Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_167.001 pwa_167.005 Ein Bruchstück ist mein Lied, ein Bruchstück das der Erde, pwa_167.006 Das auf ein Jenseits hofft, dass es vollständig werde. pwa_167.007 Die Liebe, die zum Kranz am Himmel reiht Plejaden, pwa_167.008 Hält diese Perlen auch am unsichtbaren Faden. (Poet. Werke 7, 373.) pwa_167.009 pwa_167.017 pwa_167.020 pwa_167.001 pwa_167.005 Ein Bruchstück ist mein Lied, ein Bruchstück das der Erde, pwa_167.006 Das auf ein Jenseits hofft, dass es vollständig werde. pwa_167.007 Die Liebe, die zum Kranz am Himmel reiht Plejaden, pwa_167.008 Hält diese Perlen auch am unsichtbaren Faden. (Poet. Werke 7, 373.) pwa_167.009 pwa_167.017 pwa_167.020 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0185" n="167"/><lb n="pwa_167.001"/> zu sammeln und sie in systematischer Construction aus einander zu <lb n="pwa_167.002"/> legen; es lassen sich vielmehr auf dieses Lehrgedicht sehr wohl einige <lb n="pwa_167.003"/> Worte anwenden, mit denen Rückert selbst in früheren Jahren eine <lb n="pwa_167.004"/> Reihe von Epigrammen, Angereihte Perlen betitelt, beschlossen hat:</p> <lg> <l><lb n="pwa_167.005"/> Ein Bruchstück ist mein Lied, ein Bruchstück das der Erde,</l> <l> <lb n="pwa_167.006"/> <hi rendition="#et">Das auf ein Jenseits hofft, dass es vollständig werde.</hi> </l> <l><lb n="pwa_167.007"/> Die Liebe, die zum Kranz am Himmel reiht Plejaden,</l> <l> <lb n="pwa_167.008"/> <hi rendition="#et">Hält diese Perlen auch am unsichtbaren Faden. (Poet. Werke 7, 373.)</hi> </l> </lg> <p><lb n="pwa_167.009"/> Die gleiche Art der Composition zeigt im Mittelalter Freidanks <lb n="pwa_167.010"/> Bescheidenheit, im Alterthum die Sprichwörter und der Prediger <lb n="pwa_167.011"/> Salomos; auch hier haben die Einzelheiten ihre Einheit: bei den <lb n="pwa_167.012"/> Sprichwörtern beruht diese auf dem Gedanken, dass alle Weisheit <lb n="pwa_167.013"/> aus der Gottesfurcht hervorgehe, beim Prediger auf der Eitelkeit der <lb n="pwa_167.014"/> Welt. In Hesiods Werken und Tagen dagegen vermisst man die Einheit; <lb n="pwa_167.015"/> die einzelnen Theile gehören nicht nothwendig zusammen, sie <lb n="pwa_167.016"/> haben sich vielmehr wie zufällig zusammen gefunden.</p> <p><lb n="pwa_167.017"/> Nach der epischen und der didactischen Lyrik haben wir nun <lb n="pwa_167.018"/> noch die dritte Art ins Auge zu fassen, nämlich die lyrische oder die <lb n="pwa_167.019"/> <hi rendition="#b">Lyrik des Gefühls.</hi></p> <p><lb n="pwa_167.020"/> Lyrische Lyrik, so nennen wir zum Unterschiede von der epischen <lb n="pwa_167.021"/> und von der didactischen die reine, eigentliche Lyrik, die zwar auch <lb n="pwa_167.022"/> eines epischen Anstosses bedarf, aber denselben nicht erzählt, wie die <lb n="pwa_167.023"/> epische Lyrik, die zwar auch ihren lehrhaften Erfolg haben wird, aber <lb n="pwa_167.024"/> ihn nicht sichtlich und ausdrücklich bezweckt, wie die didactische <lb n="pwa_167.025"/> Lyrik: sie giebt immer nur die inneren Zustände des einen gegenwärtigen <lb n="pwa_167.026"/> Momentes, der mitten inne liegt zwischen jener epischen <lb n="pwa_167.027"/> Vergangenheit und dieser didactischen Zukunft. Sie wurzelt in den <lb n="pwa_167.028"/> gegenwärtigen, momentanen Zuständen des Gemüthes, und deshalb ist <lb n="pwa_167.029"/> ihr Gebiet, so eng begrenzt es auch nach diesen Worten erscheinen <lb n="pwa_167.030"/> möchte, dennoch so grenzenlos und unermesslich und unbestimmbar, <lb n="pwa_167.031"/> wie es ja auch grade der gegenwärtige Augenblick ist, der uns mit <lb n="pwa_167.032"/> den unbegrenzten Blicken, die er rückwärts und vorwärts eröffnet, die <lb n="pwa_167.033"/> erste und sicherste Ahnung der Ewigkeit, der Unendlichkeit gewährt. <lb n="pwa_167.034"/> Alles, was das menschliche Gemüth bis in seine noch unausgeforschten <lb n="pwa_167.035"/> Tiefen bergen mag, all das Licht und Dunkel, all die Formen <lb n="pwa_167.036"/> und Farben, die ihm von Gott und aus der Welt her zuströmen, und <lb n="pwa_167.037"/> die es Gott und der Welt entgegenbringt, alles dieses gehört, insofern <lb n="pwa_167.038"/> es sich den ewigen Gesetzen des Schönen, Guten und Wahren fügt, <lb n="pwa_167.039"/> der lyrischen Poesie zu als Stoff und Inhalt. Und wenn schon einige <lb n="pwa_167.040"/> Ideen als Hauptstoffe zu bezeichnen sind, die Ideen Gott und Liebe, <lb n="pwa_167.041"/> so unterliegen schon diese beiden, je nach dem Wechsel der Individualitäten </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [167/0185]
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zu sammeln und sie in systematischer Construction aus einander zu pwa_167.002
legen; es lassen sich vielmehr auf dieses Lehrgedicht sehr wohl einige pwa_167.003
Worte anwenden, mit denen Rückert selbst in früheren Jahren eine pwa_167.004
Reihe von Epigrammen, Angereihte Perlen betitelt, beschlossen hat:
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Ein Bruchstück ist mein Lied, ein Bruchstück das der Erde, pwa_167.006
Das auf ein Jenseits hofft, dass es vollständig werde. pwa_167.007
Die Liebe, die zum Kranz am Himmel reiht Plejaden, pwa_167.008
Hält diese Perlen auch am unsichtbaren Faden. (Poet. Werke 7, 373.)
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Die gleiche Art der Composition zeigt im Mittelalter Freidanks pwa_167.010
Bescheidenheit, im Alterthum die Sprichwörter und der Prediger pwa_167.011
Salomos; auch hier haben die Einzelheiten ihre Einheit: bei den pwa_167.012
Sprichwörtern beruht diese auf dem Gedanken, dass alle Weisheit pwa_167.013
aus der Gottesfurcht hervorgehe, beim Prediger auf der Eitelkeit der pwa_167.014
Welt. In Hesiods Werken und Tagen dagegen vermisst man die Einheit; pwa_167.015
die einzelnen Theile gehören nicht nothwendig zusammen, sie pwa_167.016
haben sich vielmehr wie zufällig zusammen gefunden.
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Nach der epischen und der didactischen Lyrik haben wir nun pwa_167.018
noch die dritte Art ins Auge zu fassen, nämlich die lyrische oder die pwa_167.019
Lyrik des Gefühls.
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Lyrische Lyrik, so nennen wir zum Unterschiede von der epischen pwa_167.021
und von der didactischen die reine, eigentliche Lyrik, die zwar auch pwa_167.022
eines epischen Anstosses bedarf, aber denselben nicht erzählt, wie die pwa_167.023
epische Lyrik, die zwar auch ihren lehrhaften Erfolg haben wird, aber pwa_167.024
ihn nicht sichtlich und ausdrücklich bezweckt, wie die didactische pwa_167.025
Lyrik: sie giebt immer nur die inneren Zustände des einen gegenwärtigen pwa_167.026
Momentes, der mitten inne liegt zwischen jener epischen pwa_167.027
Vergangenheit und dieser didactischen Zukunft. Sie wurzelt in den pwa_167.028
gegenwärtigen, momentanen Zuständen des Gemüthes, und deshalb ist pwa_167.029
ihr Gebiet, so eng begrenzt es auch nach diesen Worten erscheinen pwa_167.030
möchte, dennoch so grenzenlos und unermesslich und unbestimmbar, pwa_167.031
wie es ja auch grade der gegenwärtige Augenblick ist, der uns mit pwa_167.032
den unbegrenzten Blicken, die er rückwärts und vorwärts eröffnet, die pwa_167.033
erste und sicherste Ahnung der Ewigkeit, der Unendlichkeit gewährt. pwa_167.034
Alles, was das menschliche Gemüth bis in seine noch unausgeforschten pwa_167.035
Tiefen bergen mag, all das Licht und Dunkel, all die Formen pwa_167.036
und Farben, die ihm von Gott und aus der Welt her zuströmen, und pwa_167.037
die es Gott und der Welt entgegenbringt, alles dieses gehört, insofern pwa_167.038
es sich den ewigen Gesetzen des Schönen, Guten und Wahren fügt, pwa_167.039
der lyrischen Poesie zu als Stoff und Inhalt. Und wenn schon einige pwa_167.040
Ideen als Hauptstoffe zu bezeichnen sind, die Ideen Gott und Liebe, pwa_167.041
so unterliegen schon diese beiden, je nach dem Wechsel der Individualitäten
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