Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_345.001 pwa_345.010 pwa_345.024 pwa_345.001 pwa_345.010 pwa_345.024 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0363" n="345"/><lb n="pwa_345.001"/> Häufung derselben kaum mehr von der Tautologie zu sondern ist; und <lb n="pwa_345.002"/> sicherlich stellt man in den meisten Fällen nicht deswegen viele synonyma <lb n="pwa_345.003"/> neben einander, weil sie Verschiedenes, sondern eben deswegen, <lb n="pwa_345.004"/> weil sie das Gleiche aussagen, also tautologisch sind. Am häufigsten <lb n="pwa_345.005"/> werden geistliche Reden mit Tautologien gestreckt: z. B. „Es ist das <lb n="pwa_345.006"/> Zeichen eines wahren, echten und aufrichtigen Verehrers der Religion, <lb n="pwa_345.007"/> wenn ihm jede Gelegenheit, religiöse Empfindungen und Gefühle in <lb n="pwa_345.008"/> seinem Innern anzuregen, zu erwecken, lebendig und wirksam zu <lb n="pwa_345.009"/> machen, lieb, werth und theuer ist.“</p> <p><lb n="pwa_345.010"/> Bisher haben wir immer nur noch von der Wahl der Worte <lb n="pwa_345.011"/> gehandelt, inwiefern sich darin die characteristische Eigenschaft des <lb n="pwa_345.012"/> prosaischen Stils, die Deutlichkeit, als leitendes Gesetz wirksam zeige; <lb n="pwa_345.013"/> mit der Wahl der Worte ist aber die sprachliche Darstellung noch <lb n="pwa_345.014"/> nicht abgethan: es gehört dazu noch die <hi rendition="#b">Anordnung</hi> und <hi rendition="#b">Verknüpfung</hi> <lb n="pwa_345.015"/> derselben, die Organisierung der einzelnen Worte zum Satz und zur <lb n="pwa_345.016"/> Periode. Diess also läge jetzt noch unserer Betrachtung vor. Indessen <lb n="pwa_345.017"/> wollen wir wenigstens auf die Erörterung des Satzbaues weiter keine <lb n="pwa_345.018"/> Zeit verwenden und zwar aus demselben Grunde, aus dem wir früherhin <lb n="pwa_345.019"/> auch das Erforderniss der Sprachrichtigkeit nur genannt haben, <lb n="pwa_345.020"/> um sogleich weiter zu gehn: wir würden damit aus der Stilistik in <lb n="pwa_345.021"/> die gewöhnliche Grammatik hineingerathen, da ja den Satzbau schon <lb n="pwa_345.022"/> die Syntax abhandelt. Wir richten deshalb unsere Aufmerksamkeit <lb n="pwa_345.023"/> nur auf den <hi rendition="#b">Periodenbau.</hi></p> <p><lb n="pwa_345.024"/> Das griechische Wort <foreign xml:lang="grc">περίοδος</foreign> bezeichnet ursprünglich und in <lb n="pwa_345.025"/> seiner sinnlichen Bedeutung einen Umlauf, einen Kreislauf, eine Linie, <lb n="pwa_345.026"/> bei deren Zurücklegung man zuletzt wieder bei demselben Puncte <lb n="pwa_345.027"/> anlangt, wovon man früher ausgegangen ist. In übertragenem Sinne, <lb n="pwa_345.028"/> in der Sprache der Rhetoren und Grammatiker heisst daher Periode <lb n="pwa_345.029"/> ein Satz, der durch Nebensätze unterbrochen zuletzt wieder in sich <lb n="pwa_345.030"/> selbst zurückkehrt. Das Wort wird jedoch nicht nur in so eingeschränkter <lb n="pwa_345.031"/> Bedeutung gebraucht: denn es macht keinen Unterschied, <lb n="pwa_345.032"/> ob der Nebensatz vor oder in oder hinter dem Hauptsatze steht. Einige <lb n="pwa_345.033"/> nennen deshalb jeden erweiterten Satz eine Periode. Andere hinwiederum <lb n="pwa_345.034"/> bezeichnen mit diesem Namen nur solche Verbindungen, <lb n="pwa_345.035"/> die aus einem Vordersatz und einem Nachsatz bestehn. Diess ist <lb n="pwa_345.036"/> aber ganz willkürlich. Unpractisch und unhistorisch ist es dagegen, <lb n="pwa_345.037"/> wenn man überhaupt jeden Satz eine Periode nennt, mag er nun einfach <lb n="pwa_345.038"/> oder zusammengesetzt sein. Wir bleiben daher am besten beim <lb n="pwa_345.039"/> alt überlieferten Sinne; nur ist der Begriff zu eng gefasst, wenn unter <lb n="pwa_345.040"/> Periode bloss die Verbindung von Hauptsatz und Nebensatz verstanden <lb n="pwa_345.041"/> wird. Auch die verbundenen Sätze sind Perioden zu nennen; denn </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [345/0363]
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Häufung derselben kaum mehr von der Tautologie zu sondern ist; und pwa_345.002
sicherlich stellt man in den meisten Fällen nicht deswegen viele synonyma pwa_345.003
neben einander, weil sie Verschiedenes, sondern eben deswegen, pwa_345.004
weil sie das Gleiche aussagen, also tautologisch sind. Am häufigsten pwa_345.005
werden geistliche Reden mit Tautologien gestreckt: z. B. „Es ist das pwa_345.006
Zeichen eines wahren, echten und aufrichtigen Verehrers der Religion, pwa_345.007
wenn ihm jede Gelegenheit, religiöse Empfindungen und Gefühle in pwa_345.008
seinem Innern anzuregen, zu erwecken, lebendig und wirksam zu pwa_345.009
machen, lieb, werth und theuer ist.“
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Bisher haben wir immer nur noch von der Wahl der Worte pwa_345.011
gehandelt, inwiefern sich darin die characteristische Eigenschaft des pwa_345.012
prosaischen Stils, die Deutlichkeit, als leitendes Gesetz wirksam zeige; pwa_345.013
mit der Wahl der Worte ist aber die sprachliche Darstellung noch pwa_345.014
nicht abgethan: es gehört dazu noch die Anordnung und Verknüpfung pwa_345.015
derselben, die Organisierung der einzelnen Worte zum Satz und zur pwa_345.016
Periode. Diess also läge jetzt noch unserer Betrachtung vor. Indessen pwa_345.017
wollen wir wenigstens auf die Erörterung des Satzbaues weiter keine pwa_345.018
Zeit verwenden und zwar aus demselben Grunde, aus dem wir früherhin pwa_345.019
auch das Erforderniss der Sprachrichtigkeit nur genannt haben, pwa_345.020
um sogleich weiter zu gehn: wir würden damit aus der Stilistik in pwa_345.021
die gewöhnliche Grammatik hineingerathen, da ja den Satzbau schon pwa_345.022
die Syntax abhandelt. Wir richten deshalb unsere Aufmerksamkeit pwa_345.023
nur auf den Periodenbau.
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Das griechische Wort περίοδος bezeichnet ursprünglich und in pwa_345.025
seiner sinnlichen Bedeutung einen Umlauf, einen Kreislauf, eine Linie, pwa_345.026
bei deren Zurücklegung man zuletzt wieder bei demselben Puncte pwa_345.027
anlangt, wovon man früher ausgegangen ist. In übertragenem Sinne, pwa_345.028
in der Sprache der Rhetoren und Grammatiker heisst daher Periode pwa_345.029
ein Satz, der durch Nebensätze unterbrochen zuletzt wieder in sich pwa_345.030
selbst zurückkehrt. Das Wort wird jedoch nicht nur in so eingeschränkter pwa_345.031
Bedeutung gebraucht: denn es macht keinen Unterschied, pwa_345.032
ob der Nebensatz vor oder in oder hinter dem Hauptsatze steht. Einige pwa_345.033
nennen deshalb jeden erweiterten Satz eine Periode. Andere hinwiederum pwa_345.034
bezeichnen mit diesem Namen nur solche Verbindungen, pwa_345.035
die aus einem Vordersatz und einem Nachsatz bestehn. Diess ist pwa_345.036
aber ganz willkürlich. Unpractisch und unhistorisch ist es dagegen, pwa_345.037
wenn man überhaupt jeden Satz eine Periode nennt, mag er nun einfach pwa_345.038
oder zusammengesetzt sein. Wir bleiben daher am besten beim pwa_345.039
alt überlieferten Sinne; nur ist der Begriff zu eng gefasst, wenn unter pwa_345.040
Periode bloss die Verbindung von Hauptsatz und Nebensatz verstanden pwa_345.041
wird. Auch die verbundenen Sätze sind Perioden zu nennen; denn
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