Wagner, Heinrich Leopold: Die Kindermörderinn. Leipzig, 1776. v. Gröningseck. Wenns eins von den All- tagsgeschöpfen wäre, die, wenn wir sie nicht zu unserm Spielwerk brauchten, zu gar nichts nütze sind, ja! -- Aber das ist sie nicht: du hättest sie sehn, hören sollen; in dem Augenblick, dem kri- tischen Augenblick, der unmittelbar auf den Genuß folgt, in dem uns die gröste Schönheit aneckelt -- da hättst du sie sehn sollen: -- wie groß in ihrer Schwäche! -- wie ganz Tugend, auch nachdem ich sie mit dem Laster bekannt gemacht hatte! -- und ich, wie klein! wie -- o! ich mag gar nicht nicht zurückdenken -- v. Hasenpoth. Können dich Grimaßen so weich- herzig machen? -- Du armer Tropf! -- v. Gröningseck. Grimaßen? -- meynst, ich kann Grimaßen nicht von Wahrheit unterscheiden? -- Bey den übertünchten Todtengräbern, den geschminkten, gefirnißten Puppen, die einen hier, wo man nur hinsieht, anstinken, da such Grimaßen, -- aber nicht bey der simpeln Natur. -- v. Hasenpoth. Simpel oder nicht simpel! -- ein Weibsbild ist halt ein Weibsbild! und die un- erfahrenste gibt uns immer, was den Punkt an- betrifft, noch aufzurathen. -- Jch hab wenig Frau- enzimmer angetroffen, die nicht sehnlichst wünschten bestürmt zu werden, und noch die erste zu sehn, die nicht nach der Niederlage ein paar Krokodils- thränen geweint hätte. -- Das ist schon in der Art so! v. Gröningseck (mit verbißner Wuth.) Ausbund aller
v. Groͤningseck. Wenns eins von den All- tagsgeſchoͤpfen waͤre, die, wenn wir ſie nicht zu unſerm Spielwerk brauchten, zu gar nichts nuͤtze ſind, ja! — Aber das iſt ſie nicht: du haͤtteſt ſie ſehn, hoͤren ſollen; in dem Augenblick, dem kri- tiſchen Augenblick, der unmittelbar auf den Genuß folgt, in dem uns die groͤſte Schoͤnheit aneckelt — da haͤttſt du ſie ſehn ſollen: — wie groß in ihrer Schwaͤche! — wie ganz Tugend, auch nachdem ich ſie mit dem Laſter bekannt gemacht hatte! — und ich, wie klein! wie — o! ich mag gar nicht nicht zuruͤckdenken — v. Haſenpoth. Koͤnnen dich Grimaßen ſo weich- herzig machen? — Du armer Tropf! — v. Groͤningseck. Grimaßen? — meynſt, ich kann Grimaßen nicht von Wahrheit unterſcheiden? — Bey den uͤbertuͤnchten Todtengraͤbern, den geſchminkten, gefirnißten Puppen, die einen hier, wo man nur hinſieht, anſtinken, da ſuch Grimaßen, — aber nicht bey der ſimpeln Natur. — v. Haſenpoth. Simpel oder nicht ſimpel! — ein Weibsbild iſt halt ein Weibsbild! und die un- erfahrenſte gibt uns immer, was den Punkt an- betrifft, noch aufzurathen. — Jch hab wenig Frau- enzimmer angetroffen, die nicht ſehnlichſt wuͤnſchten beſtuͤrmt zu werden, und noch die erſte zu ſehn, die nicht nach der Niederlage ein paar Krokodils- thraͤnen geweint haͤtte. — Das iſt ſchon in der Art ſo! v. Groͤningseck (mit verbißner Wuth.) Ausbund aller
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0049" n="47"/> <fw place="top" type="header"> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </fw> <sp who="#GRN"> <speaker> <hi rendition="#fr">v. Groͤningseck.</hi> </speaker> <p>Wenns eins von den All-<lb/> tagsgeſchoͤpfen waͤre, die, wenn wir ſie nicht zu<lb/> unſerm Spielwerk brauchten, zu gar nichts nuͤtze<lb/> ſind, ja! — Aber <hi rendition="#fr">das</hi> iſt ſie nicht: du haͤtteſt ſie<lb/> ſehn, hoͤren ſollen; in <hi rendition="#fr">dem</hi> Augenblick, dem kri-<lb/> tiſchen Augenblick, der unmittelbar auf den Genuß<lb/> folgt, in dem uns die groͤſte Schoͤnheit aneckelt —<lb/> da haͤttſt du ſie ſehn ſollen: — wie groß in ihrer<lb/> Schwaͤche! — wie ganz Tugend, auch nachdem<lb/><hi rendition="#fr">ich</hi> ſie mit dem Laſter bekannt gemacht hatte! —<lb/> und ich, wie klein! wie — o! ich mag gar nicht<lb/> nicht zuruͤckdenken —</p> </sp><lb/> <sp who="#HAS"> <speaker> <hi rendition="#fr">v. Haſenpoth.</hi> </speaker> <p>Koͤnnen dich Grimaßen ſo weich-<lb/> herzig machen? — Du armer Tropf! —</p> </sp><lb/> <sp who="#GRN"> <speaker> <hi rendition="#fr">v. Groͤningseck.</hi> </speaker> <p>Grimaßen? — meynſt, ich<lb/> kann Grimaßen nicht von Wahrheit unterſcheiden?<lb/> — Bey den uͤbertuͤnchten Todtengraͤbern, den<lb/> geſchminkten, gefirnißten Puppen, die einen hier,<lb/> wo man nur hinſieht, anſtinken, da ſuch Grimaßen,<lb/> — aber nicht bey der ſimpeln Natur. —</p> </sp><lb/> <sp who="#HAS"> <speaker> <hi rendition="#fr">v. Haſenpoth.</hi> </speaker> <p>Simpel oder nicht ſimpel! —<lb/> ein Weibsbild iſt halt ein Weibsbild! und die un-<lb/> erfahrenſte gibt uns immer, was <hi rendition="#fr">den</hi> Punkt an-<lb/> betrifft, noch aufzurathen. — Jch hab wenig Frau-<lb/> enzimmer angetroffen, die nicht ſehnlichſt wuͤnſchten<lb/> beſtuͤrmt zu werden, und noch die erſte zu ſehn,<lb/> die nicht nach der Niederlage ein paar Krokodils-<lb/> thraͤnen geweint haͤtte. — Das iſt ſchon in der<lb/> Art ſo!</p> </sp><lb/> <sp who="#GRN"> <speaker> <hi rendition="#fr">v. Groͤningseck</hi> </speaker> <stage>(mit verbißner Wuth.)</stage> <p>Ausbund<lb/> <fw place="bottom" type="catch">aller</fw><lb/></p> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [47/0049]
v. Groͤningseck. Wenns eins von den All-
tagsgeſchoͤpfen waͤre, die, wenn wir ſie nicht zu
unſerm Spielwerk brauchten, zu gar nichts nuͤtze
ſind, ja! — Aber das iſt ſie nicht: du haͤtteſt ſie
ſehn, hoͤren ſollen; in dem Augenblick, dem kri-
tiſchen Augenblick, der unmittelbar auf den Genuß
folgt, in dem uns die groͤſte Schoͤnheit aneckelt —
da haͤttſt du ſie ſehn ſollen: — wie groß in ihrer
Schwaͤche! — wie ganz Tugend, auch nachdem
ich ſie mit dem Laſter bekannt gemacht hatte! —
und ich, wie klein! wie — o! ich mag gar nicht
nicht zuruͤckdenken —
v. Haſenpoth. Koͤnnen dich Grimaßen ſo weich-
herzig machen? — Du armer Tropf! —
v. Groͤningseck. Grimaßen? — meynſt, ich
kann Grimaßen nicht von Wahrheit unterſcheiden?
— Bey den uͤbertuͤnchten Todtengraͤbern, den
geſchminkten, gefirnißten Puppen, die einen hier,
wo man nur hinſieht, anſtinken, da ſuch Grimaßen,
— aber nicht bey der ſimpeln Natur. —
v. Haſenpoth. Simpel oder nicht ſimpel! —
ein Weibsbild iſt halt ein Weibsbild! und die un-
erfahrenſte gibt uns immer, was den Punkt an-
betrifft, noch aufzurathen. — Jch hab wenig Frau-
enzimmer angetroffen, die nicht ſehnlichſt wuͤnſchten
beſtuͤrmt zu werden, und noch die erſte zu ſehn,
die nicht nach der Niederlage ein paar Krokodils-
thraͤnen geweint haͤtte. — Das iſt ſchon in der
Art ſo!
v. Groͤningseck (mit verbißner Wuth.) Ausbund
aller
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |