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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823.

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Phaethon an Theodor.

Nicht wahr, nur in Griechenland war's möglich,
daß eine Phryne vor den Augen aller Griechen
ins Bad stieg, und wie die süsse Göttin der Wol-
lust und der Liebe, aus den Wellen tauchte? Wo
feyert ein Volk noch Wettspiele in der Schönheit?

Die jungfräulichen Leiber, die auf den Höh'n
des Eryx sich dem Dienst der Venus weihten, hies-
sen heilig.

Und was gilt körperliche Stärke noch bey uns?
Welcher Geist war göttlicher, als der Geist des
Platon? und Platon rang in den heil'gen Spielen
des wellenumrauschten Jsthmos.

Aus der Gymnastik entsprang die erhab'ne
Todesverachtung eines Harmodios und Aristogei-
ton, und Freyheit und Freundschaft erhob sich aus
ihr, wie Blüthen aus dem gesunden kräftigen Stamme.
Wie ein Schleyer umhüllte der gewandte schöne Kör-
per den ewig jungen Geist. Weisheit und Tapfer-
keit waren wie Blumen, die aus Einem Stängel

Phaethon an Theodor.

Nicht wahr, nur in Griechenland war’s moͤglich,
daß eine Phryne vor den Augen aller Griechen
ins Bad ſtieg, und wie die ſuͤſſe Goͤttin der Wol-
luſt und der Liebe, aus den Wellen tauchte? Wo
feyert ein Volk noch Wettſpiele in der Schoͤnheit?

Die jungfraͤulichen Leiber, die auf den Hoͤh’n
des Eryx ſich dem Dienſt der Venus weihten, hieſ-
ſen heilig.

Und was gilt koͤrperliche Staͤrke noch bey uns?
Welcher Geiſt war goͤttlicher, als der Geiſt des
Platon? und Platon rang in den heil’gen Spielen
des wellenumrauſchten Jſthmos.

Aus der Gymnaſtik entſprang die erhab’ne
Todesverachtung eines Harmodios und Ariſtogei-
ton, und Freyheit und Freundſchaft erhob ſich aus
ihr, wie Bluͤthen aus dem geſunden kraͤftigen Stamme.
Wie ein Schleyer umhuͤllte der gewandte ſchoͤne Koͤr-
per den ewig jungen Geiſt. Weisheit und Tapfer-
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[23/0033] Phaethon an Theodor. Nicht wahr, nur in Griechenland war’s moͤglich, daß eine Phryne vor den Augen aller Griechen ins Bad ſtieg, und wie die ſuͤſſe Goͤttin der Wol- luſt und der Liebe, aus den Wellen tauchte? Wo feyert ein Volk noch Wettſpiele in der Schoͤnheit? Die jungfraͤulichen Leiber, die auf den Hoͤh’n des Eryx ſich dem Dienſt der Venus weihten, hieſ- ſen heilig. Und was gilt koͤrperliche Staͤrke noch bey uns? Welcher Geiſt war goͤttlicher, als der Geiſt des Platon? und Platon rang in den heil’gen Spielen des wellenumrauſchten Jſthmos. Aus der Gymnaſtik entſprang die erhab’ne Todesverachtung eines Harmodios und Ariſtogei- ton, und Freyheit und Freundſchaft erhob ſich aus ihr, wie Bluͤthen aus dem geſunden kraͤftigen Stamme. Wie ein Schleyer umhuͤllte der gewandte ſchoͤne Koͤr- per den ewig jungen Geiſt. Weisheit und Tapfer- keit waren wie Blumen, die aus Einem Staͤngel

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Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/33>, abgerufen am 28.04.2024.