Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_312.001 pwa_312.010 pwa_312.012 I. VOM STIL IM ALLGEMEINEN. pwa_312.013 1 pwa_312.035 Andr. prol. 12 (Menandri Andria et Perinthia) dissimili oratione sunt factae pwa_312.036 ac stilo (= oratione et scriptura Phorm. prol. 5). 2 pwa_312.037
Brut. 26, 100 unus sonus est totius orationis et stilus (ibid. 25, 96). pwa_312.001 pwa_312.010 pwa_312.012 I. VOM STIL IM ALLGEMEINEN. pwa_312.013 1 pwa_312.035 Andr. prol. 12 (Menandri Andria et Perinthia) dissimili oratione sunt factae pwa_312.036 ac stilo (= oratione et scriptura Phorm. prol. 5). 2 pwa_312.037
Brut. 26, 100 unus sonus est totius orationis et stilus (ibid. 25, 96). <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0330" n="312"/><lb n="pwa_312.001"/> und nichts Andres verlangen als beim Vortrage der Poetik und der <lb n="pwa_312.002"/> Rhetorik. Auch hier kann der Zweck nur eine theoretische Erörterung <lb n="pwa_312.003"/> des objectiv Vorliegenden sein; auch der Stilistiker kann nichts weiter <lb n="pwa_312.004"/> im Auge haben, als einen verständig bewussten Genuss zu erwecken <lb n="pwa_312.005"/> und das Urtheil zu bilden; practisch förderlich kann er nur dem sein <lb n="pwa_312.006"/> wollen, der zu dem Reichthum an schönen Ideen selber auch Sinn für <lb n="pwa_312.007"/> schöne Form besitzt; für jeden Andern haben alle Regeln nur einen negativen <lb n="pwa_312.008"/> Werth, er wird sie nur in so fern in Anwendung bringen können, <lb n="pwa_312.009"/> als er daraus sieht, was er lassen, nicht aber, was er thun solle.</p> <p><lb n="pwa_312.010"/> Nach diesen wenigen einleitenden Worten können wir nunmehr <lb n="pwa_312.011"/> zur Sache selbst übergehn.</p> <div n="3"> <head> <hi rendition="#c"><lb n="pwa_312.012"/> I. VOM STIL IM ALLGEMEINEN.</hi> </head> <p><lb n="pwa_312.013"/> Bekanntlich bedeutet das Wort <hi rendition="#i">Stil</hi> im Griechischen, von woher <lb n="pwa_312.014"/> es zu den Lateinern und durch diese zu uns gelangt ist, einen gleichmässig <lb n="pwa_312.015"/> lang gestreckten, mehr langen als dicken Körper: <foreign xml:lang="grc">στῦλος</foreign> ist <lb n="pwa_312.016"/> sowohl ein hölzerner Pfahl als eine steinerne Säule, als endlich ein <lb n="pwa_312.017"/> metallener Griffel zum Schreiben und Zeichnen: es fällt eben dem <lb n="pwa_312.018"/> Begriffe nach und auch etymologisch zusammen mit unserm Worte <lb n="pwa_312.019"/> <hi rendition="#i">Stiel.</hi> Hauptsächlich in der letzteren Bedeutung von Griffel haben es <lb n="pwa_312.020"/> sich die Lateiner angeeignet: sie haben, da ihrer Sprache der Laut <lb n="pwa_312.021"/> des <hi rendition="#i">v</hi> fehlte, daraus <hi rendition="#i">stilus</hi> gemacht. Bei ihnen, nicht aber schon bei <lb n="pwa_312.022"/> den Griechen, sind von dieser eigentlichen Bedeutung noch andre <lb n="pwa_312.023"/> uneigentliche abgeleitet worden, und es wird <hi rendition="#i">stilus</hi> genannt erstens, <lb n="pwa_312.024"/> was wir auch uneigentlicher Weise noch mit dem Ausdrucke <hi rendition="#i">Hand</hi> <lb n="pwa_312.025"/> und die Lateiner sonst mit dem Worte <hi rendition="#i">manus</hi> bezeichnen, die Art <lb n="pwa_312.026"/> und Weise, die Schriftzüge zu gestalten, zweitens noch uneigentlicher, <lb n="pwa_312.027"/> noch bildlicher die Art und Weise, seine Gedanken in Worte zu kleiden. <lb n="pwa_312.028"/> So schon bei Terenz<note xml:id="pwa_312_1" place="foot" n="1"><lb n="pwa_312.035"/> Andr. prol. 12 (Menandri Andria et Perinthia) dissimili oratione sunt factae <lb n="pwa_312.036"/> ac stilo (= oratione et scriptura Phorm. prol. 5).</note>, bei Cicero<note xml:id="pwa_312_2" place="foot" n="2"><lb n="pwa_312.037"/> Brut. 26, 100 unus sonus est totius orationis et stilus (ibid. 25, 96).</note> u. a. Also ganz wie wir <lb n="pwa_312.029"/> von einer gewandten Feder oder in Bezug auf die Kunst der Malerei <lb n="pwa_312.030"/> von einem zarten Pinsel, von dem Pinsel des Apelles sprechen. In <lb n="pwa_312.031"/> diesem letztern, figürlichen Sinne gebrauchen nun auch wir das Wort <lb n="pwa_312.032"/> <hi rendition="#i">Styl,</hi> oder, da wir es zunächst von den Römern entlehnt haben, <hi rendition="#i">Stil;</hi> <lb n="pwa_312.033"/> aber wir haben da seine Anwendung noch weiter ausgedehnt, weiter <lb n="pwa_312.034"/> als in dem eigentlichen Sinne begründet ist. Ueberall in dem ganzen </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [312/0330]
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und nichts Andres verlangen als beim Vortrage der Poetik und der pwa_312.002
Rhetorik. Auch hier kann der Zweck nur eine theoretische Erörterung pwa_312.003
des objectiv Vorliegenden sein; auch der Stilistiker kann nichts weiter pwa_312.004
im Auge haben, als einen verständig bewussten Genuss zu erwecken pwa_312.005
und das Urtheil zu bilden; practisch förderlich kann er nur dem sein pwa_312.006
wollen, der zu dem Reichthum an schönen Ideen selber auch Sinn für pwa_312.007
schöne Form besitzt; für jeden Andern haben alle Regeln nur einen negativen pwa_312.008
Werth, er wird sie nur in so fern in Anwendung bringen können, pwa_312.009
als er daraus sieht, was er lassen, nicht aber, was er thun solle.
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Nach diesen wenigen einleitenden Worten können wir nunmehr pwa_312.011
zur Sache selbst übergehn.
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I. VOM STIL IM ALLGEMEINEN. pwa_312.013
Bekanntlich bedeutet das Wort Stil im Griechischen, von woher pwa_312.014
es zu den Lateinern und durch diese zu uns gelangt ist, einen gleichmässig pwa_312.015
lang gestreckten, mehr langen als dicken Körper: στῦλος ist pwa_312.016
sowohl ein hölzerner Pfahl als eine steinerne Säule, als endlich ein pwa_312.017
metallener Griffel zum Schreiben und Zeichnen: es fällt eben dem pwa_312.018
Begriffe nach und auch etymologisch zusammen mit unserm Worte pwa_312.019
Stiel. Hauptsächlich in der letzteren Bedeutung von Griffel haben es pwa_312.020
sich die Lateiner angeeignet: sie haben, da ihrer Sprache der Laut pwa_312.021
des v fehlte, daraus stilus gemacht. Bei ihnen, nicht aber schon bei pwa_312.022
den Griechen, sind von dieser eigentlichen Bedeutung noch andre pwa_312.023
uneigentliche abgeleitet worden, und es wird stilus genannt erstens, pwa_312.024
was wir auch uneigentlicher Weise noch mit dem Ausdrucke Hand pwa_312.025
und die Lateiner sonst mit dem Worte manus bezeichnen, die Art pwa_312.026
und Weise, die Schriftzüge zu gestalten, zweitens noch uneigentlicher, pwa_312.027
noch bildlicher die Art und Weise, seine Gedanken in Worte zu kleiden. pwa_312.028
So schon bei Terenz 1, bei Cicero 2 u. a. Also ganz wie wir pwa_312.029
von einer gewandten Feder oder in Bezug auf die Kunst der Malerei pwa_312.030
von einem zarten Pinsel, von dem Pinsel des Apelles sprechen. In pwa_312.031
diesem letztern, figürlichen Sinne gebrauchen nun auch wir das Wort pwa_312.032
Styl, oder, da wir es zunächst von den Römern entlehnt haben, Stil; pwa_312.033
aber wir haben da seine Anwendung noch weiter ausgedehnt, weiter pwa_312.034
als in dem eigentlichen Sinne begründet ist. Ueberall in dem ganzen
1 pwa_312.035
Andr. prol. 12 (Menandri Andria et Perinthia) dissimili oratione sunt factae pwa_312.036
ac stilo (= oratione et scriptura Phorm. prol. 5).
2 pwa_312.037
Brut. 26, 100 unus sonus est totius orationis et stilus (ibid. 25, 96).
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