Robert, Waldmüller [d. i. Charles Edouard Duboc]: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 203–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ihm mit der buntesten Ueberzuckerung in die Augen lachte, als feiner Gewürzduft durch die Nase ins Gehirn stieg und mit Mandeln, Citronat und Zibeben ihm Geschmäcke aller Art auf die Zunge zauberte, wie sie nur seine Auffassung der Hochzeit zu Cana und des Gastmahls im Hause Levy ihn je hatten ahnen lassen. Schloß sich dann aber wieder die Thüre des kaffeebraunen Zimmers hinter ihm, kam der schwarzbefiederte einsame Hahn ihm feierlich entgegen, surrte im großen Kachelofen die derbe Kost, mit welcher ihn die alte Haushälterin Marga schon so manches Jahr hindurch bei guter Gesundheit und friedlich bescheidener Sinnesart erhalten hatte, ja grüßte gar die Habermus'sche Küsterchronik vom Bücherbrette herab, als wolle sie sagen: Jahre wie die von 1730 bis 1735 möchte ich nicht noch einmal erleben, da strich sich der Küster wie erwachend über die Augen, sprach auch wohl ein kurzes Herre Christe, bleib bei uns! und war, wenn er zum einsamen Essen niedersaß, mit seinen Gedanken so sicher im lange bewährten Gewohnheitshafen vor Anker, daß er sein Schläfchen nach Tisch ohne irgend störende Träume halten und bei dem nachfolgenden Schälchen Cichorienkaffee die wunderbare Geschichte von den Reisen Marcus Paulus, des hornhäutigen Venezianers, an der er seit zwanzig Jahren las, ohne Zerstreuung weiter verfolgen konnte. Es ist mir leid, das Alter des Küsters von St. Gertrauden durch zwanzigjährige Lectüre annäherungsweise verrathen zu haben. Mehr als eine achtzehnjährige Le- ihm mit der buntesten Ueberzuckerung in die Augen lachte, als feiner Gewürzduft durch die Nase ins Gehirn stieg und mit Mandeln, Citronat und Zibeben ihm Geschmäcke aller Art auf die Zunge zauberte, wie sie nur seine Auffassung der Hochzeit zu Cana und des Gastmahls im Hause Levy ihn je hatten ahnen lassen. Schloß sich dann aber wieder die Thüre des kaffeebraunen Zimmers hinter ihm, kam der schwarzbefiederte einsame Hahn ihm feierlich entgegen, surrte im großen Kachelofen die derbe Kost, mit welcher ihn die alte Haushälterin Marga schon so manches Jahr hindurch bei guter Gesundheit und friedlich bescheidener Sinnesart erhalten hatte, ja grüßte gar die Habermus'sche Küsterchronik vom Bücherbrette herab, als wolle sie sagen: Jahre wie die von 1730 bis 1735 möchte ich nicht noch einmal erleben, da strich sich der Küster wie erwachend über die Augen, sprach auch wohl ein kurzes Herre Christe, bleib bei uns! und war, wenn er zum einsamen Essen niedersaß, mit seinen Gedanken so sicher im lange bewährten Gewohnheitshafen vor Anker, daß er sein Schläfchen nach Tisch ohne irgend störende Träume halten und bei dem nachfolgenden Schälchen Cichorienkaffee die wunderbare Geschichte von den Reisen Marcus Paulus, des hornhäutigen Venezianers, an der er seit zwanzig Jahren las, ohne Zerstreuung weiter verfolgen konnte. Es ist mir leid, das Alter des Küsters von St. Gertrauden durch zwanzigjährige Lectüre annäherungsweise verrathen zu haben. Mehr als eine achtzehnjährige Le- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0016"/> ihm mit der buntesten Ueberzuckerung in die Augen lachte, als feiner Gewürzduft durch die Nase ins Gehirn stieg und mit Mandeln, Citronat und Zibeben ihm Geschmäcke aller Art auf die Zunge zauberte, wie sie nur seine Auffassung der Hochzeit zu Cana und des Gastmahls im Hause Levy ihn je hatten ahnen lassen. Schloß sich dann aber wieder die Thüre des kaffeebraunen Zimmers hinter ihm, kam der schwarzbefiederte einsame Hahn ihm feierlich entgegen, surrte im großen Kachelofen die derbe Kost, mit welcher ihn die alte Haushälterin Marga schon so manches Jahr hindurch bei guter Gesundheit und friedlich bescheidener Sinnesart erhalten hatte, ja grüßte gar die Habermus'sche Küsterchronik vom Bücherbrette herab, als wolle sie sagen: Jahre wie die von 1730 bis 1735 möchte ich nicht noch einmal erleben, da strich sich der Küster wie erwachend über die Augen, sprach auch wohl ein kurzes Herre Christe, bleib bei uns! und war, wenn er zum einsamen Essen niedersaß, mit seinen Gedanken so sicher im lange bewährten Gewohnheitshafen vor Anker, daß er sein Schläfchen nach Tisch ohne irgend störende Träume halten und bei dem nachfolgenden Schälchen Cichorienkaffee die wunderbare Geschichte von den Reisen Marcus Paulus, des hornhäutigen Venezianers, an der er seit zwanzig Jahren las, ohne Zerstreuung weiter verfolgen konnte.</p><lb/> <p>Es ist mir leid, das Alter des Küsters von St. Gertrauden durch zwanzigjährige Lectüre annäherungsweise verrathen zu haben. Mehr als eine achtzehnjährige Le-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0016]
ihm mit der buntesten Ueberzuckerung in die Augen lachte, als feiner Gewürzduft durch die Nase ins Gehirn stieg und mit Mandeln, Citronat und Zibeben ihm Geschmäcke aller Art auf die Zunge zauberte, wie sie nur seine Auffassung der Hochzeit zu Cana und des Gastmahls im Hause Levy ihn je hatten ahnen lassen. Schloß sich dann aber wieder die Thüre des kaffeebraunen Zimmers hinter ihm, kam der schwarzbefiederte einsame Hahn ihm feierlich entgegen, surrte im großen Kachelofen die derbe Kost, mit welcher ihn die alte Haushälterin Marga schon so manches Jahr hindurch bei guter Gesundheit und friedlich bescheidener Sinnesart erhalten hatte, ja grüßte gar die Habermus'sche Küsterchronik vom Bücherbrette herab, als wolle sie sagen: Jahre wie die von 1730 bis 1735 möchte ich nicht noch einmal erleben, da strich sich der Küster wie erwachend über die Augen, sprach auch wohl ein kurzes Herre Christe, bleib bei uns! und war, wenn er zum einsamen Essen niedersaß, mit seinen Gedanken so sicher im lange bewährten Gewohnheitshafen vor Anker, daß er sein Schläfchen nach Tisch ohne irgend störende Träume halten und bei dem nachfolgenden Schälchen Cichorienkaffee die wunderbare Geschichte von den Reisen Marcus Paulus, des hornhäutigen Venezianers, an der er seit zwanzig Jahren las, ohne Zerstreuung weiter verfolgen konnte.
Es ist mir leid, das Alter des Küsters von St. Gertrauden durch zwanzigjährige Lectüre annäherungsweise verrathen zu haben. Mehr als eine achtzehnjährige Le-
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