Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_380.001 pwa_380.022 pwa_380.035 pwa_380.001 pwa_380.022 pwa_380.035 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0398" n="380"/><lb n="pwa_380.001"/> das mit ihnen Dargestellte in der Wirklichkeit begleitet, sie stimmen <lb n="pwa_380.002"/> dazu in Vocal und Consonant und Accent, ohne jedoch irgendwelche <lb n="pwa_380.003"/> etymologische Beziehung darauf zu haben. So bei Voss im Siebzigsten <lb n="pwa_380.004"/> Geburtstage (LB. 2, 901, 33): „Näher und näher Kam das Gekling <lb n="pwa_380.005"/> und das Klatschen der Peitsch' und der Pferde Getrampel“; oder in <lb n="pwa_380.006"/> dem bekannten Verse Virgils (Aen. 8, 596): „Quadrupedante putrem <lb n="pwa_380.007"/> sonitu quatit ungula campum“: es ist nicht bloss der dactylische <lb n="pwa_380.008"/> Rhythmus, es ist vielmehr die Mischung der Laute <hi rendition="#i">k, kl, p, tsch</hi> bei <lb n="pwa_380.009"/> Voss, <hi rendition="#i">q p t</hi> bei Virgil, die das Getrappel der Pferde malerisch nachahmt, <lb n="pwa_380.010"/> malerischer und dichterischer als das bei Bürger der Fall ist. <lb n="pwa_380.011"/> Oder bei Ovid (Metamorph. 6, 376) von quakenden Fröschen: „Quamvis <lb n="pwa_380.012"/> sint sub aqua, sub aqua maledicere temptant“, wo die Malerei kunstreicher <lb n="pwa_380.013"/> ist, als wenn er etwa bloss das Wort <hi rendition="#i">coaxare</hi> oder auf Deutsch <lb n="pwa_380.014"/> <hi rendition="#i">quaken</hi> gebraucht hätte: denn <hi rendition="#i">coaxare, quaken</hi> bezeichnet eben nur <lb n="pwa_380.015"/> und unmittelbar das Schreien der Frösche selbst, <hi rendition="#i">quamvis</hi> und <hi rendition="#i">aqua</hi> <lb n="pwa_380.016"/> haben aber sonst und für sich gar nichts damit zu thun. Oder endlich <lb n="pwa_380.017"/> zwei Spassverse des berühmten Taubmann auf die Schwatzhaftigkeit <lb n="pwa_380.018"/> der Weiber: „Quando conveniunt Maria, Camilla, Sibylla, Sermonem <lb n="pwa_380.019"/> faciunt et ab hoc et ab hac et ab illa.“ Wir kommen später <lb n="pwa_380.020"/> noch einmal bei einer anderen Gelegenheit auf diese Lautmalerei <lb n="pwa_380.021"/> zurück. Vgl. Voc. var. animant. S. 21.</p> <p><lb n="pwa_380.022"/> Jetzt ist zu reden von der Sinnlichkeit des Ausdruckes für das <lb n="pwa_380.023"/> <hi rendition="#i">Gesicht,</hi> von derjenigen Concretheit und Bildlichkeit der Vorstellungen, <lb n="pwa_380.024"/> zu deren genügender Auffassung, zu deren Production und Reproduction, <lb n="pwa_380.025"/> ein inneres, nur in der Einbildung ruhendes Sehen erfordert wird. <lb n="pwa_380.026"/> Andere Sinne mögen zuweilen auch hineinspielen und die Gesichtswahrnehmung <lb n="pwa_380.027"/> begleiten: aber sie thun das immer nur in untergeordneter <lb n="pwa_380.028"/> Stellung, und das Sehen bleibt jedesmal das Hauptsächliche und <lb n="pwa_380.029"/> Wesentliche. Natürlich haben wir hier diese sinnliche Ausdrucksweise <lb n="pwa_380.030"/> nur in so fern zu betrachten, als sie innerhalb der dichterischen Rede <lb n="pwa_380.031"/> an die Stelle der minder sinnlichen oder ganz unsinnlichen tritt, deren <lb n="pwa_380.032"/> sich unter gleichen Umständen die Prosa bedienen würde; wir sprechen <lb n="pwa_380.033"/> von derselben nur, insofern sie im Vergleich mit dem prosaischen <lb n="pwa_380.034"/> Stile die uneigentliche ist.</p> <p><lb n="pwa_380.035"/> Da giebt es denn eine grosse Mannigfaltigkeit von Wendungen, <lb n="pwa_380.036"/> die schon von den griechischen Rhetoren in einzelne Gruppen vertheilt, <lb n="pwa_380.037"/> und jede mit ihrem besonderen Namen sind belegt worden, <lb n="pwa_380.038"/> je nach den verschiedenen Mitteln und Wegen, welche die dichterische <lb n="pwa_380.039"/> Anschauung und Darstellung einschlägt, um einem Ausdruck, um einer <lb n="pwa_380.040"/> Vorstellung eine über das Gewohnte hinaus belebte Sinnlichkeit zu <lb n="pwa_380.041"/> verleihen. All diese einzelnen Arten aber werden von den griechischen </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [380/0398]
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das mit ihnen Dargestellte in der Wirklichkeit begleitet, sie stimmen pwa_380.002
dazu in Vocal und Consonant und Accent, ohne jedoch irgendwelche pwa_380.003
etymologische Beziehung darauf zu haben. So bei Voss im Siebzigsten pwa_380.004
Geburtstage (LB. 2, 901, 33): „Näher und näher Kam das Gekling pwa_380.005
und das Klatschen der Peitsch' und der Pferde Getrampel“; oder in pwa_380.006
dem bekannten Verse Virgils (Aen. 8, 596): „Quadrupedante putrem pwa_380.007
sonitu quatit ungula campum“: es ist nicht bloss der dactylische pwa_380.008
Rhythmus, es ist vielmehr die Mischung der Laute k, kl, p, tsch bei pwa_380.009
Voss, q p t bei Virgil, die das Getrappel der Pferde malerisch nachahmt, pwa_380.010
malerischer und dichterischer als das bei Bürger der Fall ist. pwa_380.011
Oder bei Ovid (Metamorph. 6, 376) von quakenden Fröschen: „Quamvis pwa_380.012
sint sub aqua, sub aqua maledicere temptant“, wo die Malerei kunstreicher pwa_380.013
ist, als wenn er etwa bloss das Wort coaxare oder auf Deutsch pwa_380.014
quaken gebraucht hätte: denn coaxare, quaken bezeichnet eben nur pwa_380.015
und unmittelbar das Schreien der Frösche selbst, quamvis und aqua pwa_380.016
haben aber sonst und für sich gar nichts damit zu thun. Oder endlich pwa_380.017
zwei Spassverse des berühmten Taubmann auf die Schwatzhaftigkeit pwa_380.018
der Weiber: „Quando conveniunt Maria, Camilla, Sibylla, Sermonem pwa_380.019
faciunt et ab hoc et ab hac et ab illa.“ Wir kommen später pwa_380.020
noch einmal bei einer anderen Gelegenheit auf diese Lautmalerei pwa_380.021
zurück. Vgl. Voc. var. animant. S. 21.
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Jetzt ist zu reden von der Sinnlichkeit des Ausdruckes für das pwa_380.023
Gesicht, von derjenigen Concretheit und Bildlichkeit der Vorstellungen, pwa_380.024
zu deren genügender Auffassung, zu deren Production und Reproduction, pwa_380.025
ein inneres, nur in der Einbildung ruhendes Sehen erfordert wird. pwa_380.026
Andere Sinne mögen zuweilen auch hineinspielen und die Gesichtswahrnehmung pwa_380.027
begleiten: aber sie thun das immer nur in untergeordneter pwa_380.028
Stellung, und das Sehen bleibt jedesmal das Hauptsächliche und pwa_380.029
Wesentliche. Natürlich haben wir hier diese sinnliche Ausdrucksweise pwa_380.030
nur in so fern zu betrachten, als sie innerhalb der dichterischen Rede pwa_380.031
an die Stelle der minder sinnlichen oder ganz unsinnlichen tritt, deren pwa_380.032
sich unter gleichen Umständen die Prosa bedienen würde; wir sprechen pwa_380.033
von derselben nur, insofern sie im Vergleich mit dem prosaischen pwa_380.034
Stile die uneigentliche ist.
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Da giebt es denn eine grosse Mannigfaltigkeit von Wendungen, pwa_380.036
die schon von den griechischen Rhetoren in einzelne Gruppen vertheilt, pwa_380.037
und jede mit ihrem besonderen Namen sind belegt worden, pwa_380.038
je nach den verschiedenen Mitteln und Wegen, welche die dichterische pwa_380.039
Anschauung und Darstellung einschlägt, um einem Ausdruck, um einer pwa_380.040
Vorstellung eine über das Gewohnte hinaus belebte Sinnlichkeit zu pwa_380.041
verleihen. All diese einzelnen Arten aber werden von den griechischen
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