Opernmusik nur als einsame Leitsterne zum Erkennen der rein künstlerischen Möglichkeit des Aufgehens der reichsten Musik in noch reichere dramatische Dichtkunst, nämlich in die Dichtkunst, die durch dieses freie Aufgehen der Musik in sie erst zu der allvermögenden dramatischen Kunst wird. Wie unmöglich das vollendete Kunstwerk unter den uns beherrschenden Zuständen ist, beweist aber gerade, daß, nachdem Gluck und Mozart die höchste Fähigkeit der Musik aufgedeckt, diese Thaten ohne den mindesten Einfluß auf unser eigentliches modernes Kunstgebahren geblieben sind, -- daß die Funken, die ihrem Genius sich entschlugen, gleich gaukelndem Feuerwerke nur unsrer Kunstwelt vor¬ schwebten, durchaus aber nicht das Feuer zu zünden ver¬ mochten, das durch sie entbrennen mußte, wenn der Brenn¬ stoff wirklich vorhanden gewesen wäre.
Die Thaten Gluck's und Mozart's waren aber auch nur einseitige Thaten, d. h. sie deckten nur die Fähigkeit und den nothwendigen Willen der Musik auf, ohne von ihren Schwesterkünsten verstanden zu werden, ohne daß diese gemeinschaftlich, und aus gleich wahr empfundenen Drange nach Aufgehen in einander, zu jenen Thaten bei¬ getragen, oder ihrerseits sie erwiedert hätten. Nur aus gleichem, gemeinschaftlichem Drange aller drei Kunstarten kann aber ihre Erlösung in das wahre Kunstwerk, somit dies Kunstwerk selbst ermöglicht werden. Erst wenn der Trotz aller
Opernmuſik nur als einſame Leitſterne zum Erkennen der rein künſtleriſchen Möglichkeit des Aufgehens der reichſten Muſik in noch reichere dramatiſche Dichtkunſt, nämlich in die Dichtkunſt, die durch dieſes freie Aufgehen der Muſik in ſie erſt zu der allvermögenden dramatiſchen Kunſt wird. Wie unmöglich das vollendete Kunſtwerk unter den uns beherrſchenden Zuſtänden iſt, beweiſt aber gerade, daß, nachdem Gluck und Mozart die höchſte Fähigkeit der Muſik aufgedeckt, dieſe Thaten ohne den mindeſten Einfluß auf unſer eigentliches modernes Kunſtgebahren geblieben ſind, — daß die Funken, die ihrem Genius ſich entſchlugen, gleich gaukelndem Feuerwerke nur unſrer Kunſtwelt vor¬ ſchwebten, durchaus aber nicht das Feuer zu zünden ver¬ mochten, das durch ſie entbrennen mußte, wenn der Brenn¬ ſtoff wirklich vorhanden geweſen wäre.
Die Thaten Gluck's und Mozart's waren aber auch nur einſeitige Thaten, d. h. ſie deckten nur die Fähigkeit und den nothwendigen Willen der Muſik auf, ohne von ihren Schweſterkünſten verſtanden zu werden, ohne daß dieſe gemeinſchaftlich, und aus gleich wahr empfundenen Drange nach Aufgehen in einander, zu jenen Thaten bei¬ getragen, oder ihrerſeits ſie erwiedert hätten. Nur aus gleichem, gemeinſchaftlichem Drange aller drei Kunſtarten kann aber ihre Erlöſung in das wahre Kunſtwerk, ſomit dies Kunſtwerk ſelbſt ermöglicht werden. Erſt wenn der Trotz aller
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Opernmuſik nur als einſame Leitſterne zum Erkennen der
rein künſtleriſchen Möglichkeit des Aufgehens der reichſten
Muſik in noch reichere dramatiſche Dichtkunſt, nämlich in
die Dichtkunſt, die durch dieſes freie Aufgehen der Muſik
in ſie erſt zu der allvermögenden dramatiſchen Kunſt wird.
Wie unmöglich das vollendete Kunſtwerk unter den uns
beherrſchenden Zuſtänden iſt, beweiſt aber gerade, daß,
nachdem Gluck und Mozart die höchſte Fähigkeit der Muſik
aufgedeckt, dieſe Thaten ohne den mindeſten Einfluß auf
unſer eigentliches modernes Kunſtgebahren geblieben ſind,
— daß die Funken, die ihrem Genius ſich entſchlugen,
gleich gaukelndem Feuerwerke nur unſrer Kunſtwelt vor¬
ſchwebten, durchaus aber nicht das Feuer zu zünden ver¬
mochten, das durch ſie entbrennen mußte, wenn der Brenn¬
ſtoff wirklich vorhanden geweſen wäre.
Die Thaten Gluck's und Mozart's waren aber auch
nur einſeitige Thaten, d. h. ſie deckten nur die Fähigkeit
und den nothwendigen Willen der Muſik auf, ohne von
ihren Schweſterkünſten verſtanden zu werden, ohne daß
dieſe gemeinſchaftlich, und aus gleich wahr empfundenen
Drange nach Aufgehen in einander, zu jenen Thaten bei¬
getragen, oder ihrerſeits ſie erwiedert hätten. Nur aus
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kann aber ihre Erlöſung in das wahre Kunſtwerk, ſomit dies
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/154>, abgerufen am 28.07.2024.
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