks? Verkünde mir lautere Wahrheit!
Und der verständige Jüngling Tälemachos sagte dagegen: 315 Atreus Sohn Menelaos, du göttlicher Führer des Volkes, Darum kam ich zu dir, um Kunde vom Vater zu hören. Ausgezehrt wird mein Haus, und Hof und Aecker verwüstet; Denn feindselige Männer erfüllen die Wohnung, und schlachten Meine Ziegen und Schaf' und mein schwerwandelndes Hornvieh, 320 Freier meiner Mutter, voll übermütiges Trozes. Darum fleh ich dir jezo, die Knie' umfaßend, du wollest Seinen traurigen Tod mir verkündigen; ob du ihn selber Ansahst, oder vielleicht von einem irrenden Wandrer Ihn erfuhrst: denn ach! zum Leiden gebar ihn die Mutter! 325 Aber schmeichle mir nicht, aus Schonung oder aus Mitleid; Sondern erzähle mir treulich, was deine Augen gesehen. Flehend beschwör' ich dich, hat je mein Vater Odüßeus Einen Wunsch dir gewährt mit Worten oder mit Thaten, In dem troischen Lande, wo Noth euch Achaier umdrängte: 330 Daß du, deßen gedenkend, mir jezo Wahrheit verkündest!
Voll Unwillens begann Menelaos der bräunlichgelockte: O ihr Götter, ins Lager des übergewaltigen Mannes Wollten jene sich legen, die feigen verworfenen Menschen!
Vierter Geſang.
Sprang er vom Lager empor, der Rufer im Streit Menelaos, Legte die Kleider an, und hing das Schwert um die Schulter, Band die ſchoͤnen Solen ſich unter die zierlichen Fuͤße, Trat aus der Kammer hervor, geſchmuͤckt mit goͤttlicher Hoheit, 310 Ging und ſezte ſich neben Taͤlemachos nieder, und ſagte:
Welches Geſchaͤft, o edler Taͤlemachos, fuͤhrte dich hieher, Ueber das weite Meer, zur goͤttlichen Stadt Lakedaimon? Deines, oder des Volks? Verkuͤnde mir lautere Wahrheit!
Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen: 315 Atreus Sohn Menelaos, du goͤttlicher Fuͤhrer des Volkes, Darum kam ich zu dir, um Kunde vom Vater zu hoͤren. Ausgezehrt wird mein Haus, und Hof und Aecker verwuͤſtet; Denn feindſelige Maͤnner erfuͤllen die Wohnung, und ſchlachten Meine Ziegen und Schaf' und mein ſchwerwandelndes Hornvieh, 320 Freier meiner Mutter, voll uͤbermuͤtiges Trozes. Darum fleh ich dir jezo, die Knie' umfaßend, du wolleſt Seinen traurigen Tod mir verkuͤndigen; ob du ihn ſelber Anſahſt, oder vielleicht von einem irrenden Wandrer Ihn erfuhrſt: denn ach! zum Leiden gebar ihn die Mutter! 325 Aber ſchmeichle mir nicht, aus Schonung oder aus Mitleid; Sondern erzaͤhle mir treulich, was deine Augen geſehen. Flehend beſchwoͤr' ich dich, hat je mein Vater Oduͤßeus Einen Wunſch dir gewaͤhrt mit Worten oder mit Thaten, In dem troiſchen Lande, wo Noth euch Achaier umdraͤngte: 330 Daß du, deßen gedenkend, mir jezo Wahrheit verkuͤndeſt!
Voll Unwillens begann Menelaos der braͤunlichgelockte: O ihr Goͤtter, ins Lager des uͤbergewaltigen Mannes Wollten jene ſich legen, die feigen verworfenen Menſchen!
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Vierter Geſang.
Sprang er vom Lager empor, der Rufer im Streit Menelaos,
Legte die Kleider an, und hing das Schwert um die Schulter,
Band die ſchoͤnen Solen ſich unter die zierlichen Fuͤße,
Trat aus der Kammer hervor, geſchmuͤckt mit goͤttlicher Hoheit,
Ging und ſezte ſich neben Taͤlemachos nieder, und ſagte:
310
Welches Geſchaͤft, o edler Taͤlemachos, fuͤhrte dich hieher,
Ueber das weite Meer, zur goͤttlichen Stadt Lakedaimon?
Deines, oder des Volks? Verkuͤnde mir lautere Wahrheit!
Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen:
Atreus Sohn Menelaos, du goͤttlicher Fuͤhrer des Volkes,
Darum kam ich zu dir, um Kunde vom Vater zu hoͤren.
Ausgezehrt wird mein Haus, und Hof und Aecker verwuͤſtet;
Denn feindſelige Maͤnner erfuͤllen die Wohnung, und ſchlachten
Meine Ziegen und Schaf' und mein ſchwerwandelndes Hornvieh,
Freier meiner Mutter, voll uͤbermuͤtiges Trozes.
Darum fleh ich dir jezo, die Knie' umfaßend, du wolleſt
Seinen traurigen Tod mir verkuͤndigen; ob du ihn ſelber
Anſahſt, oder vielleicht von einem irrenden Wandrer
Ihn erfuhrſt: denn ach! zum Leiden gebar ihn die Mutter!
Aber ſchmeichle mir nicht, aus Schonung oder aus Mitleid;
Sondern erzaͤhle mir treulich, was deine Augen geſehen.
Flehend beſchwoͤr' ich dich, hat je mein Vater Oduͤßeus
Einen Wunſch dir gewaͤhrt mit Worten oder mit Thaten,
In dem troiſchen Lande, wo Noth euch Achaier umdraͤngte:
Daß du, deßen gedenkend, mir jezo Wahrheit verkuͤndeſt!
315
320
325
330
Voll Unwillens begann Menelaos der braͤunlichgelockte:
O ihr Goͤtter, ins Lager des uͤbergewaltigen Mannes
Wollten jene ſich legen, die feigen verworfenen Menſchen!
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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/81>, abgerufen am 27.11.2024.
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