Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_016.001 pwa_016.010 I. VON DER POESIE IM GANZEN UND ALLGEMEINEN. pwa_016.011 1. DAS WESEN DER POESIE. pwa_016.012 pwa_016.021 1 pwa_016.034
) z. B. Juventinus Philomela in Wernsdorfs Poetae latini minores 6, 2, pwa_016.035 388 u. a. pwa_016.001 pwa_016.010 I. VON DER POESIE IM GANZEN UND ALLGEMEINEN. pwa_016.011 1. DAS WESEN DER POESIE. pwa_016.012 pwa_016.021 1 pwa_016.034
) z. B. Juventinus Philomela in Wernsdorfs Poetae latini minores 6, 2, pwa_016.035 388 u. a. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0034" n="16"/><lb n="pwa_016.001"/> uns überliefert ist, recht zu verstehn und zu geniessen, als Kunstgriffe <lb n="pwa_016.002"/> angeben, wie man diesen Vorrath selbst noch vermehren könne. Wenn <lb n="pwa_016.003"/> die Poetik nur Philosophie der Poesie und ihrer Geschichte ist, wenn <lb n="pwa_016.004"/> sie als Naturgeschichte der Poesie ein mehr historisch entwickelndes <lb n="pwa_016.005"/> Verfahren beobachtet, gewinnt diess ganze Fach an concretem Gehalt <lb n="pwa_016.006"/> und somit an Leben und Reiz; die Lehrsätze bleiben darum nicht <lb n="pwa_016.007"/> aus: nur erscheinen sie dann nicht als eine unerquickliche Reihe von <lb n="pwa_016.008"/> dürren Abstractionen. Und diese historisch-philosophische, diese <lb n="pwa_016.009"/> naturgeschichtliche Weise ist es, in der ich beabsichtige zu verfahren.</p> <div n="3"> <lb n="pwa_016.010"/> <head> <hi rendition="#c">I. VON DER POESIE IM GANZEN UND ALLGEMEINEN.</hi> </head> <div n="4"> <lb n="pwa_016.011"/> <head> <hi rendition="#c">1. DAS WESEN DER POESIE.</hi> </head> <p><lb n="pwa_016.012"/> Hier ist die schon früher gegebene Definition weiter auszuführen <lb n="pwa_016.013"/> und somit zu begründen, indem wir mehr in das Einzelne gehend von <lb n="pwa_016.014"/> den verschiedenen Arten handeln, wie die genannten drei Seelenkräfte, <lb n="pwa_016.015"/> Einbildung, Gefühl, Verstand, bei der poetischen Anschauung und <lb n="pwa_016.016"/> Schöpfung zusammenwirken, wie sie bald gleichmässig sich mit <lb n="pwa_016.017"/> einander mischen, bald eine derselben vorwaltet, bald endlich ein <lb n="pwa_016.018"/> unvermittelter Widerspruch und Widerstreit unter ihnen eintritt. Damit <lb n="pwa_016.019"/> wird der späteren Trennung der einzelnen Dichtungsarten wesentlich <lb n="pwa_016.020"/> vorgearbeitet.</p> <p><lb n="pwa_016.021"/> Wenn mit Aristoteles das Wesen aller Kunst lediglich in der <lb n="pwa_016.022"/> Nachahmung zu suchen wäre, so müsste man die Poesie als die <lb n="pwa_016.023"/> Nachahmung durch das Wort definieren. Diese Erklärung wäre aber <lb n="pwa_016.024"/> zu weit und zu eng. Zu weit, insofern man allerlei in Worten nachahmen <lb n="pwa_016.025"/> kann, ohne dass ein Gedicht entsteht. So giebt es z. B. in der <lb n="pwa_016.026"/> späteren und mittelalterlichen Latinität Stücke in Prosa und in Versen, <lb n="pwa_016.027"/> worin angegeben und nachgebildet wird, wie die einzelnen Vögel und <lb n="pwa_016.028"/> andere Thiere schreien<note xml:id="pwa_016_1" place="foot" n="1"><lb n="pwa_016.034"/> ) z. B. Juventinus Philomela in Wernsdorfs Poetae latini minores 6, 2, <lb n="pwa_016.035"/> 388 u. a.</note>, offenbarste Nachahmung, aber Niemanden <lb n="pwa_016.029"/> würde es einfallen, dgl. deshalb Poesie zu nennen. Zu eng wäre die <lb n="pwa_016.030"/> Definition, weil mancherlei Arten der Poesie, denen auch Aristoteles <lb n="pwa_016.031"/> selbst den Namen der Poesie nicht entzieht, damit ausgeschlossen würden. <lb n="pwa_016.032"/> Nachahmung kann immer nur in Beziehung stehn zu Gegenständen, die <lb n="pwa_016.033"/> in der äusserlich umgebenden Sinnenwelt vorliegen. Aber nur wenige </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [16/0034]
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uns überliefert ist, recht zu verstehn und zu geniessen, als Kunstgriffe pwa_016.002
angeben, wie man diesen Vorrath selbst noch vermehren könne. Wenn pwa_016.003
die Poetik nur Philosophie der Poesie und ihrer Geschichte ist, wenn pwa_016.004
sie als Naturgeschichte der Poesie ein mehr historisch entwickelndes pwa_016.005
Verfahren beobachtet, gewinnt diess ganze Fach an concretem Gehalt pwa_016.006
und somit an Leben und Reiz; die Lehrsätze bleiben darum nicht pwa_016.007
aus: nur erscheinen sie dann nicht als eine unerquickliche Reihe von pwa_016.008
dürren Abstractionen. Und diese historisch-philosophische, diese pwa_016.009
naturgeschichtliche Weise ist es, in der ich beabsichtige zu verfahren.
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I. VON DER POESIE IM GANZEN UND ALLGEMEINEN. pwa_016.011
1. DAS WESEN DER POESIE. pwa_016.012
Hier ist die schon früher gegebene Definition weiter auszuführen pwa_016.013
und somit zu begründen, indem wir mehr in das Einzelne gehend von pwa_016.014
den verschiedenen Arten handeln, wie die genannten drei Seelenkräfte, pwa_016.015
Einbildung, Gefühl, Verstand, bei der poetischen Anschauung und pwa_016.016
Schöpfung zusammenwirken, wie sie bald gleichmässig sich mit pwa_016.017
einander mischen, bald eine derselben vorwaltet, bald endlich ein pwa_016.018
unvermittelter Widerspruch und Widerstreit unter ihnen eintritt. Damit pwa_016.019
wird der späteren Trennung der einzelnen Dichtungsarten wesentlich pwa_016.020
vorgearbeitet.
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Wenn mit Aristoteles das Wesen aller Kunst lediglich in der pwa_016.022
Nachahmung zu suchen wäre, so müsste man die Poesie als die pwa_016.023
Nachahmung durch das Wort definieren. Diese Erklärung wäre aber pwa_016.024
zu weit und zu eng. Zu weit, insofern man allerlei in Worten nachahmen pwa_016.025
kann, ohne dass ein Gedicht entsteht. So giebt es z. B. in der pwa_016.026
späteren und mittelalterlichen Latinität Stücke in Prosa und in Versen, pwa_016.027
worin angegeben und nachgebildet wird, wie die einzelnen Vögel und pwa_016.028
andere Thiere schreien 1, offenbarste Nachahmung, aber Niemanden pwa_016.029
würde es einfallen, dgl. deshalb Poesie zu nennen. Zu eng wäre die pwa_016.030
Definition, weil mancherlei Arten der Poesie, denen auch Aristoteles pwa_016.031
selbst den Namen der Poesie nicht entzieht, damit ausgeschlossen würden. pwa_016.032
Nachahmung kann immer nur in Beziehung stehn zu Gegenständen, die pwa_016.033
in der äusserlich umgebenden Sinnenwelt vorliegen. Aber nur wenige
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) z. B. Juventinus Philomela in Wernsdorfs Poetae latini minores 6, 2, pwa_016.035
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