wegung sich gelüsten zu lassen, -- diese soll nur dem Tänzer gehören, wogegen der Sänger, auch schon zur Conservirung seiner Stimme, zur vollständigsten Ent¬ haltung von mimischer Gebärdenlust verpflichtet sein soll. Mit der Dichtkunst setzt sie aber zu deren höchster Befrie¬ digung fest, daß man auf der Bühne gar keinen Ge¬ brauch von ihr machen, ja ihre Verse und Worte möglichst gar nicht einmal aussprechen wolle, um sie dafür, als gedrucktes und nothwendig nachzulesendes Textbuch, ganz wieder Literatur, schwarz auf weiß, sein zu lassen. So ist denn der edle Bund geschlossen, jede Kunst¬ art wieder sie selbst, und zwischen Tanzbein und Textbuch schwimmt die Musik wieder der Länge und Breite nach wie und wohin sie Lust hat. -- Das ist die moderne Frei¬ heit im getreuen Abbilde der Kunst! --
Nach so schmäligem Vertrage mußte aber die Ton¬ kunst, so glänzend sie auch in der Oper zu herrschen schien, dennoch ihrer demüthigsten Abhängigkeit inne werden. Ihr Lebenshauch ist die Herzensliebe; will diese auch nur sich, nur ihre Befriedigung, so ist sie zu dieser Befriedigung eines Gegenstandes nicht nur bloß eben so bedürftig, als das Sehnen der Sinnen- und Verstandesliebe, sondern sie empfindet dieß Bedürfniß glühender und drängender als jene. Die Stärke ihres Bedürfnisses giebt ihr den Muth der Selbstaufopferung, und hat Beethoven diesen Muth
wegung ſich gelüſten zu laſſen, — dieſe ſoll nur dem Tänzer gehören, wogegen der Sänger, auch ſchon zur Conſervirung ſeiner Stimme, zur vollſtändigſten Ent¬ haltung von mimiſcher Gebärdenluſt verpflichtet ſein ſoll. Mit der Dichtkunſt ſetzt ſie aber zu deren höchſter Befrie¬ digung feſt, daß man auf der Bühne gar keinen Ge¬ brauch von ihr machen, ja ihre Verſe und Worte möglichſt gar nicht einmal ausſprechen wolle, um ſie dafür, als gedrucktes und nothwendig nachzuleſendes Textbuch, ganz wieder Literatur, ſchwarz auf weiß, ſein zu laſſen. So iſt denn der edle Bund geſchloſſen, jede Kunſt¬ art wieder ſie ſelbſt, und zwiſchen Tanzbein und Textbuch ſchwimmt die Muſik wieder der Länge und Breite nach wie und wohin ſie Luſt hat. — Das iſt die moderne Frei¬ heit im getreuen Abbilde der Kunſt! —
Nach ſo ſchmäligem Vertrage mußte aber die Ton¬ kunſt, ſo glänzend ſie auch in der Oper zu herrſchen ſchien, dennoch ihrer demüthigſten Abhängigkeit inne werden. Ihr Lebenshauch iſt die Herzensliebe; will dieſe auch nur ſich, nur ihre Befriedigung, ſo iſt ſie zu dieſer Befriedigung eines Gegenſtandes nicht nur bloß eben ſo bedürftig, als das Sehnen der Sinnen- und Verſtandesliebe, ſondern ſie empfindet dieß Bedürfniß glühender und drängender als jene. Die Stärke ihres Bedürfniſſes giebt ihr den Muth der Selbſtaufopferung, und hat Beethoven dieſen Muth
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wegung ſich gelüſten zu laſſen, — dieſe ſoll nur dem
Tänzer gehören, wogegen der Sänger, auch ſchon zur
Conſervirung ſeiner Stimme, zur vollſtändigſten Ent¬
haltung von mimiſcher Gebärdenluſt verpflichtet ſein ſoll.
Mit der Dichtkunſt ſetzt ſie aber zu deren höchſter Befrie¬
digung feſt, daß man auf der Bühne gar keinen Ge¬
brauch von ihr machen, ja ihre Verſe und Worte
möglichſt gar nicht einmal ausſprechen wolle, um ſie
dafür, als gedrucktes und nothwendig nachzuleſendes
Textbuch, ganz wieder Literatur, ſchwarz auf weiß, ſein zu
laſſen. So iſt denn der edle Bund geſchloſſen, jede Kunſt¬
art wieder ſie ſelbſt, und zwiſchen Tanzbein und Textbuch
ſchwimmt die Muſik wieder der Länge und Breite nach wie
und wohin ſie Luſt hat. — Das iſt die moderne Frei¬
heit im getreuen Abbilde der Kunſt! —
Nach ſo ſchmäligem Vertrage mußte aber die Ton¬
kunſt, ſo glänzend ſie auch in der Oper zu herrſchen ſchien,
dennoch ihrer demüthigſten Abhängigkeit inne werden.
Ihr Lebenshauch iſt die Herzensliebe; will dieſe auch nur
ſich, nur ihre Befriedigung, ſo iſt ſie zu dieſer Befriedigung
eines Gegenſtandes nicht nur bloß eben ſo bedürftig, als
das Sehnen der Sinnen- und Verſtandesliebe, ſondern ſie
empfindet dieß Bedürfniß glühender und drängender als
jene. Die Stärke ihres Bedürfniſſes giebt ihr den Muth
der Selbſtaufopferung, und hat Beethoven dieſen Muth
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/152>, abgerufen am 27.07.2024.
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