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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823.

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Sie drückte meine Hand, und blickte mich an
mit dem Auge voll namenloser Liebe, und lispelte
seufzend: Jch fühle! und dann schwiegen wir wie-
der, und manchmal nur bebten unsere Lippen: O
Gott! Unsere Seelen wurden, wie das klare, reine
Gewässer, unser Leben wie ein einziger Hauch der
Liebe.

Ja, Atalanta, sprach ich wieder, wie die
Mondnacht ist unser Leben, wann es am schönsten
ist. Jst nicht die Gegend wie ein Traum? Wir
schweben umher; der Wind kühlt unsere heißen
Wangen, und lindert das brennende Sehnen unse-
rer Brust. Die Pfade sind eben und glatt, wie
die Wasser. Ferne liegt die Wirklichkeit, wie das
Ufer, mit ihren finstern Gestalten. Und wenn sie
nicht so ferne lägen, ach! da wär' unser Leben auch
nicht so schön.

Kannst du, sagte Atalanta, kannst du ein Ende
denken dieser Wonne? Bricht endlich nicht die Mor-
genröthe von Osten her, und beleuchtet jene Gestal-
ten, die so schön sind aus der Ferne?

Unendlich, ewig, Atalanta, ist die Liebe, wie
deine Seele. Tod wäre das Ende der Liebe, und

Sie druͤckte meine Hand, und blickte mich an
mit dem Auge voll namenloſer Liebe, und liſpelte
ſeufzend: Jch fuͤhle! und dann ſchwiegen wir wie-
der, und manchmal nur bebten unſere Lippen: O
Gott! Unſere Seelen wurden, wie das klare, reine
Gewaͤſſer, unſer Leben wie ein einziger Hauch der
Liebe.

Ja, Atalanta, ſprach ich wieder, wie die
Mondnacht iſt unſer Leben, wann es am ſchoͤnſten
iſt. Jſt nicht die Gegend wie ein Traum? Wir
ſchweben umher; der Wind kuͤhlt unſere heißen
Wangen, und lindert das brennende Sehnen unſe-
rer Bruſt. Die Pfade ſind eben und glatt, wie
die Waſſer. Ferne liegt die Wirklichkeit, wie das
Ufer, mit ihren finſtern Geſtalten. Und wenn ſie
nicht ſo ferne laͤgen, ach! da waͤr’ unſer Leben auch
nicht ſo ſchoͤn.

Kannſt du, ſagte Atalanta, kannſt du ein Ende
denken dieſer Wonne? Bricht endlich nicht die Mor-
genroͤthe von Oſten her, und beleuchtet jene Geſtal-
ten, die ſo ſchoͤn ſind aus der Ferne?

Unendlich, ewig, Atalanta, iſt die Liebe, wie
deine Seele. Tod waͤre das Ende der Liebe, und

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[130/0140] Sie druͤckte meine Hand, und blickte mich an mit dem Auge voll namenloſer Liebe, und liſpelte ſeufzend: Jch fuͤhle! und dann ſchwiegen wir wie- der, und manchmal nur bebten unſere Lippen: O Gott! Unſere Seelen wurden, wie das klare, reine Gewaͤſſer, unſer Leben wie ein einziger Hauch der Liebe. Ja, Atalanta, ſprach ich wieder, wie die Mondnacht iſt unſer Leben, wann es am ſchoͤnſten iſt. Jſt nicht die Gegend wie ein Traum? Wir ſchweben umher; der Wind kuͤhlt unſere heißen Wangen, und lindert das brennende Sehnen unſe- rer Bruſt. Die Pfade ſind eben und glatt, wie die Waſſer. Ferne liegt die Wirklichkeit, wie das Ufer, mit ihren finſtern Geſtalten. Und wenn ſie nicht ſo ferne laͤgen, ach! da waͤr’ unſer Leben auch nicht ſo ſchoͤn. Kannſt du, ſagte Atalanta, kannſt du ein Ende denken dieſer Wonne? Bricht endlich nicht die Mor- genroͤthe von Oſten her, und beleuchtet jene Geſtal- ten, die ſo ſchoͤn ſind aus der Ferne? Unendlich, ewig, Atalanta, iſt die Liebe, wie deine Seele. Tod waͤre das Ende der Liebe, und

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Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/140>, abgerufen am 13.05.2024.