Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.schönen Leibe, dessen Sehnen ihn gezeugt und genährt, sich ſchönen Leibe, deſſen Sehnen ihn gezeugt und genährt, ſich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0128" n="112"/> ſchönen Leibe, deſſen Sehnen ihn gezeugt und genährt, ſich<lb/> losgetrennt wie von einem hemmenden, feſſelnden Bande,<lb/> das an ſeiner unbegränzten Freiheit ihn hindere: — ſo<lb/> glaubte das chriſtliche Sehnen vom ſinnlichen Menſchen<lb/> ſich losreißen zu müſſen, um im ſchrankenloſen Himmels¬<lb/> äther zu freieſter Willkür ſich auszudehnen. Wie unab¬<lb/> lösbar jener Gedanke und dieſes Sehnen aber von dem<lb/> Weſen der menſchlichen Natur ſei, das ſollte ihnen in die¬<lb/> ſer Trennung gerade erſt kund werden: ſo hoch und luftig<lb/> ſie aufſchweben mochten, immer nur konnten ſie es in der<lb/> Geſtalt des leiblichen Menſchen. Den Körper, wie er an<lb/> die Geſetze der Schwere gebunden iſt, vermochten ſie aller¬<lb/> dings nicht mit ſich zu nehmen; wohl aber eine von ihm<lb/> abſtrahirte, dunſtig flüſſige Maſſe, die unwillkürlich Form<lb/> und Gebahren des menſchlichen Leibes wieder annahm.<lb/> So ſchwebte der dichteriſche Gedanke als menſchlich geſtal¬<lb/> tete Wolke in der Luft, die ihren Schatten ausbreitete<lb/> über das wirkliche, leibliche Erdenleben, zu dem ſie ewig<lb/> nur herabblickte und in dem ſie ſich aufzulöſen verlangen<lb/> mußte, wie aus ihm ja allein ſie ihre dunſtigen Nebel¬<lb/> lebensſäfte ſog. Die wirkliche Wolke löſt ſich auf, indem<lb/> ſie die Bedingungen ihres Daſeins der Erde wieder<lb/> zurückgiebt: als befruchtender Regen ſenkt ſie ſich auf die<lb/> Gefilde herab; dringt tief in das durſtige Erdreich hinein;<lb/> tränkt die ſchmachtenden Keime der Pflanze, die dann in<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [112/0128]
ſchönen Leibe, deſſen Sehnen ihn gezeugt und genährt, ſich
losgetrennt wie von einem hemmenden, feſſelnden Bande,
das an ſeiner unbegränzten Freiheit ihn hindere: — ſo
glaubte das chriſtliche Sehnen vom ſinnlichen Menſchen
ſich losreißen zu müſſen, um im ſchrankenloſen Himmels¬
äther zu freieſter Willkür ſich auszudehnen. Wie unab¬
lösbar jener Gedanke und dieſes Sehnen aber von dem
Weſen der menſchlichen Natur ſei, das ſollte ihnen in die¬
ſer Trennung gerade erſt kund werden: ſo hoch und luftig
ſie aufſchweben mochten, immer nur konnten ſie es in der
Geſtalt des leiblichen Menſchen. Den Körper, wie er an
die Geſetze der Schwere gebunden iſt, vermochten ſie aller¬
dings nicht mit ſich zu nehmen; wohl aber eine von ihm
abſtrahirte, dunſtig flüſſige Maſſe, die unwillkürlich Form
und Gebahren des menſchlichen Leibes wieder annahm.
So ſchwebte der dichteriſche Gedanke als menſchlich geſtal¬
tete Wolke in der Luft, die ihren Schatten ausbreitete
über das wirkliche, leibliche Erdenleben, zu dem ſie ewig
nur herabblickte und in dem ſie ſich aufzulöſen verlangen
mußte, wie aus ihm ja allein ſie ihre dunſtigen Nebel¬
lebensſäfte ſog. Die wirkliche Wolke löſt ſich auf, indem
ſie die Bedingungen ihres Daſeins der Erde wieder
zurückgiebt: als befruchtender Regen ſenkt ſie ſich auf die
Gefilde herab; dringt tief in das durſtige Erdreich hinein;
tränkt die ſchmachtenden Keime der Pflanze, die dann in
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |