Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.Dialoge. Diese episch-lyrischen Darstellungen bilden das Dialoge. Dieſe epiſch-lyriſchen Darſtellungen bilden das <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0123" n="107"/> Dialoge. Dieſe epiſch-lyriſchen Darſtellungen bilden das<lb/> unverkennbare Mittelglied zwiſchen der eigentlichen älteſten<lb/> Lyrik und der Tragödie, den normalen Uebergangspunkt<lb/> von jener zu dieſer. Die Tragödie war daher das in das<lb/> öffentliche politiſche Leben eintretende Volkskunſtwerk, und<lb/> an ihrem Erſcheinen können wir ſehr deutlich das von<lb/> einander abweichende Verfahren in der Weiſe des Kunſt¬<lb/> ſchaffens des Volkes und des blos literärgeſchichtlichen<lb/> Machens der ſogannten gebildeten Kunſtwelt wahrnehmen.<lb/> Als nämlich das lebendige Epos zum Gegenſtande kritiſch-<lb/> literariſcher Vergnügungen des peiſiſtratiſchen Hofes wurde,<lb/> war dieſer im Volksleben in Wahrheit bereits verblüht,<lb/> — aber nicht etwa, weil dem Volke der Athem ausge¬<lb/> gangen, ſondern weil es das Alte bereits zu überbieten,<lb/> aus unverſiegbarer, künſtleriſcher Fülle das unvollkommenere<lb/> Kunſtwerk ſchon zu dem vollkommeneren auszudehnen ver¬<lb/> mochte. Denn während jene Profeſſoren und Literatur¬<lb/> forſcher im fürſtlichen Schloſſe an der Conſtruction<lb/> eines <hi rendition="#g">literariſchen Homeros</hi> arbeiteten, mit Behagen<lb/> an ihrer eigenen Unproductivität ſich dem Staunen über<lb/> ihre Klugheit hingaben, vermöge deren ſie einzig das Ver¬<lb/> lorengegangene und nicht im Leben mehr Vorhandene zu<lb/> verſtehen vermochten, — brachte <hi rendition="#g">Theſpis</hi> bereits ſeinen<lb/> Karren nach Athen geſchleppt, ſtellte ihn an den Mauern<lb/> der Hofburg auf, rüſtete die <hi rendition="#g">Bühne</hi>, <hi rendition="#g">betrat</hi> ſie, aus dem<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [107/0123]
Dialoge. Dieſe epiſch-lyriſchen Darſtellungen bilden das
unverkennbare Mittelglied zwiſchen der eigentlichen älteſten
Lyrik und der Tragödie, den normalen Uebergangspunkt
von jener zu dieſer. Die Tragödie war daher das in das
öffentliche politiſche Leben eintretende Volkskunſtwerk, und
an ihrem Erſcheinen können wir ſehr deutlich das von
einander abweichende Verfahren in der Weiſe des Kunſt¬
ſchaffens des Volkes und des blos literärgeſchichtlichen
Machens der ſogannten gebildeten Kunſtwelt wahrnehmen.
Als nämlich das lebendige Epos zum Gegenſtande kritiſch-
literariſcher Vergnügungen des peiſiſtratiſchen Hofes wurde,
war dieſer im Volksleben in Wahrheit bereits verblüht,
— aber nicht etwa, weil dem Volke der Athem ausge¬
gangen, ſondern weil es das Alte bereits zu überbieten,
aus unverſiegbarer, künſtleriſcher Fülle das unvollkommenere
Kunſtwerk ſchon zu dem vollkommeneren auszudehnen ver¬
mochte. Denn während jene Profeſſoren und Literatur¬
forſcher im fürſtlichen Schloſſe an der Conſtruction
eines literariſchen Homeros arbeiteten, mit Behagen
an ihrer eigenen Unproductivität ſich dem Staunen über
ihre Klugheit hingaben, vermöge deren ſie einzig das Ver¬
lorengegangene und nicht im Leben mehr Vorhandene zu
verſtehen vermochten, — brachte Theſpis bereits ſeinen
Karren nach Athen geſchleppt, ſtellte ihn an den Mauern
der Hofburg auf, rüſtete die Bühne, betrat ſie, aus dem
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