pwa_016.001 uns überliefert ist, recht zu verstehn und zu geniessen, als Kunstgriffe pwa_016.002 angeben, wie man diesen Vorrath selbst noch vermehren könne. Wenn pwa_016.003 die Poetik nur Philosophie der Poesie und ihrer Geschichte ist, wenn pwa_016.004 sie als Naturgeschichte der Poesie ein mehr historisch entwickelndes pwa_016.005 Verfahren beobachtet, gewinnt diess ganze Fach an concretem Gehalt pwa_016.006 und somit an Leben und Reiz; die Lehrsätze bleiben darum nicht pwa_016.007 aus: nur erscheinen sie dann nicht als eine unerquickliche Reihe von pwa_016.008 dürren Abstractionen. Und diese historisch-philosophische, diese pwa_016.009 naturgeschichtliche Weise ist es, in der ich beabsichtige zu verfahren.
pwa_016.010 I. VON DER POESIE IM GANZEN UND ALLGEMEINEN.
pwa_016.011 1. DAS WESEN DER POESIE.
pwa_016.012 Hier ist die schon früher gegebene Definition weiter auszuführen pwa_016.013 und somit zu begründen, indem wir mehr in das Einzelne gehend von pwa_016.014 den verschiedenen Arten handeln, wie die genannten drei Seelenkräfte, pwa_016.015 Einbildung, Gefühl, Verstand, bei der poetischen Anschauung und pwa_016.016 Schöpfung zusammenwirken, wie sie bald gleichmässig sich mit pwa_016.017 einander mischen, bald eine derselben vorwaltet, bald endlich ein pwa_016.018 unvermittelter Widerspruch und Widerstreit unter ihnen eintritt. Damit pwa_016.019 wird der späteren Trennung der einzelnen Dichtungsarten wesentlich pwa_016.020 vorgearbeitet.
pwa_016.021 Wenn mit Aristoteles das Wesen aller Kunst lediglich in der pwa_016.022 Nachahmung zu suchen wäre, so müsste man die Poesie als die pwa_016.023 Nachahmung durch das Wort definieren. Diese Erklärung wäre aber pwa_016.024 zu weit und zu eng. Zu weit, insofern man allerlei in Worten nachahmen pwa_016.025 kann, ohne dass ein Gedicht entsteht. So giebt es z. B. in der pwa_016.026 späteren und mittelalterlichen Latinität Stücke in Prosa und in Versen, pwa_016.027 worin angegeben und nachgebildet wird, wie die einzelnen Vögel und pwa_016.028 andere Thiere schreien1, offenbarste Nachahmung, aber Niemanden pwa_016.029 würde es einfallen, dgl. deshalb Poesie zu nennen. Zu eng wäre die pwa_016.030 Definition, weil mancherlei Arten der Poesie, denen auch Aristoteles pwa_016.031 selbst den Namen der Poesie nicht entzieht, damit ausgeschlossen würden. pwa_016.032 Nachahmung kann immer nur in Beziehung stehn zu Gegenständen, die pwa_016.033 in der äusserlich umgebenden Sinnenwelt vorliegen. Aber nur wenige
1pwa_016.034 ) z. B. Juventinus Philomela in Wernsdorfs Poetae latini minores 6, 2, pwa_016.035 388 u. a.
pwa_016.001 uns überliefert ist, recht zu verstehn und zu geniessen, als Kunstgriffe pwa_016.002 angeben, wie man diesen Vorrath selbst noch vermehren könne. Wenn pwa_016.003 die Poetik nur Philosophie der Poesie und ihrer Geschichte ist, wenn pwa_016.004 sie als Naturgeschichte der Poesie ein mehr historisch entwickelndes pwa_016.005 Verfahren beobachtet, gewinnt diess ganze Fach an concretem Gehalt pwa_016.006 und somit an Leben und Reiz; die Lehrsätze bleiben darum nicht pwa_016.007 aus: nur erscheinen sie dann nicht als eine unerquickliche Reihe von pwa_016.008 dürren Abstractionen. Und diese historisch-philosophische, diese pwa_016.009 naturgeschichtliche Weise ist es, in der ich beabsichtige zu verfahren.
pwa_016.010 I. VON DER POESIE IM GANZEN UND ALLGEMEINEN.
pwa_016.011 1. DAS WESEN DER POESIE.
pwa_016.012 Hier ist die schon früher gegebene Definition weiter auszuführen pwa_016.013 und somit zu begründen, indem wir mehr in das Einzelne gehend von pwa_016.014 den verschiedenen Arten handeln, wie die genannten drei Seelenkräfte, pwa_016.015 Einbildung, Gefühl, Verstand, bei der poetischen Anschauung und pwa_016.016 Schöpfung zusammenwirken, wie sie bald gleichmässig sich mit pwa_016.017 einander mischen, bald eine derselben vorwaltet, bald endlich ein pwa_016.018 unvermittelter Widerspruch und Widerstreit unter ihnen eintritt. Damit pwa_016.019 wird der späteren Trennung der einzelnen Dichtungsarten wesentlich pwa_016.020 vorgearbeitet.
pwa_016.021 Wenn mit Aristoteles das Wesen aller Kunst lediglich in der pwa_016.022 Nachahmung zu suchen wäre, so müsste man die Poesie als die pwa_016.023 Nachahmung durch das Wort definieren. Diese Erklärung wäre aber pwa_016.024 zu weit und zu eng. Zu weit, insofern man allerlei in Worten nachahmen pwa_016.025 kann, ohne dass ein Gedicht entsteht. So giebt es z. B. in der pwa_016.026 späteren und mittelalterlichen Latinität Stücke in Prosa und in Versen, pwa_016.027 worin angegeben und nachgebildet wird, wie die einzelnen Vögel und pwa_016.028 andere Thiere schreien1, offenbarste Nachahmung, aber Niemanden pwa_016.029 würde es einfallen, dgl. deshalb Poesie zu nennen. Zu eng wäre die pwa_016.030 Definition, weil mancherlei Arten der Poesie, denen auch Aristoteles pwa_016.031 selbst den Namen der Poesie nicht entzieht, damit ausgeschlossen würden. pwa_016.032 Nachahmung kann immer nur in Beziehung stehn zu Gegenständen, die pwa_016.033 in der äusserlich umgebenden Sinnenwelt vorliegen. Aber nur wenige
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uns überliefert ist, recht zu verstehn und zu geniessen, als Kunstgriffe pwa_016.002
angeben, wie man diesen Vorrath selbst noch vermehren könne. Wenn pwa_016.003
die Poetik nur Philosophie der Poesie und ihrer Geschichte ist, wenn pwa_016.004
sie als Naturgeschichte der Poesie ein mehr historisch entwickelndes pwa_016.005
Verfahren beobachtet, gewinnt diess ganze Fach an concretem Gehalt pwa_016.006
und somit an Leben und Reiz; die Lehrsätze bleiben darum nicht pwa_016.007
aus: nur erscheinen sie dann nicht als eine unerquickliche Reihe von pwa_016.008
dürren Abstractionen. Und diese historisch-philosophische, diese pwa_016.009
naturgeschichtliche Weise ist es, in der ich beabsichtige zu verfahren.
pwa_016.010
I. VON DER POESIE IM GANZEN UND ALLGEMEINEN. pwa_016.011
1. DAS WESEN DER POESIE. pwa_016.012
Hier ist die schon früher gegebene Definition weiter auszuführen pwa_016.013
und somit zu begründen, indem wir mehr in das Einzelne gehend von pwa_016.014
den verschiedenen Arten handeln, wie die genannten drei Seelenkräfte, pwa_016.015
Einbildung, Gefühl, Verstand, bei der poetischen Anschauung und pwa_016.016
Schöpfung zusammenwirken, wie sie bald gleichmässig sich mit pwa_016.017
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Nachahmung zu suchen wäre, so müsste man die Poesie als die pwa_016.023
Nachahmung durch das Wort definieren. Diese Erklärung wäre aber pwa_016.024
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Definition, weil mancherlei Arten der Poesie, denen auch Aristoteles pwa_016.031
selbst den Namen der Poesie nicht entzieht, damit ausgeschlossen würden. pwa_016.032
Nachahmung kann immer nur in Beziehung stehn zu Gegenständen, die pwa_016.033
in der äusserlich umgebenden Sinnenwelt vorliegen. Aber nur wenige
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) z. B. Juventinus Philomela in Wernsdorfs Poetae latini minores 6, 2, pwa_016.035
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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/34>, abgerufen am 27.07.2024.
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