Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_411.001 pwa_411.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0429" n="411"/> <p><lb n="pwa_411.001"/> Nun noch Einiges vom Asyndeton. Gleich den angeführten Beispielen, <lb n="pwa_411.002"/> so besteht auch sonst das Asyndeton, wie man das Wort <lb n="pwa_411.003"/> gewöhnlich auffasst und braucht, eben nur darin, dass ein Bindewort <lb n="pwa_411.004"/> ausgelassen ist, und zwar wieder nur das Bindewort <hi rendition="#i">und,</hi> der Ausdruck <lb n="pwa_411.005"/> für eine copulative und positive Zusammenstellung, wogegen <lb n="pwa_411.006"/> <hi rendition="#i">oder</hi> und <hi rendition="#i">noch,</hi> die disjunctiven und negativen Sinn haben, eben <lb n="pwa_411.007"/> dieses ihres Sinnes wegen niemals fortbleiben können, und zwar aus <lb n="pwa_411.008"/> Gründen der Deutlichkeit (S. 350). Man darf aber füglich den Begriff <lb n="pwa_411.009"/> des Asyndetons etwas weiter ausdehnen und auch das so nennen, wenn <lb n="pwa_411.010"/> ein Fügewort, ein Wort zur Anknüpfung eines Nebensatzes nicht angewendet <lb n="pwa_411.011"/> wird, während doch der gewöhnliche Sprachgebrauch es fordern <lb n="pwa_411.012"/> würde, so dass nun ein Satz, der eigentlich Nebensatz sein <lb n="pwa_411.013"/> sollte, zur Würde eines Hauptsatzes erhoben wird. Man darf auch <lb n="pwa_411.014"/> diess Asyndeton nennen; denn auch hier ist eine ungewöhnliche Unverbundenheit, <lb n="pwa_411.015"/> und auch diese dient zur Belebung durch den Fortschritt <lb n="pwa_411.016"/> in der Entwickelung der Gedanken; dass zugleich durch die Hervorhebung, <lb n="pwa_411.017"/> welche damit verknüpft ist, dem Zwecke der Deutlichkeit entsprochen <lb n="pwa_411.018"/> werde, davon ist schon früher (S. 349) gesprochen worden. So <lb n="pwa_411.019"/> z. B. wenn Schiller im Abschied vom Leser sagt: „Der Lenz erwacht: <lb n="pwa_411.020"/> auf den erwärmten Triften schiesst frohes Leben jugendlich empor .... <lb n="pwa_411.021"/> Der Lenz entflieht: die Blume schiesst in Samen, und keine bleibt <lb n="pwa_411.022"/> von allen, welche kamen.“ Die gewöhnliche Ausdrucksweise würde <lb n="pwa_411.023"/> hier einen conditionalen Nebensatz gebildet haben: „Wenn der Lenz <lb n="pwa_411.024"/> u. s. w.“ Es ist diess allerdings das logische Verhältniss der Vorstellungen: <lb n="pwa_411.025"/> aber offenbar würde damit die Anschauung auf einem Puncte <lb n="pwa_411.026"/> ziemlich unbewegt festgehalten, und erst dann wird sie zu beweglichem <lb n="pwa_411.027"/> Fortschritt belebt, wenn die beiden Glieder des Gedankens jeder als <lb n="pwa_411.028"/> selbständiger Hauptsatz dastehn, und einer dem andern in historischer <lb n="pwa_411.029"/> Entwicklung folgt. Es wird diese asyndetische Auslassung der Fügewörter <lb n="pwa_411.030"/> besonders auf das Verhältniss von Ursache und Grund und auf <lb n="pwa_411.031"/> das der Vergleichung angewendet. Beispiel der ersteren Art jenes von <lb n="pwa_411.032"/> Schiller. Eine asyndetische Vergleichung, wo also kein <hi rendition="#i">wie</hi> gebraucht <lb n="pwa_411.033"/> ist, bietet der bekannte Anfang von Schillers Macht des Gesanges <lb n="pwa_411.034"/> (LB. 2, 1132): „Ein Regenstrom aus Felsenrissen, Er kommt mit Donners <lb n="pwa_411.035"/> Ungestüm; Bergtrümmer folgen seinen Güssen, Und Felsen stürzen <lb n="pwa_411.036"/> unter ihm; Erstaunt, mit wollustvollem Grausen Hört ihn der <lb n="pwa_411.037"/> Wanderer und lauscht; Er hört die Flut vom Felsen brausen, Doch <lb n="pwa_411.038"/> weiss er nicht, woher sie rauscht: So strömen des Gesanges Wellen <lb n="pwa_411.039"/> Hervor aus nie entdeckten Quellen.“ Viel weniger belebt wäre diese <lb n="pwa_411.040"/> Vergleichung, wenn sie nach streng logischer Weise mit einem <hi rendition="#i">Wie</hi> <lb n="pwa_411.041"/> begönne; sie erhebt sich dagegen zur lebhaftesten Anschaulichkeit, </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [411/0429]
pwa_411.001
Nun noch Einiges vom Asyndeton. Gleich den angeführten Beispielen, pwa_411.002
so besteht auch sonst das Asyndeton, wie man das Wort pwa_411.003
gewöhnlich auffasst und braucht, eben nur darin, dass ein Bindewort pwa_411.004
ausgelassen ist, und zwar wieder nur das Bindewort und, der Ausdruck pwa_411.005
für eine copulative und positive Zusammenstellung, wogegen pwa_411.006
oder und noch, die disjunctiven und negativen Sinn haben, eben pwa_411.007
dieses ihres Sinnes wegen niemals fortbleiben können, und zwar aus pwa_411.008
Gründen der Deutlichkeit (S. 350). Man darf aber füglich den Begriff pwa_411.009
des Asyndetons etwas weiter ausdehnen und auch das so nennen, wenn pwa_411.010
ein Fügewort, ein Wort zur Anknüpfung eines Nebensatzes nicht angewendet pwa_411.011
wird, während doch der gewöhnliche Sprachgebrauch es fordern pwa_411.012
würde, so dass nun ein Satz, der eigentlich Nebensatz sein pwa_411.013
sollte, zur Würde eines Hauptsatzes erhoben wird. Man darf auch pwa_411.014
diess Asyndeton nennen; denn auch hier ist eine ungewöhnliche Unverbundenheit, pwa_411.015
und auch diese dient zur Belebung durch den Fortschritt pwa_411.016
in der Entwickelung der Gedanken; dass zugleich durch die Hervorhebung, pwa_411.017
welche damit verknüpft ist, dem Zwecke der Deutlichkeit entsprochen pwa_411.018
werde, davon ist schon früher (S. 349) gesprochen worden. So pwa_411.019
z. B. wenn Schiller im Abschied vom Leser sagt: „Der Lenz erwacht: pwa_411.020
auf den erwärmten Triften schiesst frohes Leben jugendlich empor .... pwa_411.021
Der Lenz entflieht: die Blume schiesst in Samen, und keine bleibt pwa_411.022
von allen, welche kamen.“ Die gewöhnliche Ausdrucksweise würde pwa_411.023
hier einen conditionalen Nebensatz gebildet haben: „Wenn der Lenz pwa_411.024
u. s. w.“ Es ist diess allerdings das logische Verhältniss der Vorstellungen: pwa_411.025
aber offenbar würde damit die Anschauung auf einem Puncte pwa_411.026
ziemlich unbewegt festgehalten, und erst dann wird sie zu beweglichem pwa_411.027
Fortschritt belebt, wenn die beiden Glieder des Gedankens jeder als pwa_411.028
selbständiger Hauptsatz dastehn, und einer dem andern in historischer pwa_411.029
Entwicklung folgt. Es wird diese asyndetische Auslassung der Fügewörter pwa_411.030
besonders auf das Verhältniss von Ursache und Grund und auf pwa_411.031
das der Vergleichung angewendet. Beispiel der ersteren Art jenes von pwa_411.032
Schiller. Eine asyndetische Vergleichung, wo also kein wie gebraucht pwa_411.033
ist, bietet der bekannte Anfang von Schillers Macht des Gesanges pwa_411.034
(LB. 2, 1132): „Ein Regenstrom aus Felsenrissen, Er kommt mit Donners pwa_411.035
Ungestüm; Bergtrümmer folgen seinen Güssen, Und Felsen stürzen pwa_411.036
unter ihm; Erstaunt, mit wollustvollem Grausen Hört ihn der pwa_411.037
Wanderer und lauscht; Er hört die Flut vom Felsen brausen, Doch pwa_411.038
weiss er nicht, woher sie rauscht: So strömen des Gesanges Wellen pwa_411.039
Hervor aus nie entdeckten Quellen.“ Viel weniger belebt wäre diese pwa_411.040
Vergleichung, wenn sie nach streng logischer Weise mit einem Wie pwa_411.041
begönne; sie erhebt sich dagegen zur lebhaftesten Anschaulichkeit,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |