Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_192.001 pwa_192.010 Neve minor neu sit quinto productior actu pwa_192.011 Fabula, quae posci vult et spectata reponi. (Ars poet. 189.) pwa_192.012 pwa_192.031 pwa_192.001 pwa_192.010 Neve minor neu sit quinto productior actu pwa_192.011 Fabula, quae posci vult et spectata reponi. (Ars poet. 189.) pwa_192.012 pwa_192.031 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0210" n="192"/><lb n="pwa_192.001"/> des ganzen Verlaufes ist, sich nicht sehr breit entfalten; endlich <lb n="pwa_192.002"/> die mitten inne liegende Verwickelung spricht nothwendiger Weise das <lb n="pwa_192.003"/> weiteste Feld an und gewinnt selbst wieder einen dreifach abgestuften <lb n="pwa_192.004"/> Gang, indem sie hier an die Exposition als Weiterführung, dort an <lb n="pwa_192.005"/> die Auflösung als Vorbereitung derselben sich anlehnt: mit all dem <lb n="pwa_192.006"/> erscheint der alte, von uralten Zeiten her überlieferte Gebrauch wohl <lb n="pwa_192.007"/> begründet, nach welchem ein Drama in der Regel fünf Acte verlangt: <lb n="pwa_192.008"/> ein Gebrauch, den schon Horaz zur technischen Vorschrift <lb n="pwa_192.009"/> erhoben hat:</p> <lg> <l><lb n="pwa_192.010"/> Neve minor neu sit quinto productior actu</l> <l><lb n="pwa_192.011"/> Fabula, quae posci vult et spectata reponi. (Ars poet. 189.)</l> </lg> <p><lb n="pwa_192.012"/> In der Regel fünf: denn es giebt allerdings Abweichungen, es <lb n="pwa_192.013"/> kommen auch andre Zahlen vor, aber auch diese meistens immer <lb n="pwa_192.014"/> noch verträglich mit jener Dreigliedrigkeit, insofern es meistens ungerade <lb n="pwa_192.015"/> Zahlen sind: so bei den Spaniern sieben, wo dann bei der sehr <lb n="pwa_192.016"/> verwickelten Verwickelung ganz häufig fünf auf eben diese verwendet <lb n="pwa_192.017"/> werden. Näher jener Dreigliedrigkeit liegt die Dreizahl der Acte, <lb n="pwa_192.018"/> die man in der ernsten Oper zu beobachten pflegt, und die auch <lb n="pwa_192.019"/> neben der Fünfzahl schon bei den Römern scheint gegolten zu haben. <lb n="pwa_192.020"/> Cic. ad Quint. fratr. 1, 1. „Hortor, ut tanquam poetae boni et actores <lb n="pwa_192.021"/> industrii solent, sic tu in extrema parte et conclusione muneris ac <lb n="pwa_192.022"/> negotii tui diligentissimus sis, ut hic tertius annus imperii tui tanquam <lb n="pwa_192.023"/> tertius actus perfectissimus atque ornatissimus fuisse videatur.“ Verwerflich <lb n="pwa_192.024"/> scheinen grade Zahlen, wie das moderne Lustspiel und Schauspiel <lb n="pwa_192.025"/> und die komische Oper sich vier oder gar zwei gestatten: es ist <lb n="pwa_192.026"/> nicht wohl abzusehn, wie da jedem der drei organischen Glieder sein <lb n="pwa_192.027"/> Recht geschehen könne. In den Dramen der Sanskritlitteratur steigt <lb n="pwa_192.028"/> die Zahl der Acte nicht selten gar bis auf zehn; und in der entgegengesetzten <lb n="pwa_192.029"/> Masslosigkeit ist es dem modernen Drama häufig schon an <lb n="pwa_192.030"/> Einem Acte genug.</p> <p><lb n="pwa_192.031"/><hi rendition="#i">Actus,</hi> so nannten die Römer diese einzelnen Abschnitte der <hi rendition="#i">Fabula,</hi> <lb n="pwa_192.032"/> weil in jedem eine Begebenheit enthalten ist, die den Verlauf der ganzen <lb n="pwa_192.033"/> Handlung wesentlich fördert. Eine alte Verdeutschung davon ist <lb n="pwa_192.034"/> <hi rendition="#i">Handlung:</hi> man hätte lieber sagen sollen <hi rendition="#i">Begebenheit,</hi> da Handlung <lb n="pwa_192.035"/> vielmehr das ganze <foreign xml:lang="grc">δρᾶμα</foreign> begreift. Jetzt heisst es Act, oder mit <lb n="pwa_192.036"/> derselben sinnlichen Aeusserlichkeit, mit der wir von Trauerspielen <lb n="pwa_192.037"/> und Lustspielen sprechen, <hi rendition="#i">Aufzug.</hi> Der spanische Name <hi rendition="#i">jornada</hi> (Tag) <lb n="pwa_192.038"/> schreibt sich von den geistlichen Spielen des Mittelalters her: diese <lb n="pwa_192.039"/> dauerten oft mehrere Tage hindurch, und bei der Weitläuftigkeit der <lb n="pwa_192.040"/> mimischen Action geschah da allerdings in Einem Tage nicht viel mehr, <lb n="pwa_192.041"/> als jetzt in Einem Acte geschieht.</p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [192/0210]
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des ganzen Verlaufes ist, sich nicht sehr breit entfalten; endlich pwa_192.002
die mitten inne liegende Verwickelung spricht nothwendiger Weise das pwa_192.003
weiteste Feld an und gewinnt selbst wieder einen dreifach abgestuften pwa_192.004
Gang, indem sie hier an die Exposition als Weiterführung, dort an pwa_192.005
die Auflösung als Vorbereitung derselben sich anlehnt: mit all dem pwa_192.006
erscheint der alte, von uralten Zeiten her überlieferte Gebrauch wohl pwa_192.007
begründet, nach welchem ein Drama in der Regel fünf Acte verlangt: pwa_192.008
ein Gebrauch, den schon Horaz zur technischen Vorschrift pwa_192.009
erhoben hat:
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Neve minor neu sit quinto productior actu pwa_192.011
Fabula, quae posci vult et spectata reponi. (Ars poet. 189.)
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In der Regel fünf: denn es giebt allerdings Abweichungen, es pwa_192.013
kommen auch andre Zahlen vor, aber auch diese meistens immer pwa_192.014
noch verträglich mit jener Dreigliedrigkeit, insofern es meistens ungerade pwa_192.015
Zahlen sind: so bei den Spaniern sieben, wo dann bei der sehr pwa_192.016
verwickelten Verwickelung ganz häufig fünf auf eben diese verwendet pwa_192.017
werden. Näher jener Dreigliedrigkeit liegt die Dreizahl der Acte, pwa_192.018
die man in der ernsten Oper zu beobachten pflegt, und die auch pwa_192.019
neben der Fünfzahl schon bei den Römern scheint gegolten zu haben. pwa_192.020
Cic. ad Quint. fratr. 1, 1. „Hortor, ut tanquam poetae boni et actores pwa_192.021
industrii solent, sic tu in extrema parte et conclusione muneris ac pwa_192.022
negotii tui diligentissimus sis, ut hic tertius annus imperii tui tanquam pwa_192.023
tertius actus perfectissimus atque ornatissimus fuisse videatur.“ Verwerflich pwa_192.024
scheinen grade Zahlen, wie das moderne Lustspiel und Schauspiel pwa_192.025
und die komische Oper sich vier oder gar zwei gestatten: es ist pwa_192.026
nicht wohl abzusehn, wie da jedem der drei organischen Glieder sein pwa_192.027
Recht geschehen könne. In den Dramen der Sanskritlitteratur steigt pwa_192.028
die Zahl der Acte nicht selten gar bis auf zehn; und in der entgegengesetzten pwa_192.029
Masslosigkeit ist es dem modernen Drama häufig schon an pwa_192.030
Einem Acte genug.
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Actus, so nannten die Römer diese einzelnen Abschnitte der Fabula, pwa_192.032
weil in jedem eine Begebenheit enthalten ist, die den Verlauf der ganzen pwa_192.033
Handlung wesentlich fördert. Eine alte Verdeutschung davon ist pwa_192.034
Handlung: man hätte lieber sagen sollen Begebenheit, da Handlung pwa_192.035
vielmehr das ganze δρᾶμα begreift. Jetzt heisst es Act, oder mit pwa_192.036
derselben sinnlichen Aeusserlichkeit, mit der wir von Trauerspielen pwa_192.037
und Lustspielen sprechen, Aufzug. Der spanische Name jornada (Tag) pwa_192.038
schreibt sich von den geistlichen Spielen des Mittelalters her: diese pwa_192.039
dauerten oft mehrere Tage hindurch, und bei der Weitläuftigkeit der pwa_192.040
mimischen Action geschah da allerdings in Einem Tage nicht viel mehr, pwa_192.041
als jetzt in Einem Acte geschieht.
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