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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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Mit den Widersprüchen des Gefühles liebt auch der Verstand die pwa_205.002
seinigen zu verbinden. Ergebnisse des ungelösten Conflictes zwischen pwa_205.003
Einbildung und Verstand sind aber der Spott, der Ausdruck für die pwa_205.004
Anschauung des Lächerlichen, und nächst dem Spotte die Steigerung pwa_205.005
desselben zur schneidenden Schärfe, die Ironie (S. 22). Der Spott, als das pwa_205.006
blosse Lachen des Verstandes, gesellt sich bloss dem Lachen des Gefühles, pwa_205.007
der Laune, bei: sein Ort ist also gleichfalls lediglich in der pwa_205.008
Comödie. Die Ironie dagegen, in welcher der Spott auf die höchste pwa_205.009
Spitze getrieben und mit der Verachtung verbunden ist, welche sich pwa_205.010
deshalb zum Spotte ebenso verhält, wie der Humor zur Laune, ist pwa_205.011
deshalb gleich dem Humor auch in beiden Gebieten zu Hause, in pwa_205.012
dem der Tragödie wie in dem der Comödie; und wir finden namentlich pwa_205.013
in Shakspeares Tragödien, z. B. in Hamlet, Ironie und Humor pwa_205.014
so eng und dicht eins mit dem andern verschmolzen, dass kaum mehr pwa_205.015
zu sagen ist, wo das verachtungsvoll spottende Lachen der Ironie pwa_205.016
aufhöre und das wehmüthige Lächeln des Humors beginne.

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Der Verstand kann aber auch grade wie das Gefühl in seinem pwa_205.018
Conflict mit der Einbildung vorübergehend unterliegen; Phantasie und pwa_205.019
Erinnerung können ihm Anschauungen vorhalten, vor denen er verstummen, pwa_205.020
denen er sich unterwerfen und gefangen geben muss: dergleichen pwa_205.021
den Verstand besiegende Anschauungen heissen erhaben (S. 22). pwa_205.022
Und grade wie die Negierung des Gefühls durch das Grausenhafte nur pwa_205.023
in der Tragödie daheim ist, nicht in der Comödie, so auch die Negierung pwa_205.024
des Verstandes durch das Erhabene: auch das Erhabene ist pwa_205.025
ausschliesslich tragischer Natur. Es pflegt aber das Erhabene mit dem pwa_205.026
Grausenhaften verbunden zu sein; die Einbildung liebt es, zu gleicher pwa_205.027
Zeit dem Gefühle und dem Verstande den Mund zu schliessen. Auch pwa_205.028
davon Beispiele bei Aeschylus wie bei Shakspeare.

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Blicken wir auf das bisher Bemerkte zurück, so ergiebt sich pwa_205.030
daraus eine gewichtvolle Wahrnehmung über das verschiedne Verhältniss, pwa_205.031
in welchem die Tragödie und die Comödie das epische und das pwa_205.032
lyrische Element mit einander mischen. Das Grausenhafte und das pwa_205.033
Erhabene, also die Stillstellung des Gefühls und des Verstandes durch pwa_205.034
die Einbildung, sind nur in der Tragödie daheim: das heisst doch pwa_205.035
wohl, da die Einbildung wesentlich epischer Art ist, dass in den pwa_205.036
tragischen Productionen das epische Element eine grössere Gewalt pwa_205.037
und Bedeutung besitze als in den komischen, dass die Tragödie dem pwa_205.038
Epos näher liege als die Comödie. Das wird sich auch gleich weiter pwa_205.039
bestätigen, indem wir nun nach der allgemeinen Entgegensetzung dieser pwa_205.040
beiden Hauptarten des Dramas jede für sich noch etwas genauer pwa_205.041
betrachten. Zuerst reden wir von der Tragödie.

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Mit den Widersprüchen des Gefühles liebt auch der Verstand die pwa_205.002
seinigen zu verbinden. Ergebnisse des ungelösten Conflictes zwischen pwa_205.003
Einbildung und Verstand sind aber der Spott, der Ausdruck für die pwa_205.004
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desselben zur schneidenden Schärfe, die Ironie (S. 22). Der Spott, als das pwa_205.006
blosse Lachen des Verstandes, gesellt sich bloss dem Lachen des Gefühles, pwa_205.007
der Laune, bei: sein Ort ist also gleichfalls lediglich in der pwa_205.008
Comödie. Die Ironie dagegen, in welcher der Spott auf die höchste pwa_205.009
Spitze getrieben und mit der Verachtung verbunden ist, welche sich pwa_205.010
deshalb zum Spotte ebenso verhält, wie der Humor zur Laune, ist pwa_205.011
deshalb gleich dem Humor auch in beiden Gebieten zu Hause, in pwa_205.012
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so eng und dicht eins mit dem andern verschmolzen, dass kaum mehr pwa_205.015
zu sagen ist, wo das verachtungsvoll spottende Lachen der Ironie pwa_205.016
aufhöre und das wehmüthige Lächeln des Humors beginne.

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Der Verstand kann aber auch grade wie das Gefühl in seinem pwa_205.018
Conflict mit der Einbildung vorübergehend unterliegen; Phantasie und pwa_205.019
Erinnerung können ihm Anschauungen vorhalten, vor denen er verstummen, pwa_205.020
denen er sich unterwerfen und gefangen geben muss: dergleichen pwa_205.021
den Verstand besiegende Anschauungen heissen erhaben (S. 22). pwa_205.022
Und grade wie die Negierung des Gefühls durch das Grausenhafte nur pwa_205.023
in der Tragödie daheim ist, nicht in der Comödie, so auch die Negierung pwa_205.024
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ausschliesslich tragischer Natur. Es pflegt aber das Erhabene mit dem pwa_205.026
Grausenhaften verbunden zu sein; die Einbildung liebt es, zu gleicher pwa_205.027
Zeit dem Gefühle und dem Verstande den Mund zu schliessen. Auch pwa_205.028
davon Beispiele bei Aeschylus wie bei Shakspeare.

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Blicken wir auf das bisher Bemerkte zurück, so ergiebt sich pwa_205.030
daraus eine gewichtvolle Wahrnehmung über das verschiedne Verhältniss, pwa_205.031
in welchem die Tragödie und die Comödie das epische und das pwa_205.032
lyrische Element mit einander mischen. Das Grausenhafte und das pwa_205.033
Erhabene, also die Stillstellung des Gefühls und des Verstandes durch pwa_205.034
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wohl, da die Einbildung wesentlich epischer Art ist, dass in den pwa_205.036
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Epos näher liege als die Comödie. Das wird sich auch gleich weiter pwa_205.039
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[205/0223] pwa_205.001 Mit den Widersprüchen des Gefühles liebt auch der Verstand die pwa_205.002 seinigen zu verbinden. Ergebnisse des ungelösten Conflictes zwischen pwa_205.003 Einbildung und Verstand sind aber der Spott, der Ausdruck für die pwa_205.004 Anschauung des Lächerlichen, und nächst dem Spotte die Steigerung pwa_205.005 desselben zur schneidenden Schärfe, die Ironie (S. 22). Der Spott, als das pwa_205.006 blosse Lachen des Verstandes, gesellt sich bloss dem Lachen des Gefühles, pwa_205.007 der Laune, bei: sein Ort ist also gleichfalls lediglich in der pwa_205.008 Comödie. Die Ironie dagegen, in welcher der Spott auf die höchste pwa_205.009 Spitze getrieben und mit der Verachtung verbunden ist, welche sich pwa_205.010 deshalb zum Spotte ebenso verhält, wie der Humor zur Laune, ist pwa_205.011 deshalb gleich dem Humor auch in beiden Gebieten zu Hause, in pwa_205.012 dem der Tragödie wie in dem der Comödie; und wir finden namentlich pwa_205.013 in Shakspeares Tragödien, z. B. in Hamlet, Ironie und Humor pwa_205.014 so eng und dicht eins mit dem andern verschmolzen, dass kaum mehr pwa_205.015 zu sagen ist, wo das verachtungsvoll spottende Lachen der Ironie pwa_205.016 aufhöre und das wehmüthige Lächeln des Humors beginne. pwa_205.017 Der Verstand kann aber auch grade wie das Gefühl in seinem pwa_205.018 Conflict mit der Einbildung vorübergehend unterliegen; Phantasie und pwa_205.019 Erinnerung können ihm Anschauungen vorhalten, vor denen er verstummen, pwa_205.020 denen er sich unterwerfen und gefangen geben muss: dergleichen pwa_205.021 den Verstand besiegende Anschauungen heissen erhaben (S. 22). pwa_205.022 Und grade wie die Negierung des Gefühls durch das Grausenhafte nur pwa_205.023 in der Tragödie daheim ist, nicht in der Comödie, so auch die Negierung pwa_205.024 des Verstandes durch das Erhabene: auch das Erhabene ist pwa_205.025 ausschliesslich tragischer Natur. Es pflegt aber das Erhabene mit dem pwa_205.026 Grausenhaften verbunden zu sein; die Einbildung liebt es, zu gleicher pwa_205.027 Zeit dem Gefühle und dem Verstande den Mund zu schliessen. Auch pwa_205.028 davon Beispiele bei Aeschylus wie bei Shakspeare. pwa_205.029 Blicken wir auf das bisher Bemerkte zurück, so ergiebt sich pwa_205.030 daraus eine gewichtvolle Wahrnehmung über das verschiedne Verhältniss, pwa_205.031 in welchem die Tragödie und die Comödie das epische und das pwa_205.032 lyrische Element mit einander mischen. Das Grausenhafte und das pwa_205.033 Erhabene, also die Stillstellung des Gefühls und des Verstandes durch pwa_205.034 die Einbildung, sind nur in der Tragödie daheim: das heisst doch pwa_205.035 wohl, da die Einbildung wesentlich epischer Art ist, dass in den pwa_205.036 tragischen Productionen das epische Element eine grössere Gewalt pwa_205.037 und Bedeutung besitze als in den komischen, dass die Tragödie dem pwa_205.038 Epos näher liege als die Comödie. Das wird sich auch gleich weiter pwa_205.039 bestätigen, indem wir nun nach der allgemeinen Entgegensetzung dieser pwa_205.040 beiden Hauptarten des Dramas jede für sich noch etwas genauer pwa_205.041 betrachten. Zuerst reden wir von der Tragödie.

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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/223>, abgerufen am 24.11.2024.