Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.fahrt Beethovens, -- diese einmalige, durchaus unwieder¬ Der Grund dieser widerlichen Erscheinung liegt aber 5
fahrt Beethovens, — dieſe einmalige, durchaus unwieder¬ Der Grund dieſer widerlichen Erſcheinung liegt aber 5
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0113" n="97"/> fahrt Beethovens, — dieſe einmalige, durchaus unwieder¬<lb/> holbare Thatſache, wie wir ſie in ſeiner Freudenſymphonie<lb/> als letztes, kühnſtes Wagniß ſeines Genius vollbracht er¬<lb/> kennen, — in blödeſter Unbefangenheit nachträglich wieder<lb/> angetreten und ohne Beſchwerden glücklich überſtanden<lb/> worden iſt. Ein neues Genre, eine „Symphonie mit<lb/> Chören“, — weiter ſah man darin nichts! Warum ſoll<lb/> Der und Jener nicht auch eine Symphonie mit Chören<lb/> ſchreiben können? Warum ſoll nicht „Gott der Herr“ zum<lb/> Schluß aus voller Kehle gelobt werden, nachdem er gehol¬<lb/> fen hat, drei vorangehende Inſtrumentalſätze ſo geſchickt<lb/> wie möglich zu Stande zu bringen? — — So hat Co¬<lb/> lumbus Amerika nur für den ſüßlichen Schacher unſrer<lb/> Zeit entdeckt!</p><lb/> <p>Der Grund dieſer widerlichen <hi rendition="#g">Erſcheinung</hi> liegt aber<lb/> tief im Weſen unſrer modernen Muſik ſelbſt. Die von der<lb/> Dicht- und Tanzkunſt abgelöſte Tonkunſt iſt keine den<lb/> Menſchen unwillkürlich nothwendige Kunſt mehr. Sie hat<lb/> ſich ſelbſt nach Geſetzen conſtruiren müſſen, die, ihrem<lb/> eigenthümlichen Weſen entnommen, in keiner rein menſch¬<lb/> lichen Erſcheinung ihr verwandtes, verdeutlichendes Maß<lb/> finden. Jede der anderen Künſte hielt ſich an dem Maße<lb/> der äußeren menſchlichen Geſtalt, des äußerlichen menſch¬<lb/> lichen Lebens, oder der Natur feſt, mochte es dieß unbe¬<lb/> dingt Vorhandene und Gegebene auch noch ſo willkürlich<lb/> <fw place="bottom" type="sig">5<lb/></fw> </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [97/0113]
fahrt Beethovens, — dieſe einmalige, durchaus unwieder¬
holbare Thatſache, wie wir ſie in ſeiner Freudenſymphonie
als letztes, kühnſtes Wagniß ſeines Genius vollbracht er¬
kennen, — in blödeſter Unbefangenheit nachträglich wieder
angetreten und ohne Beſchwerden glücklich überſtanden
worden iſt. Ein neues Genre, eine „Symphonie mit
Chören“, — weiter ſah man darin nichts! Warum ſoll
Der und Jener nicht auch eine Symphonie mit Chören
ſchreiben können? Warum ſoll nicht „Gott der Herr“ zum
Schluß aus voller Kehle gelobt werden, nachdem er gehol¬
fen hat, drei vorangehende Inſtrumentalſätze ſo geſchickt
wie möglich zu Stande zu bringen? — — So hat Co¬
lumbus Amerika nur für den ſüßlichen Schacher unſrer
Zeit entdeckt!
Der Grund dieſer widerlichen Erſcheinung liegt aber
tief im Weſen unſrer modernen Muſik ſelbſt. Die von der
Dicht- und Tanzkunſt abgelöſte Tonkunſt iſt keine den
Menſchen unwillkürlich nothwendige Kunſt mehr. Sie hat
ſich ſelbſt nach Geſetzen conſtruiren müſſen, die, ihrem
eigenthümlichen Weſen entnommen, in keiner rein menſch¬
lichen Erſcheinung ihr verwandtes, verdeutlichendes Maß
finden. Jede der anderen Künſte hielt ſich an dem Maße
der äußeren menſchlichen Geſtalt, des äußerlichen menſch¬
lichen Lebens, oder der Natur feſt, mochte es dieß unbe¬
dingt Vorhandene und Gegebene auch noch ſo willkürlich
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