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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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für das Ohr bald etwas höchst Ermüdendes und Langweiliges. Der pwa_386.002
Ueberfluss solcher Epitheta characterisiert wie die lateinischen Dichter, pwa_386.003
so die deutschen des siebzehnten und aus der ersten Hälfte des achtzehnten pwa_386.004
Jahrhunderts; der gebräuchliche Vers, der Alexandriner, verleitete pwa_386.005
dazu: es machte sich wie von selbst, dass man vor die Cäsur pwa_386.006
ein solches Wortpaar setzte und hinter die Cäsur wieder eins. So pwa_386.007
selbst bei den besten Dichtern jener Zeit, z. B. bei Albrecht von Haller pwa_386.008
(LB. 2, 631, 30-633, 8). Dass es in der That hauptsächlich die Noth pwa_386.009
gewesen sei, die zu einer solchen eintönigen Häufung von Epithetis pwa_386.010
getrieben habe, die Noth, den langen Vers zu füllen und den rechten pwa_386.011
Abschnitt zu gewinnen, das verräth ein Zeitgenosse Hallers, der selber pwa_386.012
auch genug Alexandriner geschrieben hat, K. Fr. Drollinger, in seinem pwa_386.013
Spottgedicht auf den Alexandriner (Ueber die Tyrannei der deutschen pwa_386.014
Dichtkunst: LB. 2, 582).

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Eine andere Figur, die in dem Wesen aller Sprache vielleicht pwa_386.016
noch tiefer begründet ist, deren Anwendung sich auch bis tief in die pwa_386.017
alltägliche Rede hinein erstreckt, ist die Umschreibung, periphrasis. pwa_386.018
Umschreibung entsteht dann, wenn man eine Person oder Sache oder pwa_386.019
eine Thätigkeit nicht bei ihrem gewöhnlichen, einfachen Namen nennt, pwa_386.020
sondern sie statt dessen weitläuftiger durch eine oder mehrere characteristische pwa_386.021
Eigenschaften oder Wirkungen oder dergleichen bezeichnet; pwa_386.022
wenn man z. B. statt Wein sagt "das schäumende Blut des Weinstockes." pwa_386.023
Bescheiden eingeschränkt kann diese Weitläuftigkeit allerdings pwa_386.024
der sinnlichen Anschauung wesentliche Dienste leisten, und hat pwa_386.025
sie ihr auch von jeher geleistet. Misslich aber wird die Umschreibung, pwa_386.026
sowie sie über die dem einfachen Ausdruck immer noch pwa_386.027
nahe liegende Zweigliedrigkeit hinausgeht. Besonders stark in solchen pwa_386.028
weitläuftigen Weitläuftigkeiten ist Ramler, "der deutsche Horaz." Stilistiker pwa_386.029
seiner Zeit oder seines Geistes haben immer eine grosse Freude pwa_386.030
daran gezeigt, wie kunstreich er z. B. die Begriffe Kanone, Eis und pwa_386.031
Schlittschuh zu umschreiben wisse. Statt Kanone nämlich sagt er, pwa_386.032
indem er dieselbe anredet: "O du, dem glühend Eisen, donnernd pwa_386.033
Feuer, Aus offnem Aetnaschlunde flammt, Die frommen Dichter zu pwa_386.034
zerschmettern, Ungeheuer, Das aus der Hölle stammt" (LB. 2, 725); pwa_386.035
statt Eis: "der diamantene Schild des Stromes, der alle Pfeile der pwa_386.036
Sonne verhöhnt"; statt Schlittschuhe: "Schuhe von Stahl, worin der pwa_386.037
Mann der freundlichen Venus (Umschreibung für Vulcan) der Blitze pwa_386.038
Geschwindigkeit barg." Dergleichen wird dann alles Ernstes als Muster pwa_386.039
angeführt und zur Nachahmung empfohlen. Gleichwohl sind solche pwa_386.040
gar zu ausgeführte Umschreibungen misslich, deswegen weil sie dem pwa_386.041
Gesetze der Deutlichkeit, das ja auch für die Poesie immer noch gilt,

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für das Ohr bald etwas höchst Ermüdendes und Langweiliges. Der pwa_386.002
Ueberfluss solcher Epitheta characterisiert wie die lateinischen Dichter, pwa_386.003
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auch genug Alexandriner geschrieben hat, K. Fr. Drollinger, in seinem pwa_386.013
Spottgedicht auf den Alexandriner (Ueber die Tyrannei der deutschen pwa_386.014
Dichtkunst: LB. 2, 582).

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Eine andere Figur, die in dem Wesen aller Sprache vielleicht pwa_386.016
noch tiefer begründet ist, deren Anwendung sich auch bis tief in die pwa_386.017
alltägliche Rede hinein erstreckt, ist die Umschreibung, περίφρασις. pwa_386.018
Umschreibung entsteht dann, wenn man eine Person oder Sache oder pwa_386.019
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Eigenschaften oder Wirkungen oder dergleichen bezeichnet; pwa_386.022
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sowie sie über die dem einfachen Ausdruck immer noch pwa_386.027
nahe liegende Zweigliedrigkeit hinausgeht. Besonders stark in solchen pwa_386.028
weitläuftigen Weitläuftigkeiten ist Ramler, „der deutsche Horaz.“ Stilistiker pwa_386.029
seiner Zeit oder seines Geistes haben immer eine grosse Freude pwa_386.030
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Schlittschuh zu umschreiben wisse. Statt Kanone nämlich sagt er, pwa_386.032
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Feuer, Aus offnem Aetnaschlunde flammt, Die frommen Dichter zu pwa_386.034
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Sonne verhöhnt“; statt Schlittschuhe: „Schuhe von Stahl, worin der pwa_386.037
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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/404>, abgerufen am 22.11.2024.