Wagner, Heinrich Leopold: Die Kindermörderinn. Leipzig, 1776. Evchen. Wie kan sie das denken, Mutter! Fr. Humbrecht. Wie? -- weil du kein Zu- trauen mehr zu deinen Eltern hast, wo das nicht ist, ist auch keine Liebe. Evchen (gerührt.) Mutter! Fr. Humbrecht. Nicht anders: es thut mir leid, daß ich dirs sagen muß; -- sonst, wenn dir nur ein Finger weh that, kamst du zu mir geloffen es mir zu klagen; -- jetzt, verzeih dirs der liebe Gott, geht dir allemal eine Gänshaut aus, wenn du eins von uns beyden erblickst. Evchen. Gewiß nicht! -- sie thut mir das gröste Unrecht von der Welt, Mutter! wenn sie das sagt: ich lieb sie noch immer eben so stark -- aber -- Fr. Humbrecht. Nun? -- Evchen (schüchtern.) Aber -- es giebt Sachen, die man niemand entdecken kan. Fr. Humbrecht. Warum nicht? Evchen Weil sie noch nicht reif sind; weil man sie sich selbst nicht so gestehn mag oder kann. Fr. Humbrecht. Lauter Rätzel! -- wenn dein Vater wieder so eine Antwort hörte, fuchswild würd er darüber: -- Du weißt, er kann das hin- ter dem Berg halten nicht ausstehn! ich auch nicht. Gestern, eh er zu Pferd stieg, glaubt ich er wollte rasend werden: da er dich so recht ver- traut auf seinen Schoos setzte, dir bie desten Wort gab, dich herzte und drückte -- Evchen
Evchen. Wie kan ſie das denken, Mutter! Fr. Humbrecht. Wie? — weil du kein Zu- trauen mehr zu deinen Eltern haſt, wo das nicht iſt, iſt auch keine Liebe. Evchen (geruͤhrt.) Mutter! Fr. Humbrecht. Nicht anders: es thut mir leid, daß ich dirs ſagen muß; — ſonſt, wenn dir nur ein Finger weh that, kamſt du zu mir geloffen es mir zu klagen; — jetzt, verzeih dirs der liebe Gott, geht dir allemal eine Gaͤnshaut aus, wenn du eins von uns beyden erblickſt. Evchen. Gewiß nicht! — ſie thut mir das groͤſte Unrecht von der Welt, Mutter! wenn ſie das ſagt: ich lieb ſie noch immer eben ſo ſtark — aber — Fr. Humbrecht. Nun? — Evchen (ſchuͤchtern.) Aber — es giebt Sachen, die man niemand entdecken kan. Fr. Humbrecht. Warum nicht? Evchen Weil ſie noch nicht reif ſind; weil man ſie ſich ſelbſt nicht ſo geſtehn mag oder kann. Fr. Humbrecht. Lauter Raͤtzel! — wenn dein Vater wieder ſo eine Antwort hoͤrte, fuchswild wuͤrd er daruͤber: — Du weißt, er kann das hin- ter dem Berg halten nicht ausſtehn! ich auch nicht. Geſtern, eh er zu Pferd ſtieg, glaubt ich er wollte raſend werden: da er dich ſo recht ver- traut auf ſeinen Schoos ſetzte, dir bie deſten Wort gab, dich herzte und druͤckte — Evchen
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Evchen. Wie kan ſie das denken, Mutter!
Fr. Humbrecht. Wie? — weil du kein Zu-
trauen mehr zu deinen Eltern haſt, wo das nicht
iſt, iſt auch keine Liebe.
Evchen (geruͤhrt.) Mutter!
Fr. Humbrecht. Nicht anders: es thut mir
leid, daß ich dirs ſagen muß; — ſonſt, wenn dir
nur ein Finger weh that, kamſt du zu mir geloffen
es mir zu klagen; — jetzt, verzeih dirs der liebe
Gott, geht dir allemal eine Gaͤnshaut aus, wenn
du eins von uns beyden erblickſt.
Evchen. Gewiß nicht! — ſie thut mir das
groͤſte Unrecht von der Welt, Mutter! wenn ſie
das ſagt: ich lieb ſie noch immer eben ſo ſtark —
aber —
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Evchen (ſchuͤchtern.) Aber — es giebt Sachen,
die man niemand entdecken kan.
Fr. Humbrecht. Warum nicht?
Evchen Weil ſie noch nicht reif ſind; weil
man ſie ſich ſelbſt nicht ſo geſtehn mag oder kann.
Fr. Humbrecht. Lauter Raͤtzel! — wenn dein
Vater wieder ſo eine Antwort hoͤrte, fuchswild
wuͤrd er daruͤber: — Du weißt, er kann das hin-
ter dem Berg halten nicht ausſtehn! ich auch
nicht. Geſtern, eh er zu Pferd ſtieg, glaubt ich
er wollte raſend werden: da er dich ſo recht ver-
traut auf ſeinen Schoos ſetzte, dir bie deſten Wort
gab, dich herzte und druͤckte —
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